Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Mit dem Thermometer vertraut, wird eine Mutter nicht mehr nöthig haben, zu sagen: ‚Ich glaube, mein Kind hat Fieber!‘ An die Stelle des Vermuthens, des bangen Zweifelns tritt das Wissen, die Bestimmtheit. Freilich läßt sich hier nicht das Wesen des Fiebers, die Lehre vom Wärmehaushalt des Körpers und seiner krankhaft erhöhten Wärmebildung erläutern; ich habe dies in einem mit vielen Abbildungen versehenen Werke ‚Das Kind und seine Pflege im gesunden und kranken Zustande‘, zweite Auflage (Leipzig, J. J. Webers ausführlich, in Verbindung mit der Lehre von den Krankheitszeichen des Kindes und der Lehre von der Krankenpflege, erörtert. Sie wissen jedoch, und das muß hier genügen, daß der menschliche Körper eine Normal-Temperatur besitzt, die allerdings zwischen 36,5° und 37,5° C. schwankt, aber doch im Wesentlichen in diesen Grenzen bleibt. Auch dürfen Sie getrost, besonders beim Kinde, noch eine Temperatur von 36,0 und 38,0 als ziemlich normal betrachten, ohne sich Bedenken hinzugeben. Nur was darunter oder darüber ist, das ist als verdächtig anzusehen und ernster zu nehmen.
Nach aufwärts zu pflegt man ein Steigen bis 38,5 als ‚leichte Fieberbewegung‘, bis 39,5 als ‚mäßiges Fieber‘, bis 40,5 als ‚beträchtliches Fieber‘ zu bezeichnen. Höchstes Fiebers ist ein Ansteigen der Körperwärme bis etwa 42,0. Sinkt andererseits die Temperatur bis auf 35,0 so ist dies ein ‚mäßiger Verfall‘. Ein Sinken bis auf 33‚5° C. deutet auf ‚tiefen Verfall‘.
Daß über 42,0° der Körper die Fieberhitze kaum erträgt, unter 33,5 die Lebensenergie sinkt, werden Sie sich ohne Weiteres selbst sagen. Solche Extreme hält eben der Organismus nicht lange aus.
Machen wir nun die Probe und messen wir die Hautwärme des Kindes. Ist es noch klein, das heißt in den ersten Lebensjahren, so bietet die Achselhöhle noch zu wenig Raum für das Quecksilbergefäßchen des Thermometers. Sie legen deshalb das Kindchen auf die Seite, etwa wie Sie es vom Klystier-Geben schon gewöhnt sind, und führen, nachdem Sie das längliche, cylindrische Quecksibergefäßchen (runde sind nicht empfehlenswerth) mit Mandelöl bestrichen haben, vorsichtig etwa 4 Centimeter weit in den Mastdarm ein. Freilich muß dieser erst von etwaigem Inhalt durch ein laues Wasserkystier befreit sein. Jetzt ist das Quecksilber, rings von Schleimhaut umgeben, im Inneren des Körpers und Sie werden, da diese Messung deshalb ziemlich schnell und genau zu bewirken ist, nach 5 Minuten (nach der Uhr gesehen!) wohl kaum noch ein Steigen des Quecksilbers bemerken. Wenn Sie 2 oder 3 Mal in Zeiträumen von je einer halben Minute bestätigt finden, daß die Temperatur sich gleich bleibt, lesen Sie mit Sorgfalt die ganzen Grade und die kleinen Zehntelstriche ab, nehmen das Thermometer vorsichtig heraus und reinigen es sofort, um es dann, in seiner Holzhülse, wieder an einen sicheren Platz zu legen.
Den Befund notiren Sie, unter Angabe der Zeit der Messung, in ein Büchlein, nicht auf ein loses Blatt; z. B.: am 6. October früh 7 Uhr – 38,8.
Bei manchen Krankenthermometern sind die ganzen Grade blos in Fünftel, bei manchen in Zehntel eingeteilt. Ersteres geschieht nur, um das Ablesen zu erleichtern, weil das Auge durch 4 kleine Theilstriche nicht so leicht, wie durch 9, zu Irrthümern veranlaßt wird. Natürlich bedeuten bei einer Eintheilung in Fünftel die kleinen Striche nur die geraden Zehntel(2/10, 4/10, 6/10, 8/10; die ungeraden Zehntel fehlen, doch können Sie dieselben ja ohne Schwierigkeit sich abzählen. Werfen Sie einen Blick auf beifolgendes vergrößert dargestelltes Stück einer solchen Thermometerscala! 39,1 würde sich zwischen 39,0 und dem ersten kleinen Strich, 39,3 zwischen dem ersten und zweiten Strich befinden. In diesem Falle ist das Quecksilber zwischen dem zweiten und dritten Strich stehen geblieben; Sie notiren also 39,5. Daneben sehen Sie ein Stück eines in Zehntel eingeteilten Krankenthermometers; hier zählen Sie einfach vom letzten ganzen Grad, also im vorliegenden Falle von 38,0 an, aufwärts; Sie zählen 8 Striche, notiren daher als das Ergebniß Ihrer Messung 38,8.
