Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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nun seines Vertrauens und gab dem geliebten Kranken die Versicherung, sofort Nachforschungen anstellen zu wollen. Er drückte ihm dann innig die Hand, sprach die Hoffnung aus, daß es bald zur Besserung gehen werde, und bat ihn, sich jetzt und in Zukunft ganz auf ihn zu verlassen.
Er hielt Wort, nicht nur weil er ein Versprechen gegeben hatte, sondern auch aus eigener herzlicher Theilnahme an dem Schicksal des armen Mädchens. Er frischte die Erinnerung an seine Besuche bei Grün auf und versetzte sich dabei in Räume, deren Ausstattung hinter der im elterlichen Hause gewohnten in Nichts nachstand. Wie schmerzlich mußte das Fräulein durch den Umschlag der Verhältnisse berührt sein! Er machte sich Vorwürfe, nicht schon selbst daran gedacht zu haben, was aus dem Mädchen geworden.
Seine Erkundigungen führten rasch zum Ziel. Er suchte den Uhrmacher Benjamin Grün auf, gab ihm seine Uhr zur Reparatur, kaufte eine andere und hielt sich möglichst lange in dem kleinen Laden auf, um sich dem Manne bekannt zu machen, vielleicht auch einmal dem Mädchen zu begegnen. Das gelang wirklich, und gleich der erste Eindruck war entscheidend. So schön hatte er sich Helene gar nicht vorgestellt. Er sprach sie an. Ob sie sich wohl seiner noch erinnere? Sie sah ihn mit ihren großen blauen Augen prüfend an und schien sich nicht sogleich zurechtzufinden. Dann war’s, als ob sie erschrak; die Wimpern zuckten und auf der Stirn zog sich ein feines Fältchen. „Wenn ich nicht irre, Herr Berghen“ – sagte sie, nicht gerade unfreundlich, aber mit erzwungener Gleichgültigkeit. Sie war im Ausgehen begriffen und meinte, sich auch seinetwegen gar nicht aufhalten zu sollen. Er aber setzte das Gespräch fort und hielt sie so noch eine Weile fest. Sie dürfe ihm nicht zürnen, was auch von seinem Hause gegen ihren Vater unternommen sei. Uebrigens dürfe er versichern, daß seinem Vater ihr Unglück sehr nahe gegangen. Helene entsann sich sehr bitterer Aeußerungen ihres Vaters über Berghen und antwortete deshalb kühl: „Ich verstehe von diesen Dingen nichts. Einen Vorwurf mache ich Niemand. Was Sie mein Unglück nennen, werde ich zu tragen wissen. Bedauert will ich nicht sein.“ Sie entfernte sich in stolzer Haltung. Er entschuldigte sich gleichsam bei ihrem Onkel, daß er’s gewagt habe, die alte Bekanntschaft zu erneuern, stotterte etwas von herzlicher Theilnahme an ihrem traurigen Geschick, suchte den alten Herrn auszuforschen, wie für ihre Zukunft gesorgt sei. Er erhielt ausweichende Antworten. Dem biederen Uhrmacher wollte es nicht einleuchten, was die Sache den jungen Herrn angehe.
Robert hatte viel überflüssige Zeit. Das schöne Mädchen kam ihm nicht mehr aus dem Sinn, alle seine Gedanken richteten sich auf die Frage: wie er weitere Begegnungen ermöglichen könne. Sonderbar, daß seine Uhr nicht in Ordnung kommen wollte! Endlich eröffnete er Grün ein Anliegen. Der wies ihn glatt ab. Das Mädchen habe noch einen alten Onkel, der allenfalls im Stande sei, zwei Kinder zu ernähren. Robert bat ihn, nicht vorschnell zu entscheiden, ihn vor Allem mit Helene selbst sprechen zu lassen. Das konnte er nicht gut ablehnen.
Aber bei ihr kam er noch schlechter an. Es werde ihr schon nicht leicht, sagte sie, von Verwandten Wohlthaten anzunehmen. Daß sie ein Fremder ihr darbiete, und gar der Mann, der ihrem armen Vater das Leben verkümmert habe, müsse sie als eine Kränkung empfinden. Wenn er ihr einen Beweis von Achtung geben wolle, möge er darauf nicht weiter zurückkommen.
Er sagte seinem Vater nichts davon, wie wenig er ausgerichtet habe. Der Kranke wurde täglich kränker und zuletzt ganz theilnahmlos. Nachdem er gestorben und begraben war, nahm Robert längere Zeit die Regulirung der großes Erbschaft in Anspruch.
Wie er dann eifriger darüber nachsann, auf welche Weise er dem stolzen Mädchen würde helfend zur Seite stehen können, da sie doch nach aller Wahrscheinlichkeit von ihm noch weniger als von seinem Vater etwas annehmen werde, wurde es ihm täglich klarer, daß es nur einen einzigen Weg gebe, auf dem sich ihr unbedenkliches Entgegenkommen erhoffen lasse. Und nun glaubte er auch zu wissen, daß er vor dem Augenblicke, wo er Helene gesehen, ernstlich an gar nichts Anderes gedacht habe, als sich ihre Neigung zu gewinnen. So überlegte er denn nicht mehr lange, ging eines Tages zu Benjamin Grün und hielt feierlich um ihre Hand an.
