Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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No. 40. | 1883. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Die Braut in Trauer.
- „Hat das Trauergewand seinen Grund in dem Bedürfniß des Gemüths, der Stimmung des Schmerzes äußeren Ausdruck zu geben? So scheint es. Was ist natürlicher, möchte man sagen, als daß die düstere Stimmung zur düsteren Farbe greift? Wenn der Sonnenschein des Lebens der Nacht gewichen ist, so kleidet sich das Leben in die Farbe der Nacht: in Schwarz. Die Auffassung hat etwas Bestechendes, aber sie erweist sich bei näherer Betrachtung als nicht stichhaltig. Das Schwarz ist nicht des Trauernden, sondern der dritten Personen wegen da, mit denen er in Berührung tritt, es ist nicht die Farbe des Hauses, sondern des Verkehrs, darum wiederholt sie sich außer an dem Kleide und dem Hute (beim männlichen Geschlecht als Flor) auch an dem schwarzen Rande der Briefcouverts, des Papiers, Siegellacks, kurz, die schwarze Farbe kehrt ihr Antlitz nicht dem Trauernden, sondern der Außenwelt zu, sie ist eine unablässig in Erinnerung gebrachte Todesanzeige. Das Schwarz soll eine Scheidewand ziehen zwischen dem Schmerz und dem Scherz, dem Kummer und der Freude, es soll den Trauernden sichern gegen die Heiterkeit der Welt und die Heiterkeit der Welt gegen ihn.“
Die bekannte Equipage mit den beiden Braunen hielt vor dem Consul Berghen’schen Hause in der Liventstraße.
Zu beiden Seiten der Thür hatten sich, wie regelmäßig in diesem Fall, einige Krüppel, alte Weiber und bleiche Kinder aufgestellt, die Abfahrt der gnädigen Frau zu erwarten. Sie wußten, daß es dann für die Bettler jedesmal eine kleine Ernte gab, und ließen sich deshalb die Weile nicht lang werden. Der Kutscher in seiner dunkelgrünen Livree mit schwarzen Aufschlägen saß steif auf dem Bock und ließ nur mitunter die Spitze der Peitschenschnur tupfend auf den Hals oder Rücken der Pferde fallen, wenn sie sich irgend eine kleine Ungehörigkeit erlaubten. Seine würdige Haltung gab keinem Zweifel Raum, daß er sich voll bewußt war, in wessen Diensten er stand.
Endlich bewegte sich die schwere Thür, an der die Messingbeschläge bei der Bewegung aufblitzten. Eine Matrone, ganz in schwarzen Atlas gekleidet, trat am Arm einer schönen jungen Dame heraus, deren Anzug gleichfalls nur die schwarze Farbe erkennen ließ. Sie theilten nach rechts und links Gaben aus und empfingen dafür den üblichen „Gottes Lohn“. Es folgte der Diener mit Mänteln und Fußdecken, und ein Mädchen, das in der einen Hand einen Kranz von Immortellen, in der andern ein Körbchen mit Blumen nachtrug. Die junge Dame half der älteren in den bequemen Wagen und stieg dann selbst ein, der Diener rückte das Fußkissen zurecht und stopfte die Decke unter dasselbe, das Mädchen legte Kranz und Blumen auf den Rücksitz. Die alte Frau nickte freundlich dazu, der Diener schwang sich zum Kutscher auf den Bock und fort ging’s in scharfem Trabe durch die Speicherstraßen am Fluß über die Brücken der Vorstadt zu.
Das Ziel – der Kirchhof nahe am Thor – war als bekannt vorausgesetzt. Die Fahrt dorthin wiederholte sich fast täglich. Das Wetter mußte schon sehr unfreundlich oder ein Unwohlsein die Ursache sein, wenn sie einmal ausfiel. Der heutige Frühlingstag war kühl, aber hell, und die Sonne stand am blauen Himmel noch ziemlich hoch. Die Straßen zeigten sich belebt von Geschäftsleuten, aber auch von Spaziergängern, die sich die günstige Stunde zur Erholung nicht entgehen lassen wollten.
Die schöne junge Dame unterhielt sich lebhaft mit ihrer Begleiterin, half ihr auch das Rückenkissen zurechtlegen, das Kopftuch gegen die Windseite vorziehen und die Decke über den Knieen fester ziehen. Das Gespräch und diese kleinen Dienstleistungen hinderten sie nicht, ihre Aufmerksamkeit auch dem Straßengewühl zuzuwenden, das sie mit seiner bunten Abwechselung zu interessiren schien. Sie hatte den schwarzen Spitzenschleier hoch aufgeschlagen, sodaß er nur die Stirn beschattete, und ließ, ohne den Kopf viel zu bewegen, die Augen munter ausschauen.
„Da geht Lieutenant Kern von der Artillerie,“ sagte sie; „er wird grüßen, Mamachen.“ Dann wieder: „Herr von Blömel reitet ein schönes Pferd, es erinnert ein wenig an Robert’s Fuchs; aber er sitzt schlecht und führt es ungeschickt. Findest Du nicht auch?“ Bald darauf: „Das ist Emma Stein, mit der ich zusammen nach der Schule gegangen bin. Ich glaube, sie hat’s jetzt recht kümmerlich, seit ihr Bruder seine Stelle verloren hat, der die ganze Familie unterhielt, und ist doch zu stolz, sich mit einer Bitte an uns zu wenden. Onkel Benjamin wußte, daß sie Musikstunden suche, aber wenig dabei verdiene. Sie hat ihm ihre Uhr verkaufen wollen, aber er hat sie nicht angenommen und ihr lieber ein Darlehen gegeben. Sie thut mir recht leid. Osterfeld ist doch wohl zu hart gewesen.“
„Mein Schwiegersohn sieht auf Pünklichkeit im Geschäft vor Allem,“ antwortete die Frau Consul, „und der junge Mann hat’s sehr daran fehlen lassen. Für das arme Mädchen wird man ja etwas thun können. Erinnere mich daran, Helenchen. Wär’s nicht übrigens Zeit, liebstes Kind,“ nahm sie nach kurzem Schweigen wieder das Wort, „daß wir unsere Gedanken sammeln und uns auf den Besuch bei unserem theuren Robert im Herzen vorbereiten?“
„Ich brauche eine solche Vorbereitung gar nicht, Mamachen,“ antwortete Helene, mochte aber wohl merken, daß die Frau Consul
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 641. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_641.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2024)