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Seite:Die Gartenlaube (1883) 647.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

der deutschen Hochschulen, verbietet die Unterstützung evangelischer Anstalten von Seiten auswärtiger Herrscher und Staaten, während die Verbindungen der römisch-katholischen Behörden mit dem Ausland hiervon ausgenommen werden.

In diesem schweren Kampfe um die höchsten Güter sind die sächsischen Abgeordneten im Pester Reichstage Schulter an Schulter gestanden, allen voran Joseph Gull, Dr. Karl Wolff, Adolf Zay. Wir können, was sie geredet, hier nicht einmal auszugsweise andeuten. Die Reden sind gedruckt und seien hiermit jedem deutschen Manne, der die Ehre des deutschen Geistes hoch hält, dringend zur Beachtung empfohlen. („Der Mittelschulgesetzentwurf im ungarischen Reichstag. Uebersetzung aus den stenographischen Reichstagsberichten.“ Hermannstadt, 1883. J. Drotleff[WS 1].) Es giebt Zeiten, wo schon das Wort eine That ist. Solche Worte sind jene Reden! Sie sind es in ihrer Entschiedenheit, in ihrer Berufung auf das Gesetz, in ihrer Sachlichkeit, und all das um so mehr, als es sich nur zu wahr gezeigt, was Gull bezüglich einer Rede des Ministerpräsidenten Tisza sagte, in der dieser in gewohnter Weise, ohne Gründe, gegen die Sachsen „gehetzt“ hatte: „Ich wußte es sofort, daß, nachdem nun der Damm durchbrochen worden, das gewisse getrübte Wasser in mächtigen Wogen hervorbrechen werde!“

Und wie trüb und wie schmutzig!

Wir aber freuen uns, daß das deutsche Recht solche Vorkämpfer in Ungarn gefunden, und sprechen mit den Worten der Zustimmungsadresse, die mit vielen tausend Unterschriften den sächsischen Abgeordneten den Dank des Sachsenvolkes darbringt: „So wenig die Aussichtslosigkeit des Kampfes Sie abgehalten hat, Ihre Pflicht zu thun, ebenso wenig wird der augenblickliche Mißerfolg uns abhalten, zu glauben, daß das gebeugte Recht doch noch Anerkennung finden werde!“[1]

Für dieses gebeugte Recht auch in der sächsischen Nationsuniversität (früher politische Vertretung des Sachsenlandes, jetzt Verwalterin des sächsischen Nationalvermögens) einzutreten, hat das sächsische Volk die drei Männer, Gull, Wolff und Zay, im Mai dieses Jahres auch als ihre Vertreter dorthin gewählt. Unmittelbar nach der Mittelschuldebatte bedeutet das zugleich eine glänzende Anerkennung ihrer Haltung – der Haltung deutscher Männer!




In den Schlössern der Maria Stuart.

Warum ist das Interesse an Maria Stuart noch nicht erloschen? Weshalb suchen nicht nur Dichter und Maler, sondern auch Geschichtschreiber immer wieder die Gestalt der unglücklichen Königin aus Jahrhunderte langem Schlummer zu wecken? War sie etwa eine große Fürstin? Zeichnete sie sich durch Seelenadel und Tugenden vor ihren Zeitgenossen aus? Kann ihre Schönheit den Antheil erklären, den wir Alle an ihr nehmen? Sind wir vielleicht Sclaven des romantischen Hauches, welcher die harten, alltäglichen Linien in den Zügen der Männer und Frauen des Hauses Stuart verhüllt? Verdeckt uns nicht der süße, sentimentale Nebel die nüchterne Wahrheit, daß ein Element des scheinbar auf der Königsfamilie lastenden Fluches nichts anderes ist, als die naturgemäße Strafe für alle die Fehler, welche aus den geistigen und sittlichen Mängeln ihrer Glieder entspringen: aus der Unfähigkeit, ihre Zeit zu begreifen, aus überspanntem Idealismus, falscher Ritterlichkeit, unkluger Hartnäckigkeit und der Vorliebe für krumme Wege? Läßt das Unglück der schönen Frau eine Saite in unserem Herzen anklingen? Spricht das Geheimniß, welches noch immer ihr Leben umschwebt, zu unserer Phantasie? Oder verlangt es eine Lösung von unserem Verstande? Ja, was bewegt mich denn, die schmutzige Hauptstraße des schottischen Städtchens hinabzuwandern?

