Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Ich weiß, daß in früherer Zeit – und meine Erinnerung reicht gar nicht so weit zurück – der Entschluß eines Mädchens, Schauspielerin zu werden, von den Angehörigen als etwas Unerhörtes, Verwerfliches aufgefaßt wurde; eine Familie glaubte sich dadurch für alle Zeiten der Verachtung des Tanten- und Basenkreises preisgegeben. Heute ist es nichts weniger als auffallend, wenn man von Müttern aus strengbürgerlichen, bureaukratischen oder militärischen Kreisen hört, daß ihre Töchter zur Bühne ausgebildet werde. Leider hört man es zu häufig. Die hohen Gagen berühmter Heroinen, die glänzenden Heirathen einiger Theaterdamen, die Reputation, deren sich anständige Schauspielerinnen heutzutage erfreuen, werden in’s Treffen geführt, um die vielleicht noch vorhandenen Bedenken besorgter Eltern zu verscheuchen, und am Ende gelangt man zu dem Schluß, daß der Schauspielerstand mindestens ebenso geachtet ist, wie ein anderer; überdies winken zwei Chancen: künstlerische Triumphe (hohe Gage) oder reiche Heirath.
Der Sprung aus der bürgerlichen Sphäre ist rasch gethan, leider giebt es erfahrungsgemäß kein Zurück. Es existirt ein Sprüchwort, daß Jeder, der ein Paar Schuhe auf den Brettern zerrissen habe, dem Theaterteufel verfallen sei. Das klingt ganz hübsch, aber unsere Jugend ist vom Theaterteufel überhaupt nicht besessen und der angebliche „dämonische Zwang“ besteht wohl hauptsächlich in dem Behagen an einem ungebundenen, abwechselungsreichen und häufig mühelosen Leben, ebenso wie sich die „geniale Begier“ nach Applaus nur auf die gewöhnliche menschliche Eitelkeit zurückführen läßt. Durchaus genielosen Dilettanten, die nur am Sonntag den Künstlerberuf ausüben, thut der Applaus gerade so wohl.
„Sie geht zur Bühne“ — der Entschluß wäre ja sehr erfreulich, wenn man ihn von Damen hören würde, die durch unwiderstehliche Lust und entschiedene Anlagen, vielleicht noch unterstützt durch Organ und Erscheinung, auf diese Bahn gelenk werden; nimmer aber ist es zu billigen, wenn — und das ist der häufigere Fall — einfach der Bühnenberuf gewählt wird, weil er äußerlich mehr verspricht, als der einer Lehrerin, Comtptoiristin, Gouvernante etc.
Eine Befähigung zur Schauspielerin ist — oberflächlich genommen bei den meisten weiblichen Geschöpfen vorhanden, gewöhnlich auch eine Singstimme, die in den Ohren der Angehörigen zur Primadonna befähigt; die Operncarrière ist vielleicht noch verlockender, und gewissenlose oder unverständige Berather, die solche Mädchen gewerbsmäßigen „Lehrern“ zuführen, geben gewöhnlich den Ausschlag. Nach einer flüchtigen Prüfung ist die Thatsache besiegelt: Sie geht zur Bühne. Leider scheint es in jenen Kreisen nicht hinreichend bekannt zu sein, welcher Ueberfluß an Schauspielerinnen und Sängerinnen zu constatiren ist, von männlichen Bühnenkünstlern gar nicht zu sprechen.
Der letzte Grund ist in der Uebervölkerungscalamität zu suchen, die eine Ueberfüllung aller Fächer herbeigeführt hat. Das mercantilische, das Baufach, Alles ist längst „besetzt“, doppelt und mehrfach besetzt, aber der Kaufmann, der Ingenieur kann im Orient, in Japan, in Amerika eine Existenz finden; der Schauspieler ist an das zwischen Rhein und Wolga liegende geographische Gebiet gebunden, außerhalb desselben sind die Bedingungen seiner Existenz nicht mehr vorhanden.
Das Handwerk könnte noch einen Zufluß an Menschenmaterial vertragen, es ist zu verwundern, daß es nicht in auffälliger Weise an Kräften gebricht; geht doch der Ehrgeiz dieser Stände dahin, die Kinder „was Besseres“ lernen zu lassen; die allein seligmachende Gymnasialbildung scheint auch den dem Handwerkerstand angehörigen Vätern als Bedingung für das Fortkommen ihrer Söhne zu gelten.
