Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Die Sage vom Doctor Faust.
Der Genius des deutschen Volks darf es sich zu hohem Ruhme anrechnen, daß er die tiefsinnigste aller Sagen, die Sage von Dr. Faust, zur Existenz und zugleich zur höchsten künstlerischen Entwickelung gebracht hat. Im Schooße der romanischen Völker konnte nur ein Don Juan, kein Faust entstehen. Und als dieser romanische Don Juan doch über die deutsche Grenze hinüberging, schlüpfte er ganz unversehens in das Gewand des weiland „Doctors und Magisters“, das heißt er erhielt ein höheres geistiges Relief. Auch der polnische Faust kommt nicht über den alten Don Juan hinaus. Die Faust-Sage ist aber auch mit dem deutschen Volksgeiste auf’s Innigste verwandt. Es steckt in ihr ein gut Stück davon, wenn nicht das Ganze.
Die Idee der Faust-Sage finden wir schon im hellenischen Alterthum, ein Umstand, der eben nur die nahe Verwandtschaft des griechischen mit dem deutschen Geiste documentirt. In dem praktischen Realismus der Römerwelt freilich konnte keine Faust-Sage erstehen. Eine gewisse Faust-Idee lag den Eleusinischen (Dionysos-)Festen zu Grunde, welche den Kampf des Geistigen mit dem Fleische, des Irdischen mit dem Göttlichen symbolisieren. Noch greifbarer trat sie zu Tage in der Sage von Prometheus und Dädalus-Icarus. Auch Dädalus und Icarus strebten, dem Faust vergleichbar, über die Erde hinaus der Sonne zu und büßten die vermessene Ueberhebung mit der Erkenntniß menschlicher Ohnmacht. Auch Faust-Prometheus wollte den Menschen das Licht, die Erkenntniß, bringen, aber die eifersüchtigen Götter warfen den verwegenen Himmelsstürmer zurück auf die Erde und straften ihn mit ewig nagender Pein, wie seinen späteren deutschen Nachfolger mit den Qualen der Hölle. Die Entwicklung der deutschen Faust-Sage ist indeß eine ganz selbstständige, wenn auch einzelne altgriechische Motive, wie z. B. die Entführung der Helena, hinein verwebt sind.
Die erste Frage, welche uns zu beschäftigen hat, würde zunächst wohl die sein: Hat ein Doctor Faust überhaupt gelebt? Durch zeitgenössische Zeugnisse wird diese Frage auf das Bestimmteste bejaht. Schon das älteste literarische Document der Faust-Sage, das im Jahre 1587 gedruckte Faust-Buch des Buchdruckers Spieß, deutet in der einleitenden Widmung darauf hin. „Es sei,“ heißt es dort, „seit vielen Jahren schon eine gemeine und große Sage in Teutschland Doctor Johannis Fausti, des weitbeschreiten Zauberers und Schwarzkünstlers, gewesen und allenthalben eine große Nachfrage bei Gastungen und Gesellschaften nach des gedachten Fausti History gewesen.“ Der Verfasser schickt dann auch eine genaue Lebensbeschreibung Faust’s voraus, läßt ihn in Roda bei Weimar geboren sein, schildert ihn als einen „geschwinden Kopf“, der zu allerlei Muthwillen aufgelegt gewesen sei und für die Theologie, zu der ihn seine Eltern bestimmt hatten, keine rechte Zuneigung empfunden, es gleichwohl aber durch seine geistige Findigkeit und Geschicklichkeit schon im sechszehnten Jahre zum Magister und Doctor der Theologie gebracht habe. „In dieser wissenschaftlichen Unbefriedigtheit,“ heißt es in dem Buche weiter, „wandte er sich nach Krakau, einer Hochschule der Zauberei, und studirte Tag und Nacht die nekromantischen und andere Bücher, wollte sich nachher keinen Theologen mehr nennen lassen, ward vielmehr ein Weltmensch, zugleich auch ein Arzt, der vielen Leuten half, ein Astronom und Mathematiker.“
Aber auch schon vor dem Erscheinen des Spieß’schen Faust-Buchs wird der Person des Faust mehrfach urkundlich Erwähnung gethan. So in einem Briefe des Abts von Sponheim Trithemius vom 20. August 1507. Dort erscheint er unter dem Namen Georg Sabellicus, und in der That scheint dies sein rechter Name, und der Name Faustus - der Glückliche - nur ein Beiname gewesen zu sein. Trithemius nennt ihn „einen Landstreicher, Schwätzer und Betrüger, der sich eher einen Narren als einen Meister nennen sollte“; Beghardi in seinem „Zeyger der Gesundeheit“ (1525) einen tapferen Mann, der fast durch alle „Landschaften, Fürstenthümer und Königreiche“ gezogen und die Kunst der Nekromantie, Physiognomie und der Visionen der Krystalle gezeigt habe.