Ich beantworte diese Fragen nicht nur nicht, sondern ich stelle mir obendrein die neue, ob diese Umgebung der Ehre würdig ist, der Geburtsort Maria Stuart’s zu sein …

Dort stand das Haus, aus welchem Hamilton den Regenten erschoß, sagt mein Begleiter, im Begriff, mich zu verlassen. Wie ich mir die Begebenheit recht lebendig vorstelle: ein Haufen Gewappneter reitet hinab die schmale, vom Pferdegetrappel widerhallende Straße; der Regent, inmitten schottischer Ritter, schaut hinauf zu den Fenstern, aus denen sich neugierige Gesichter drängen; jetzt übertönt ein Schuß das Rauschen des Zuges, der Regent taumelt, Verwirrung in den stockenden Reihen, Edle drängen sich um Murray, Andere springen vom Pferde, schlagen die Hausthür ein – da erblicke ich an eben dieser Thür, sanft an die steinerne Einfassung gelehnt, ein Mädchen von fremdartiger Schönheit. Schwarzes Haar umrahmt die breite Stirn. Die Augenbrauen beschreiben einen klar gezeichneten Bogen um die großen, tief leuchtenden Augen. So üppig der rosige Mund! Und wie das großcarrirte Tuch, welches sie um die runden Schultern hält, zu den kräftigen Farben ihres gebräunten Gesichtes paßt! Eine echt keltische Erscheinung, die man selten in Norfolk und Suffolk finden würde. Und vielleicht bildet die schmutzige Stadt mit den dunkeläugigen Keltenmädchen und der Erinnerung an ein Verbrechen doch den passenden Eingang zum Stuart-Schlosse Linlithgow.

Jetzt erblicke ich zum ersten Mal seine düsteren Umrisse. Den Kiesweg hinaufschreitend, an der alten Kirche vorüber, werde ich den massenhaften Charakter des viereckigen Gebäudes gewahr. Noch stehen die Mauern des ausgebrannten Schlosses unerschüttert, aber es kann auch dem flüchtigsten Beschauer das Gepräge des Ruinenhaften nicht verbergen. Die hohen Fensteröffnungen sind nicht leer, denn Dohlen und Krähen, die gewöhnliche Beigabe alter Schlösser, fliegen dort krächzend ein und aus. Eigenthümlich ruhig erscheint neben dem schweren, starren Gemäuer der glatte See, der sich zur Linken an den sanft abfallenden Rasengrund schmiegt und sich still zu den gegenüberliegenden Hügeln dehnt. Welches bunte Gewoge von Damen und Rittern, von schlanken Schotten und anmuthigen Französinnen in diesem Parke, auf jenem See, als Jakob V. und Maria von Guise hier ihren prunkenden Hof hielten! …

Eben bedeutet mir ein Mann in Uniform und mit einem schweren Schlüsselbunde in der Hand, ihm in das Schloß zu folgen. Wir gehen unter einem einfachen Porticus, durch eine dröhnende Halle hinab in den rechteckigen Hof. In der Mitte liegen die Trümmer eines alten Brunnens. Die vier Wände laufen in vier runden Thürmen zusammen, deren schraubenförmig über einander aufsteigende Fenster auf eine im Innern befindliche Treppe hindeuten. Die uns gegenüberliegende nördliche Façade ist am gegliedertsten und leichtesten. Sie wurde erst von Jakob VI., dem Sohne der Maria Stuart, gebaut und enthält zahlreichere Fensteröffnungen als die ältern Theile des Schlosses. Rechts auf der Ostseite befindet sich der ehemalige Haupteingang, ein weites gewölbtes Thor. Die größte Bedeutung desselben verkündet ein verwitterter Schmuck über dem Thorbogen. Der untere Theil der Zierrath, drei leere, hohe Nischen, fesselt einen Augenblick unseren Blick. Dann gleitet er höher hinauf, wo sich verstümmelte Engel auf der Mauer ausbreiten.

Wir gehen durch die Thorhalle und gelangen am anderen Ende vor einen tiefen verwilderten Graben. Ehemals verband eine Zugbrücke das Schloß und das jenseitige Ufer. Auf demselben ist der Weg, welcher in früheren Zeiten auf den Eingang zuführte, noch deutlich erkennbar. Von hohen Bäumen eingefaßt, biegt er nach rechts durch den Park. Links schimmert der See silbern durch’s Gebüsch.

Auf dem Rückwege in das Innere des Schlosses bleibt mein Führer nach einigen Schritten stehen, nimmt ein Döschen aus der Tasche und empfiehlt mir Aufmerksamkeit. Jetzt beugt er sich vornüber, zündet ein Streichhölzchen an und wirft es in einen finsteren Spalt. Wir sehen es eine zeitlang fallen und dann plötzlich verlöschen. Dies war der Kerker des Schlosses, erzählt er, mich bedeutungsvoll ansehend. Wie angenehm mußte es für die


  1. Wir fügen hinzu, daß denjenigen, die sich über Vergangenheit und Gegenwart des tapferen sächsischen Volkes und die Kämpfe des Deutschthums in Ungarn belehren wollen, nicht dringend genug empfohlen werden kann: G. D. Teutsch, „Geschichte der Siebenbürger Sachsen.“ Leipzig, Hirzel, 2. Auflage, 1874. – R. Heinze, „Hungarica.“ Freiburg und Tübingen, 1882. – K. Ludolf, „Der Sprachen- und Völkerkampf in Ungarn. Ein Bericht und Mahnwort an das deutsche Volk.“ Leipzig, 1882, Mutze.
    Die Red. der „Gartenlaube“.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Detleff
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 647. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_647.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2024)