Aber es soll ja hier nur von den weiblichen Kunstbeflissenen die Rede sein. Also: ein Bedarf an mittelmäßigen, nicht einmal an „verwendbaren“ Schauspielerinnen besteht gegenwärtig keineswegs, wenigstens nicht im Verhältniß zu dem massenhaften Nachwuchs. In der Praxis erweisen sich die goldenen Aussichten als trügerisch, zumal für Mädchen, die nicht aus purem Leichtsinn, aus Liederlichkeit sich dem freieren Künstlerleben zugewendet haben. Von diesen soll hier erst gar nicht die Rede sein, wiewohl ihr Einfluß auf die Verhältnisse des Theaters ein sehr wichtiger ist. Zunächst erschweren sie jenen Colleginnen die Existenz, welche wirklich die Absicht haben, durch ihre künstlerischen Leistungen ihren Unterhalt zu erwerben. Es giebt an den meisten Bühnen weibliche Mitglieder, die es „Gott sei Dank nicht nöthig haben“, die Contracte zu unterzeichnen, in welchen von Gage kaum die Rede ist. Der von großmüthigen Kunstfreunden und Beschützern bestrittene Toilettenluxus, den solche Damen entfalten, wird vom Publicum und vom Director gern gesehen, die moralischen Verhältnisse der betreffenden Künstlerin sind beiden Parteien gleichgültig. Jedenfalls sind solche uneigenützige Mitglieder erwünschtere Acquisitionen als die vorwurfsfreie, von einer ihre kleine Pension verzehrenden Mutter begleitete und dürftiger ausgestattete Künstlerin aus „gutem Hause“.
Das ist die praktische Seite, von den Nebenumständen einer solchen Rivalität ganz zu schweigen. Man sollte meinen, daß sie ein wohlerzogenes Mädchen sofort bestimmen müßten, umzukehren und ihre Schwärmerei – wenn eine solche vorhanden war – aufzugeben.
Den Allerwenigsten gelingt es in den ersten zwei bis drei Jahren, und das ist die wichtigste, nicht wiederkehrende Epoche, also als hübsche junge „Anfängerin“ das Interesse eines Directors oder Intendanten zu erwecken, welches sie zu fördern vermöchte. Nach langem Antichambriren vor der Höhle eines dramatischen Seelenverkäufers – wie der Ausdruck für die Species „Theateragent“ lautet – erhält eine solche Künstlerin ein sechs Monate währendes Provinz-Engagement, Notabene wenn sie sich bereits als recht tüchtig erwiesen hat und wenn der Agent sie durch sein persönliches Wohlwollen auszuzeichnen wünscht – was man sich natürlich nicht verbitten kann, so sehr es am Platze wäre.
Nur die vom Glücke Begünstigten werden regelmäßig mit Sommer- und Wintercontracten bedacht, wie Viele sehen sich zu einer unfreiwilligen Sommer- oder Winterruhe veranlaßt!
Die prinzlichen und gräflichen Freier, die den Damen vorgeschwebt haben, bleiben gewöhnlich aus, und schließlich spielt sich ein liebenswürdiger Theaterbonviant in die Gunst der Collegin ein, das Ende ist eine Theaterheirath, die temporäre oder gänzliche Unmöglichkeit, die Kunst auszuüben, Verlust der Stimme etc. – im günstigeren Falle.
Die andere ungünstigere Eventualität brauche ich nicht auszumalen; wer beim Theater Umschau hält, der begegnet verfehlten oder beklagenswerthen und – verlorenen Existenzen in allen Stadien. Leider ist der Rückzugsweg schwer zu finden, selten wird er ausgesucht. – Also: Wer Talent und Drang zum Theater besitzt und die urkräftigen Aeußerungen desselben in sich verspürt, wer einen ernsten und nicht immer ehrlichen Kampf bestehen zu können glaubt, wer sich mit Unempfindlichkeit und Energie auszurüsten vermag, der folge seinem Sterne, besonders wenn er im bürgerlichen Leben auf kein Glück verzichtet; – das „Zum Theater gehen“, weil die Heirathsaussichten „flau“ sind, weil einem die Häuslichkeit zu eng und die mütterliche Ueberwachung lästig wird, ohne mehr als das gewöhnliche Talent zum Declamiren zu besitzen, ohne zuverlässige Anzeichen für seinen Künstlerberuf entdeckt zu haben, das führt von Enttäuschung zu Enttäuschung, bis zur Misère.
Blätter und Blüthen.
Zum hundertsten Geburtstage von Peter von Cornelius. (Mit Illustration auf Seite 617.) „Wenn die Freiheit, die jetzt gewiß und wahrhaft errungen werden wird, würdig soll genossen und den künftigen Zeiten gesichert werden, so muß der Genius der Nation durchdringen in allen Dingen bis zum untersten Glied. Denn nicht große Armeen sind der Schutz eines Volkes, sondern sein Glaube, seine Gesinnung. Daß beinahe Alles in unserem Vaterlande anders werden muß, wenn es der Zeit und dem Sinne des Volkes gemäß sein soll, begreift und fühlt ein Jeder. Nicht Jeder kann die Quelle des Uebels aufspüren, in meiner Kunst kann ich’s, ich sehe deutlich, wo es hier fehlt“
Diese Worte schrieb, als der Sturm des Jahres 1813. losbrach, Peter Cornelius in Rom nieder. Was er damals versprach, das hat er in seinem späteren Leben gehalten; denn wie die Krieger im Felde die politischen Ketten mit Gewalt sprengten, so wußte er auf dem Gebiete der nationalen Kunst erfolgreich, wie kaum Jemand vor ihm, gegen die geistige Fremdherrschaft anzukämpfen. Darum lebt auch sein Andenken
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 623. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_623.jpg&oldid=- (Version vom 13.1.2024)