Ebenso gedenkt Johann Gast, ein protestantischer Theologe, in seinen 1554 erschienenen Tischreden seiner, und Johann Manlius erwähnt in seiner Sammlung von Gemeinplätzen aus den Reden Melanchthon’s und anderer berühmter Leute (1566) der persönlichen Bekanntschaft Melanchthon’s mit Faust. Melanchthon erzählt dort von ihm, Faust sei aus Kundlingen in Schwaben, nahe von Melanchthon’s Geburtsort Bretten, gebürtig gewesen, habe in Krakau die Magie erlernt und sei sich geheimer Künste rühmend an vielen Orten umhergezogen, auch mehrfach der Gefangennahme durch Häscher entwischt. Selbst in Luther’s Tischreden wird eines Schwarzkünstlers Faustus gedacht, an den Luther seine Ansichten über den Teufel anknüpft.
Conrad Geßner schreibt in einer Epistel vom 16. August 1560 an den kaiserlichen Leibarzt Kreto von Krafftsheim von einem Faust, der vor nicht langer Zeit gestorben sei und einen außerordentlichen Ruf gehabt habe. Ein gleiches Zeugniß finden wir bei Johann Wier 1565 in dessen Werke über die „Spuren der Dämonen“. Auch der Jurist Camerarius will 1602 ältere Leute gesprochen haben, welche den Johann Faust von Kundlingen noch gekannt und viel von ihm gehört hatten, während der Theolog [ADB:Bullinger, Heinrich|[Heinrich Bullinger]] 1575 ihn unter seine Zeitgenossen zählt und Leonhard Thurtneißer in seinem Zaubertheater ihn den Zauberern beigesellt. Auch Franz von Sickingen hat aus seiner Burg eine zeitlang die Gesellschaft des Faustus Sabellicus jun. genossen.
Daß Faust längere Zeit an der Universität Erfurt gelehrt und dort sein Wesen getrieben haben soll, scheint eine Angabe von Mutianus Rufus[WS 1] zu bestätigen, indem derselbe 1513 in einem Briefe an einen Freund schreibt: „Es kam vor acht Tagen quidam Chiromanticus (ein gewisser Schwarzkünstler) nach Erfurt Namens Georg Faust, ein Prahler und Schwätzer.“
Aus dem Allen scheint hervorzugehen, daß Faust eine Art verdorbener Gelehrter war, der in der Weise der fahrenden Schüler ohne feste amtliche Stellung zum Aergerniß der Gelehrtenzunft, von der er abgefallen war, abenteuernd im Lande umherzog und das Volk durch allerlei Kunststücke und Eulenspiegeleien haranguirte. Wahrscheinlich hat es auch mehrere solche Fauste gegeben, da wir einem Faustus jun. begegnen.
Zur Feststellung des erst volksthümlich und zuletzt literarisch berühmt gewordenen Faust sind dann eine Anzahl von Zügen und Handlungen anderer theils sagenhafter, theils zu einer historischen Merkwürdigkeit gelangter Personen, wie z. B. des Zauberers Virgilius, des Theophrastus Paracelsus, verwendet und mit dieser Person dann die Faust-Idee selbst in Verbindung gebracht worden.
Diese Idee war aber ein Product ihrer Zeit, sie lag gleichsam
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Martinus Rufus
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 671. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_671.jpg&oldid=- (Version vom 18.1.2024)