Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Gitterwerk übertragen, welches Sie ohne Schwierigkeit sich auf einem Blatte Querfolio mit Bleistift und Lineal selbst herstellen können, wenn Sie es nicht vorziehen, es sich in sauberer Herstellung fertig zu kaufen.[1] Sie nehmen schon Ihr halbvergessenes Zeichenmaterial hervor, und bereits liegt ein halbirter Bogen Schreibpapier vor Ihnen ausgebreitet! Nun denn, machen Sie sich die Temperaturtabelle selbst; das ist jedenfalls, wenn man sie erst kennen lernen will, nützlicher.
Sie werden aus dem beifolgenden stark verkleinerten Schema, das Ihnen als Vorlage dienen mag, sich leicht zurechtfinden.
Links sehen Sie in senkrechter Richtung das Abbild eines Theiles der Celsius-Scala, welche, damit man nicht durch zu viele Theilstriche irre wird, nur in Fünftel getheilt ist. Die ganzen Grade gehen als stärkere, die Thellstriche als dünnere horizontale Linien weiter. Ferner sehen Sie abwechselnd stärkere und dünnere senkrechte Linien. Die stärkeren bedeuten Mitternacht, die dünnen Mittag. Zwei stärkere Linien umschließen einen ganzen Krankheitstag. Die Morgenzeit wird also zwischen die starke und dünne Linie, die Abendzeit umgekehrt zwischen die dünne und starke Linie fallen.
Sie bemerken früh, daß ein Ihnen anvertrautes Kind mit Unwohlsein und etwas Hitze erwacht, und die Messung ergiebt Ihnen 38,4. Diesen Befund tragen Sie zunächst in Ihr Notizbuch ein und gleichzeitig markiren Sie ihn auf der Temperaturtabelle an richtiger Stelle (mit Tinte) durch einen Punkt. Mittag ein Uhr messen Sie wieder. Sie finden 38,8 und markiren sich auch dies. Ihre Hoffnung, daß Bettruhe und entsprechendes Verhalten diese offenbar erhöhte Temperatur wieder ausgleichen würde, hat sich nicht erfüllt; Sie finden Abends 39,6 und ein Blick auf die mit Lineal hergestellte Verbindung dieser drei durch Messung gefundenen Punkte zeigt Ihnen deutlich ein Ansteigen der Körperwärme. Sie werden nicht zögern, einen Arzt zu Rathe zu ziehen, und wenn Sie ihm lediglich diese Beobachtungen mittheilen, ohne sich ein Urtheil über die Deutung derselben zu erlauben, wird er von diesen objektiven Wahrnehmungen, die ihm die Diagnose sehr erleichtern können, angenehm berührt sein und sich freuen, wenn die Notizen gewissenhaft fortgesetzt werden. Das Entsetzliche für den Arzt sind nur die ihm von halbunterrichteten Müttern entgegengebrachten, natürlich meist falschen Diagnosen, die übertriebenen Aeußerungen mancher Frauen, ganz besonders bezüglich des Fiebers. Vergessen Sie darum nicht, daß selbst hohe Fiebersteigerung bei Kindern schnell vorübergehend und sehr bedeutungslos sein kann und daß zuweilen von geringfügigen Störungen gerade das Kind eine scheinbar stürmische Vermehrung der Körperwärme erfährt, die sich ebenso schnell wieder ausgleicht.
Im vorliegenden Falle finden Sie die kleine Patientin am anderen Morgen nicht fieberfrei; die Temperatur ist nur wenig gesunken; sie hat die Norm nicht erreicht. Ihr Arzt constatirt dies bei dem Morgenbesuche; er verordnet das Nöthige, und Sie haben ihm durch die vorherige Messung Zeit und Mühe gespart. Bis zum Abend ist die Temperatur noch höher gestiegen, bis auf 40,3. Jetzt hat der Arzt ein Bad von 26° R. angeordnet, das nach und nach durch Zugießen von kaltem Wasser bis auf 20° R. abgekühlt werden soll, worauf dann zum Schluß noch eine Uebergießung von 16° R. über Hinterkopf und Nacken des fieberhaft aufgeregten Kindes stattfinden sollte. Sie befolgen dies getreulich und sehen zu Ihrer Freude, wie die Temperatur alsbald und am andern Morgen dauernd wesentlich herabgegangen ist, wie sie – und das ist maßgehend – am Abend nicht wieder gestiegen, sondern zur Norm zurückgekehrt ist, um sich aldann nur noch in deren Grenzen zu bewegen.
