Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Könige des Hauses Stuart gewesen sein, ihre Feinde unter dem Thore ihres Palastes in einer feuchten, dunklen Grube zu wissen!
Erst wenn man die Treppen hinaufsteigt, wird der Zustand der Verwüstung, in welcher sich das Schloß befindet, recht ersichtlich. Der Stein tritt überall nackt an’s Licht; die Decken sind eingestürzt; von oben, von den Seiten blickt der graue, schottische Himmel in die Ruine hinein. Und doch war Linlithgow noch im vorigen Jahrhundert einer der schönsten Paläste Schottlands, bis die Dragoner des englischen Generals Hawley in der Nacht vor der Schlacht bei Falkirk im Jahre 1745 in einem Zimmer ein Feuer ausbrechen ließen, welches das ganze Gebäude zerstörte.
Wir gehen rasch durch den ehemaligen Parlamentssaal, der mehrere Feuerherde von unglaublicher Größe aufzuweisen hat, wir verweilen einen Augenblick in der anstoßenden Capelle, wo, nach der Ueberlieferung, eine Erscheinung den König Jakob IV., den Großvater Maria’s, vor dem Kriege gegen England warnte, und betreten darauf den westlichen, den ältesten Flügel, welcher die Privatgemächer der königlichen Familie enthält. Ein weiter Raum wird als das Wohnzimmer der Königin bezeichnet; in dem anstoßenden etwas kleineren fand die Geburt Maria Stuart’s am 8. December 1542 statt. Beide Zimmer haben eine liebliche Aussicht auf den Rasengrund und den See. Die Wände sind so dick, daß auf den Fensterbänken jedes Fensters vier Personen Platz finden.
Als die Prinzessin hier geboren wurde, lag ihr Vater in einem entfernten Schlosse im Sterben. Auf die Nachricht von der Geburt Maria’s sagte er schwermüthig: „Es kam mit einem Mädchen und es wird mit einem Mädchen zu Ende gehen!“ Das waren die letzten, bitteren Gedanken des noch jugendlichen, unglücklichen Königs. Es fehlt auch selbst hier nicht an der für ein Stuart-Schloß charakteristischen Umgebung. Denn in dem anstoßenden Gemache wird uns eine geheime Treppe gezeigt, auf welcher Jakob III. den Nachstellungen seines rohen Adels, der ihm nach dem Leben trachtete, mit knapper Noth entkam.
Langsam steigen wir nun eine der Wendeltreppen hinan und schauen, auf dem damaligen Dache angekommen, längs der senkrecht emporsteigenden, rauchgeschwärzten Mauern in die stillen, trümmerbedeckten Räume. Eine gewundene Treppe, welche noch höher führt, scheint in der Luft zu schweben. Die Verlockung ist so gewaltig, daß wir rasch hinaufeilen. Mit der letzten Stufe haben wir den höchsten Punkt des Schlosses erreicht. Rings liegt das Land ausgebreitet vor uns. Gegen Norden, hinter den Hügeln, welche den See umgeben, streckt sich die helle Fläche des Meerbusens von Forth (Firth of Forth) in’s Land. Auf dieser Seite begrenzen den Blick die edelgeformten kräftigen Berge der Grafschaften Fife und Kincardine. Südlich erhebt sich schönes, das Städtchen Linlithgow umgrenzendes Hügelland. Und jetzt, wo wir die Aussicht nach einer andern Richtung genießen wollen, verdeckt uns den Blick ein kleines, achteckiges Thürmchen, vor dessen Thür wir stehen und welches wir bisher nicht bemerkt hatten. Wir treten neugierig durch den niedrigen Eingang ein, wir befinden uns im Lieblingsstübchen der Königin Margarethe (Queen Margaret’s bower). Hier saß die Fürstin, die Großmutter Maria Stuart’s, tagelang, nachdem ihr Gemahl Jakob IV. in den Krieg gegen England gezogen war, und schaute sehnsuchtsvoll hinüber nach den Hügeln, in der Hoffnung, den Zug der wiederkehrenden Krieger zu erspähen. Endlich ward ihr die Kunde, daß der Gemahl mit allen seinen Mannen auf dem Schlachtfelde zu Flodden Field erschlagen liege. Einige Verse Walter Scott’s über der Thür deuten die Stimmung der unglücklichen Fürstin an, und wahrlich, wenn man an einem schwermüthigen, schottischen Herbstabend hoch über dieser Trümmerwelt steht, dann flößen die beängstigende Stille, welche auf der Landschaft ruht, und die Bilderkette von Rohheit, Verrath, Mord und Unglück, welche das alte Schloß vor unserer Seele entrollt, etwas von der grenzenlosen Einsamkeit und Trauer der hoffenden und verzweifelnden Königin in das Gemüth. So groß ist sie, daß man sich versucht fühlt, die Geschichte Margarethens für die Erfindung eines Dichters zu halten, der, seine Phantasie entlastend, die Gestalt der unseligen Fürstin aus seinen Empfindungen schuf, um in Anderen einen Nachhall der Gefühle zu wecken, welche ihn hier durchbebten. So stark ist sie, daß man hinuntereilt, um das alte, ungastliche Gemäuer zu verlassen und den düsteren Empfindungen, welche es hervorruft, zu entrinnen.
Und schon dampfen wir durch die hügelige Gegend. Das Land dehnt sich bald zu einer weiten Ebene aus. Rechts erheben sich die Pentland-Hügel. Die Häuser ballen sich allmählich dichter zusammen. Wir fliegen durch einen Tunnel, halten, steigen eine Treppe hinauf und befinden uns in Princes’ Street in Edinburgh. Es giebt vielleicht keine Straße in Europa, welche sich an eigenthümlicher Schönheit mit ihr messen kann. Auf der Nordseite stehen stattliche, hohe Häuser; von der Südseite, welcher neben mehreren öffentlichen Gebäuden besonders das Walter Scott-Denkmal zur Zierde gereicht, hat das Auge einen entzückenden Blick auf ein im üppigsten Grün schimmerndes Thal, dessen gegenüberliegender Abhang schroff und steil zu der ausgedehnten Hochfläche emporsteigt, auf welcher die schweren Massen von Edinburgh Castle lasten. Schöne Brücken überspannen die Schlucht. Eine derselben führt uns aus der eleganten Neustadt, an deren Saume wir uns befanden,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 648. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_648.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)