Sie sehen, die Sache ist sehr einfach. Sie erfordert nur Geduld, Sorgfalt und ein etwas scharfes Auge, die bekannten Requisiten für jede excacte Beobachtung. Ungeduld, welche es nicht erwarten kann, den Befund abzulesen und das Thermometer herauszunehmen, ist eine schlechte Eigenschaft; denn meist ist der Zeitpunkt, in dem das Quecksilber zur Ruhe kommt, noch nicht erreicht und darum der Befund ungenau. Allerdings scheinen sich die vorgeschriebenen Minuten der erwartungsvoll gespannten Beobachterin endlos auszudehnen, und auch das Kind wird ab und zu unruhig, und man hat alle Mühe, es zu verhüten, daß es sich herumwälzt, das Thermometer abbricht oder sich zu sehr aufregt. Aber Ueberredung, gutes Festhalten und Selbstbeherrschung und nun sorgfältig genau ablesen! Denken Sie an diese Hauptbedingung, und, wenn es zu dunkel oder Ihr Auge nicht scharf genug ist, gilt es, ein Stümpfchen Licht und ein Vergrößerungsglas bereit halten, um gerade die dem Arzte erwünschten Zehntel gut zu erkennen.
Bei einem größeren Kinde (natürlich auch beim Erwachsenen) genügt das Einlegen des Thermometers in die am bequemsten zugängliche Achselhöhle, deren Haut man sorgsam abtrocknet. Beachten Sie hierbei nur, geehrte Frau, daß das Quecksilbergefäßchen überall von der Haut umgeben sei, nirgends von Luft oder Leibwäsche, und halten Sie 10 Minuten den Arm sanft gebeugt und angedrückt, während Sie die teilweise entblößte Brust leicht bedecken.
‚Zehn Minuten?‘ fragen Sie mich. Allerdings, meine sehr gelehrige Schülerin. Die äußere Haut ist stets, selbst wenn sie ‚im Fieber glüht‘, noch einige Zehntel kühler, als das Innere des Körpers; die an letzterer gefundene Temperatur ist also im Grunde nicht ganz der des Körpers entsprechend und die Mastdarm-Temperatur ein wenig genauer. Doch mögen Sie die Differenz ruhig vernachlässigen, wenn Sie nur die Achselhöhlen-Temperatur nicht eher ablesen, als bis das Thermometer einige Minuten lang gleichen Stand gezeigt hat; denn etwas Zeit ist hier zu Gewinnung eines sicheren Resulutates nöthig.
Auch hier ist der Befund genau abzulesen, so lange das Thermometer noch in der Achsel liegt. Sie – als nunmehrige Kennerin – werden fast ungläubig lächeln, wenn ich Ihnen berichte, daß Neulinge zuweilen mit dem aus der Achselhöhle genommenen Thermometer erst nach dem Fenster gehen, um dort, bei besserem Lichte, den Quecksilberstand (der ja inzwischen schnell gesunken ist) abzulesen. Das dürfte man sich höchstens bei einem sogenannten Maximal-Thermometer erlauben, dessen Quecksilber in Folge einer sinnreichen Einrichtung fest auf dem höchsten Punke stehen bleibt und noch nach Stunden das Ablesen ermöglicht. Für Ihren gewöhnlichen Gebrauch bedürfen Sie dieses etwas subtilen, leicht aus der Ordnung kommenden Instrumentes nicht.
So messen Sie nun, wenn Ihnen Ihr Arzt keine anderen Zeiten vorgeschrieben hat, früh 7 Uhr, Mittags 1 Uhr, Abends 7 Uhr und so fort und notiren sich den Befund recht übersichtlich, stets unter Angabe des Datums. Der Tag der Fieberbeobachtung beginnt und endet mit den Glockenschlägen der Mitternacht, ganz wie der Tag, nach dem die Eisenbahnen rechnen. Die Frühmessung und Abendmessung sind es nun, auf die es hauptsächlich ankommt. Ist schon die Temperatur des gesunden Menschen nicht ganz feststehend, sondern früh einige Zehntel niedriger, als Abends, sodaß sie gewissermaßen eine leichte Wellenlinie darstellt, so ist dieser Unterschied bei Fieber viel greller, und es bleiben weder die Höhen der Morgen- noch die der Abendtemperatur sich gleich. Hebungen und Senkungen kommen, wenn man sich die gefundenen Temperaturen graphisch darstellt, in großer Mannigfaltigkeit, aber doch bei einzelnen Krankheiten in bestimmten Formen zum Vorschein. –
‚Graphisch darstellen! Bitte nicht so gelehrt, lieber Doctor!‘ höre ich Sie jetzt, und zur rechten Zeit, mich ermahnen. Und dennoch sind wir schon mitten in der Erklärung eines Begriffs, der Ihnen vielleicht auch noch nicht vorgestellt war: ‚Temperatur-Curve‘. Sie haben doch gewiß schon jene räthselhaften Wellenlinien in Veröffentlichungen der Meteorologen, der Statistiker etc. gesehen, welche das, was in Zahlen gefunden wurde und erst Vorstellungen nöthig macht, bildlich, für das Auge sofort und viel klarer übersehbar darstellen. In ähnlicher Weise können Sie sich die mit dem Krankenthermometer gefundenen Zahlen auf ein
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 656. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_656.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2024)