Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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in der Luft. Sie spricht sich bereits im Eingange des Spieß’schen Faust-Buchs aus, wenn es dort heißt: „Faust nahm sich Adlersflügel, wollte alle Gründe im Himmel und auf Erden ausforschen, denn sein Fürwitz, Freiheit und Leichtfertigkeit stachen ihn und reizten ihn nur, daß er deshalb den Teufel vor sich gefordert.“ Es war der in jene Zeit hineingeworfene Zwiespalt zwischen Glauben und Wissen, ein Zwiespalt, welcher der kindlicheren Lebensanschauung des Mittelalters nach fremd war. Für das Ansehen der Kirche drohte diese Erneuerung des philosophischen Denkens, dieses Streben nach Erkenntniß, das besonders durch die neu ausgegrabene Literatur der alten Welt gefördert worden war, sehr verhängnißvoll zu werden. Sie war daher rasch mit ihrem Fluche bei der Hand und erklärte alles Streben und Forschen nach Dingen, die außerhalb der gemeinen Erkenntniß lagen und den Glaubenssätzen der Kirche widersprachen, für einen Abfall von Gott und folgerecht für eine Verbindung mit dem Widerpart Gottes, dem Satan. Für einen solchen Abfälligen verschloß sich auf immer das Thor ihrer Gnade, der Eingang zum Himmel. Für einen Don Juan hatte sie, wenn er sich zu Reue und Buße bekehrte, noch Gnade, für einen Faust – niemals.
Zu dem kam noch ein anderer Umstand. Neben dem kirchlichen Glauben hatte sich im Schooße des Volkes noch eine Art Afterglaube, der Aberglaube, entwickelt. Derselbe hatte seinen Ausgang im altgermanischen Heidenthum. Die Kirche hatte zwar einen Theil dieses altheidnischen Cultus in christliche Formen zu bringen verstanden. Es blieb aber noch Mancherlei übrig, das im Schooße des Volkes sein heimlich genährtes Dasein fristete. Das Volk glaubte noch an geheimnißvolle Naturkräfte, welche durch Dämonen vertreten und in Bewegung gesetzt würden. Durch die Kenntniß dieser Naturkräfte konnte man übernatürliche Wirkungen hervorbringen und sich in den Besitz von Dingen und Genüssen versetzen, die auf den gewöhnlichen Wegen unerreichbar blieben. Dazu mußte man freilich die Gunst jener Dämonen erringen. Diese Dämonen aber standen außerhalb des Christenthums. Wer sich mit ihnen verband, fiel von dem Christenthum ab und folgerecht der Hölle anheim.
Weiter hatte sich schon unter den alten Aegyptern, Chaldäern und Griechen eine geheim gehaltene Wissenschaft entwickelt, welche den Wissenden die Kenntniß übernatürlicher Dinge und die Macht übernatürliche Wirkungen hervorzubringen, das ist zu zaubern, in gleicher Weise vermittelte. Diese von den Arabern dann noch besonders ausgebildete Wissenschaft führte den Namen der Magie – im Grunde war dieselbe nichts weiter als ein Spiel mit leeren Formeln – und war inzwischen vom Morgenlande nach dem Abendlande gekommen. Sie wurde von der wissensdurstigen Zeit begierig aufgegriffen. Auch diese Magie wurde von der christlichen Kirche, von der sie theilweis ihre Formen borgte, verurtheilt und ihre Anhänger wurden geächtet.
Endlich hatte die Wiedererweckung der Antike in jener Zeit der Renaissance auch das heitere Sinnesleben des Alterthums mit geweckt. Die Kirche aber war dem weltlichen Treiben abhold, sie verlangte Entsagung und Abkehr von den Freuden dieser Welt. Wer den letzteren zu stark sich hingab, machte sich des Bündnisses mit den Mächten der Hölle in gleicher Weise verdächtig; daher wurde auch Don Juan in den alten spanischen Sagen eines solchen Bundes geziehen.
Aus diesen Widersprüchen und Anschauungen heraus erwuchs nun die Faust-Sage, in der sich dieselben gleichsam verdichteten. Gehen wir nun zu den einzelnen dichterischen Bearbeitungen derselben über.
Das Faust-Buch von Spieß erzählt uns, wie Faust in einem Walde bei Wittenberg die Beschwörung der höllischen Mächte vorgenommen. Die Hölle folgt dem an sie ergangenen Rufe und sendet ihren Abgesandten Mephistopheles; die einzelnen Punkte der vorläufigen Uebereinkunft werden verabredet. Faust verlangt, daß der Geist ihm unterthänig sei und Alles thue, was er begehre; dieser wieder, daß Faust den christlichen Glauben verleugne. Nach vierundzwanzig Jahren will der Teufel ihn holen, bis dahin soll er Alles haben, wonach sein Herz gelüste. Der Verfasser des Buchs theilt die Verschreibung sogar wörtlich mit.