Den alten Uhrmacher überraschte diese Erklärung sehr. Weniger Helene selbst. Sie hatte ja genug Beweise erhalten, daß sie ihm gefiel. Nur darüber konnte sie sich nicht sogleich versichern, daß die Neigung eine wechselseitige sei. Sie forderte Bedenkzeit. Inzwischen sollte er sie sehen und sprechen dürfen. Sie selbst machte Vetter Grün noch denselben Abend von dem Geschehenen in ruhiger Weise Mittheilung. Noch war bei ihr von leidenschaftlicher Betheiligung so wenig die Rede, daß sie ihn gut freundschaftlich um Rath angehen konnte, was sie thun solle. Aber er gebehrdete sich sogleich so närrisch, daß sie wohl diese Vertraulichkeit für übel angebracht halten mußte. Ob er glaube, daß es je vergessen werden könne, wie sein Vater gegen ihren Vater gehandelt habe? Ob der Bursche meine, mit einem goldenen Pflaster die Wunde schließen zu können? Sein Antrag sei beleidigend. „Aber Leute dieser Art bilden sich ein,“ rief er, „daß sie nur die Hand ausstrecken dürfen. Ihnen gehört ja die Welt! Warum soll sich nicht auch eine Frau kaufen lassen? Ah! die Speculation auf die liebe Eitelkeit mag wohl selten fehl gehen. Wenn ich mir vorstelle, daß Du Dich so entwürdigen könntest, Helene –!“ Und nun folgte im heftigsten Tone eine Fluth von Angriffen gegen die armen Mädchen, die durchaus „versorgt“ sein wollen und für erbärmlichen Tand auf die heiligsten Rechte des Herzens verzichten. Ein leichtfertiges Ding sei ihm lieber und achtenswerther, als eine so kluge Rechnerin. Er redete sich so in Eifer, daß sein Vater es nöthig fand, sich einzumischen und vor übereilten Schlüssen zu warnen.
Auf Helene machte sein heftiges Dreinfahren durchaus nicht den erwünschten Eindruck. Sie wußte nur zu gut, daß der Vetter in seiner üblen Laune ebenso Robert Berghen, als ihr selbst Unrecht that. Er war ja mit Allem unzufrieden, was ihre Person betraf, wie hätte er in diesem Falle sich rücksichtsvoller benehmen sollen? Sein Uebereifer wirkte komisch. Was wollte er denn? Am Ende, daß sie gar nicht heirathen sollte?
„Was hat nur Walter gegen ihn?“ fragte Helene einmal nach einer recht unartigen Begegnung. Der Alte zuckte die Achseln und machte dabei ein wunderlich pfiffiges Gesicht. „Unsinn,“ sagte er, „Unsinn! Er weiß selbst nicht, was er will und kann. Ein Student!“ Durch diese Charakeristik wurde ihr der Vetter nicht verständlicher.
Helene gab ihr Jawort. Robert war außer sich vor Freude darüber. Sie wurde aber bald gedämpft, als er zu Hause glückstrahlend von seiner Verlobung Anzeige machte und nur lange Gesichter zu sehen bekam. Seine Mutter schien sich ernstlich auf eine Erörterung gar nicht einlassen zu wollen. Selma sprach von der Romantik, die sich leider in der Praxis oft so schlecht bewähre. Vera hatte erwartet, daß er sich seine Braut unter ihren Freundinnen aussuchen werde. Osterfeld lachte ihn geradezu aus.
So verdrießlich es Robert war, mußte er doch Helene bitten, für jetzt nicht zu verlangen, den Seinigen vorgestellt zu werden. Sie trat sofort zurück. Nur dann könne sie ihm nun noch angehören, wenn seine Mutter selbst sie aussuche und für ihren Sohn werbe. Bis dahin dürfen sie einander nicht wiedersehen.
Robert gab die Partie nicht verloren. Mit einer Energie, die man an ihm ganz ungewohnt war, betrieb er seine Herzensangelegenheit bei der Mutter, wohl wissend, daß sie die entscheidende Stimme habe. Anfangs setzte sie freilich seinen Ansinnen ein empörtes: „Niemals!“ entgegen. Aber das Mädchen fing ihr doch an zu imponiren, das diese Forderung gestellt hatte und darauf in stolzester Haltung bestand. Robert drohte in’s Ausland zu gehen, das schien ihr unerträglich.
So entschloß sie sich denn, nachzugeben. Als sie einmal dieses Schwerste überwunden hatte, erledigte sie denn die heikle Angelegenheit auf die liebenswürdigste, auch für Helene freundlichste Weise. Nur nicht die Leute über Dinge reden lassen, die bei den Betheiligten schon abgethan waren. Und vor Allem den Töchtern und dem Herrn Schwiegersohn gegenüber die volle Autorität beweisen! Wer nicht wußte, was hinter den Coulissen gespielt hatte, mußte glauben, daß allen Familienangehörigen nichts Erwünschteres sich hätte ereignen können, als diese Verlobung, die nun wenige Wochen später mit so viel würdiger Repräsentation öffentlich gefeiert wurde, als bei der noch fortdauernden Trauer um den verstorbenen Chef des Hauses schicklich und zulässig schien.
Es folgte dann für das junge Paar eine sehr glückliche Zeit. Helene war bald der erklärte Liebling der Mama und die vertraute
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 663. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_663.jpg&oldid=- (Version vom 18.12.2023)