Nicht immer verläuft ein Fieber so rasch und günstig, wie Sie es bei diesem ziemlich harmlosen Debut erlebt haben. Zuweilen bewegt es sich wochenlang in hohen Regionen und zeigt nur geringen, morgendlichen Abfall oder steile Thäler und Erhebungen. Manchmal fällt es in langsamen Stufen allmählich ab, manchmal sinkt es rasch bis zur Norm oder selbst unter dieselbe – das Bild der sprichwörtlich gewordenen „Krisis“.
Diese Curve hat natürlich bei jeder fieberhaften Krankheit, wie Wechselfieber, Masern, Scharlach, Pocken, Lungenentzündung, Halsentzündungen etc., einen ziemlich gesetzmäßigen Verlauf, der aber bei jedem Menschen Verschiedenheiten darbietet. Aha! Jetzt sehe ich förmlich, wie Sie das Ohr spitzen – denn nun, denken Sie, kommt die Hauptsache! Jetzt werde ich lernen, wie ich aus der Temperaturcurve erkennen kann, welche Krankheit ich vor mir habe.
Leider muß ich so ungalant sein, Ihnen diesen Wunsch zu versagen. Der Laie soll ‚nicht mit dem Feuer spielen‘, das heißt: er soll nicht über das hinaus wollen, was ihm frommt. Ueberlassen Sie die Beurtheilung, die Deutung Ihrer Beobachtungen vertrauensvoll und bescheiden dem auf wissenschaftlichem Boden stehenden Arzt und bedenken Sie, welche Summe von Fleiß, welche Unzahl von Beobachtungen dazu gehört hat, ehe Kliniker und Aerzte wie Bärensprung, Traube und Wunderlich die Lehre von der Krankenthermometrie wissenschaftlich begründen, Andere, wie Ziemssen, Thomas, Jürgensen, Liebermeister, Bartels, Obernier, sie weiter ausbauen konnten. Was solche Fachmänner zum Theil als Hauptaufgabe ihrer Thätigkeit betrachteten, dies einem Nichtarzte im Handumdrehen beibringen zu wollen, wäre eine sinn- und zwecklose Profanation. Bedenken Sie ferner, daß die Wärmemessung ja nur ein kleiner Theil der Fieber- und Krankenbeobachtung ist und daß man ihre Ergebnisse nur im Zusammenhange mit allen anderen Symptomen richtig würdigen kann, wozu nur der Arzt befähigt ist.
Gewiß werben Sie darnach einsichtsvoll Ihre Hand davon lassen, ein gefährliches Spiel mit Ihnen nur halbverständlichen wissenschaftlichen Mitteln zu wagen.
Bleiben Sie bei der Uebung in der Technik der Thermometrie, in dem Gebrauche des Thermometers, und Sie werden schon sehr Vieles und sehr Ersprießliches leisten.
Der Wunsch, diese Kenntniß und Fertigkeit in immer weitere Kreise, zumal von Frauen, zu tragen, erfüllt wohl jeden Arzt. Was mich betrifft, so habe ich mich bemüht, dem Uebelstande, daß ein Krankenthermometer nach Celsius in so wenigen Familien vorhanden ist, meist nur ein Stuben- oder Badethermometer nach Réaumur, durch Angabe eines neuen Thermometers abzuhelfen, das, ohne theurer und größer als ein Krankenthermometer zu sein, doch zugleich für Luft-, Stuben,- und Bademessung leicht verwendbar ist. Ich habe das kleine nützliche Instrument, das auf der ‚Hygiene-Ausstellung‘ zum ersten Male an die Oeffentlichkeit trat und das jeder geschickte Thermometerfabrikant herstellen kann (vorschriftsmäßig vorräthig ist es bei R. H. Paulcke in Leipzig), wegen seiner vielfachen Verwendbarkeit, die allen Zwecken der häuslichen Gesundheit- und Krankenpflege dient, ‚Universal-Thermometer‘ getauft, um dem Kinde einen Namen zu geben.
Wollen Sie wissen, wie es aussieht und verwendet wird? Sehr gern! Beistehend eine bildliche Darstellung! Sie sehen zunächst ein Krankenthermometer vor sich, welches Sie auf den ersten Blick wohl nicht von dem üblichen unterscheiden werden. In Wirklichkeit besteht der Unterschied darin, daß die Quecksilbersäule, etwa von 34,0° C. aufwärts bis 43,0° C. dünner, darunter und darüber dicker ist. Dadurch rücken innerhalb dieser Grenzen die Grade aus einander und gestatten Eintheilung in Zehntel. 37,5° ist mit einem rothen, 36,5° mit einem blauen Strich markirt, da
- ↑ In Leipzig hat der Lithograph Fritzsche, Langestraße, solche Tabellen vorräthig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 657. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_657.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2024)