Nachdem der Pact also abgeschlossen und mit Faust’s Blut besiegelt ist, regt sich sofort Faust’s dürstende Wißbegierde, und er stellt an den im Gewande eines Mönchs auftretenden Mephisto allerlei Fragen über das verborgene Wesen der Dinge. Mephistopheles läßt sich nur ungern in die gelehrten Disputationen ein und giebt allerlei ausweichende Antworten. Doch entwirft er eine Art Weltentstehungslehre, schildert den Himmel und mit besonderer Vorliebe die Hölle nach den Anschauungen damaliger Zeit. Als Faust daran nicht genug hat und immer gieriger nach Erkenntniß strebt, als er insbesondere darüber Auskunft verlangt, wie Gott die Welt erschaffen habe, da giebt ihm, wie es im Texte heißt, der Geist einen falschen und gottlosen Bericht. Unbefriedigt über die erlangte Weisheit, beginnt Faust nun die Wahrheit in der Welt selbst aufzusuchen, indem er dieselbe auf einem Drachenwagen an allen Orten und Enden durchstreift. Auf diesen Reisen wird der Gelehrte zum Zauberer und Hexenmeister, der den Papst und Sultan vexirt, dem Kaiser Karl V. die Gestalten der Antike wieder erscheinen läßt und vor dem gemeinen Volke bis zum Hokuspokus eines Taschenspielers herabsteigt. Bei diesem schalen Treiben faßt ihn mehrfach der Ueberdruß und die Reue, die Sehnsucht nach dem verscherzten Himmel, die ihm Mephistopheles durch den Genuß immer neuer Sinnesfreuden zu vertreiben weiß. Alle schönen Frauen des Erdballs führt er in seine Arme. Selbst Helena, das Schönheitsideal der alten Welt, erweckt er wieder zum Leben und verleiht ihm sogar den Scheingenuß ehelichen Glücks an ihrer Seite. Als die Frist abgelaufen ist, verfällt Faust in die kläglichste Verzweiflung. Den Ausbruch seiner Reue und Zerknirschung parodirt Mephisto mit wahrhaft teuflischem Spott. „Du solltest dem Teufel nicht so viel vertraut haben,“ lallt er ihm zu, „denn der Affe Gottes ist ein Lügner und Mörder. Hättest Du Gott vor Augen gehabt und Dich mit den Gaben, so er Dir verliehen, begnügen lassen, dürftest Du diesen Reihentanz nicht tanzen.“
Faust lädt in Folge dessen die Genossen seiner Freunde in der letzten Nacht zu einem Nachtmahle und hält ihnen eine bußfertige Predigt, indem er sie ermahnt, immer Gott vor Augen zu haben und ihn zu bitten, daß er sie vor des Teufels Arglist behüte. Um Mitternacht tobt gräßlicher Lärm um’s Haus und am Morgen findet man von dessen Herrn nichts weiter als sein verspritztes Gehirn. Eine ermahnende, christliche Moral schließt das Buch.
Nach dem Erscheinen des Spieß’schen Faust-Buches bemächtigt sich auch bereits die gestaltende Poesie des anziehenden Stoffes. Schon im Jahre 1594 brachte der englische Dichter Marlow, ein Vorläufer Shakespeare’s, ihn in die dramatische Form. Das im Jahre 1604 zuerst gedruckte Drama schließt sich eng an das Spieß’sche Faust-Buch an, das der Dichter gekannt haben muß. Das Stück beginnt im Studirzimmer Faust’s mit einem Monologe von demselben Gedankeninhalte, wenn auch nicht von derselben Gedankentiefe wie bei Goethe. Faust hat alle Wissenschaften durchstudirt; keine gewährt ihm Befriedigung. Er wirft sie zur Seite und eilt in die Arme der Magie. Durch sie will er zur Gottheit empor. Nun folgen im Stücke die gleichen wißbegierigen Fragen nach den höchsten Dingen, das Durchstreifen der Welt, die Zaubereien und Phantasmagorien, das Begehren nach dem Weiblichen wie bei Spieß. Himmel und Hölle werden als guter und böser Engel personificirt in Scene geführt. Beide streiten sich um Faust. Jener sucht ihn der Tugend, diese dem Laster in die Arme zu führen. Zu dem guten Engel gesellt sich noch Faust’s Vater, der den Sohn flehend bittet, vom Bösen zu lassen. Faust ringt wiederholt mit Reue und Umkehr, aber Mephisto gewinnt immer wieder den Sieg.
Englische Schauspieler, welche namentlich in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges in Truppen Deutschland durchzogen, brachten Marlow’s Drama zu uns, und aus ihm bildete sich dann unter Benutzung der einheimischen Traditionen das deutsche Volksschauspiel vom Doctor Faust, das bald auf dem Marionettentheater, bald auf der lebenden Bühne erschien. Diese deutschen Schau- und Puppenspiele, deren Wilhelm Creiznach in seiner Schrift „Versuch einer Geschichte des Volksschauspiels von Dr. Faust“ (1878) nicht weniger als acht aufführt, sind in der Hauptsache sich gleich und nur im Einzelnen von einander verschieden. Eigenthümlich ist allen das der Handlung vorausgehende Vorspiel in der Hölle. Hier beschwert sich Charon bei Pluto gegen die Furien, weil sie ihm keine Seelen mehr brächten. Pluto läßt die Furien kommen und ermahnt sie, die Menschen besser zu bearbeiten, sie zu lehren, Böses zu thun, und beauftragt insonderheit den Mephisto, den Dr. Faust in Wittenberg für die Hölle zu erobern, Faust, der seiner Gesinnung nach schon der Ihre sei.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 674. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_674.jpg&oldid=- (Version vom 18.1.2024)