Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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No. 41. | 1883. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Die Braut in Trauer.
Onkel Grün wischte sich mit seinem rothen Taschentuche über die Augen.
„Von etwas Anderem!“ knurrte er. „Ja, womit unterhalte ich Dich denn, Lenchen? Von rechtswegen solltest Du mir die Neuigkeiten zutragen. Aber da fällt mir ein …“ Er öffnete einen kleinen Wandschrank und nahm einen Brief heraus. „Willst Du einmal lesen?“
„Von wem?“
„Von meinem Sohn, Lenchen.“
„Von Walter …“
Sie schien zu zögern.
„Lies nur, es sind keine Geheimnisse darin. Und über die gute Nachricht wirst Du Dich auch freuen, wenn Du dem Vetter Grün auch nicht sonderlich grün gewesen bist.“
Er lachte herzlich über das billige Wortspiel und schob ihr den Brief in die Hand. Dann konnte er aber doch nicht abwarten, bis sie ihn zu Ende gelesen hatte, obschon er inzwischen seine Taschenuhr mit den Wanduhren verglich und einige Zeiger stellte. „Das Beste steht zuletzt,“ rief er, „er hat nach glänzend bestandenem Examen hier eine Stelle am Gymnasium angenommen, kommt wieder zu seinem alten Vater zurück. Nun, sein Stübchen soll er in Ordnung finden.“
„Das wird Dir lieb sein,“ sagte Helene ohne sonderliche Bewegung. „Wie lange war Walter fort?“
„Fast drei Jahre,“ antwortete der Alte. „Er war ja noch Student, als er ging. Ganz richtig! Er wollte durchaus fort, als Du Dich mit Robert Berghen verlobt hattest. Er hatte sich’s nun einmal in den Kopf gesetzt, daß Du das Seminar durchmachen und Gouvernante werden solltest.“
Helene erröthete leicht.
„Er quälte mich wirklich ein bischen mit seinen pedantischen Grillen,“ sagte sie. „Ich konnte es ihm in nichts recht machen.“
„Seine Beweise von Zärtlichkeit waren freilich etwas bärenmäßig.“
„O! Er hatte sein grausames Vergnügen daran, mir fortwährend die Wahrheit zu sagen.“
Onkel Grün blinzelte mit den freundlichen Augen.
„Zu schulmeistern wird er jetzt nichts mehr finden.“
„Glaube das doch nicht, Onkelchen. Leute seiner Art können es nicht lassen. Und jetzt ist gewiß an mir noch viel mehr auszusetzen, als damals. Wenn Du schon mit mir nicht zufrieden bist …“
„O, o! Das ist etwas anderes."
„Nein, nein! Walter mit seinen scharfen Augen wird noch viel tiefer sehen oder zu sehen meinen. Er wird alles an mir unnatürlich, verschroben, unehrlich finden. Auf die Umstände Rücksicht zu nehmen, war er niemals geneigt. Weißt Du – ich fürchte mich recht vor ihm.“
„Aber Lenchen!“
„Du kannst mir das nicht so nachempfinden, Onkel,“ fuhr sie eifrig fort. „Recht habe ich doch. Und wenn er gar kein Wort sprechen würde, ich könnte ihm von den Augen ablesen, was er dächte.“
Der alte Herr schüttelte den Kopf und sah dabei schon ein wenig verdrießlich aus, obgleich der Mund das freundliche Lächeln festzuhalten suchte. „Da thust Du ihm gewiß zu viel,“ sagte er. „Du steckst voll Einbildungen, Kind.“
„So!“ entgegnete Helene in schmollendem Ton und zugleich weinerlich , „ist das auch Einbildung, daß er mir damals, als er wegging, offen herausgesagt hat …“ Sie stockte.
„Nun, was hat er Dir gesagt, Lenchen?“
„Es war eigentlich recht abscheulich. Er hat mir gesagt, er glaube gar nicht daran, daß ich Robert Berghen liebe. Das Wort hat mich tief gekränkt, Onkel, und ich kann’s ihm gar nicht verzeihen.“
„Lenchen!“
„Nein, nein! Es sollte mich vor mir selbst recht in den Staub hinabdrücken. Etwas Kränkenderes konnte mir gar nicht gesagt werden. Ich hätte gern davon geschwiegen, wie ich bis jetzt geschwiegen habe. Aber da Walter nun zurückkommt – und es Dir doch auffallen müßte, wenn unser Verkehr nicht so freundschaftlich ist, wie es sich für Verwandte schickt – und weil Du mir dabei eine Schuld beimessen könntest, von welcher ich mich frei weiß, darum habe ich gesprochen, Onkel. Aber es ist nur für Dich. Walter erfährt nichts davon, daß ich geplaudert habe – hörst Du? Das würde mich bei ihm in noch schlechteres Licht setzen.“
„Auf meine Verschwiegenheit kannst Da rechnen,“ versicherte er. „Aber es thut mir doch aufrichtig leid …“
Sie schloß ihm den Mund mit einem Kuß.
„Sorgen brauchst Du Dir deshalb gar nicht zu machen,“ sagte sie. „Aber damit er nicht wieder etwas äußert, was mich verletzen muß – über meine schwarzen Kleider etwa – erkläre ihm das alles, Onkelchen, recht aus meiner Lage heraus, und übernimm gegen ihn meine Vertheidigung, auch wenn Du ihm lieber zum Munde reden möchtest. Es wird sich dann schon nach
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 661. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_661.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2024)