Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Anregungen fehlte, nöthig genug, hinauszukommen und zu sehen, daß die Welt doch noch größer sei, als die Elbestadt.
Und dazu bot sich ihm eine Gelegenheit. Fürst Narischkin, ein Kammerherr und nebenbei ein echter Russe, reiste mit Arzt, Secretär, Kammerdiener und – Maler in der Welt herum. 1820 kam er nach Dresden, von wo er den jungen Richter mitnahm. Es ging nach Südfrankreich, dann nach Paris – dort führte unser fürstlicher Leibmaler seine Landschaftsskizzen in Sepia aus, auf daß sie sein Herr und Gebieter als schön gebundenes Album der Kaiserin aller Reußen zu Füßen legen könne. Für Richter war’s immerhin eine gute Schule – er lernte Neues sehen und schnell wiedergeben, vielleicht auch aus dem mitgebrachten Manierismus Zingg’s schon jetzt herauszukommen.
Bei seiner Rückkehr – 1821 – fand er die Dresdener Zustände äußerlich kaum merklich verändert. Ein wenig hatte sich’s aber doch schon geregt. Der Maler C. D. Friedrich, den der Franzose David den „Tragöden der Landschaft“ nannte, suchte die Natur oft wunderlich, „jedoch auf seine Weise“ zu beseelen, der Norweger Dahl strebte kühn dem Realismus zu. Die Zöpfe der alten Herren schüttelten sich darüber, und manche geistige Perrücke sträubte sich sogar vor Entsetzen – den jungen aber gingen die beiden Ketzer im Kopfe herum: „sie sagten doch etwas“.
Um jene Zeit aber ging durch die Künstlerkreise der deutschen Jugend eine seltsame Mär – drüben, über den Bergen, im fernen Rom, rege sich’s mitten unter den Welschen gar wunderbar von deutschem Geiste: ein Schwarm begeisterter Jünger schaare sich dort um ein neues Glaubenszeichen der Kunst, der aber, der es mit glühender Seele emporhalte, sei ein „wegen offenbaren Mangels an Talent“ von der Düsseldorfer Akademie weggemaßregelter Feuerkopf und heiße Cornelius. Unser Ludwig Richter, der sich als Zeichner und Colorirer bescheiden von den vornehmen Herren Malern zurückhielt, hatte anfangs nur leise da und dort ein Wort davon gehört. Bald aber brauste der Jubelruf von der wiedererstandenen Kunst so mächtig durch alle jugendlichen Herzen, daß ihn hören mußte, wer ihn nur hören wollte – da schwoll auch unseres Ludwig Brust von Freude und Sehnen und dem Losungsworte: nach Rom!
Gar zu lange sollt’ er auch nicht schmachten. Ein Kunst- und Menschenfreund, der Buchhändler Arnold, stellte ihm vierhundert Thaler jährlich zur Verfügung – und im Jahre 1823 zog Ludwig Richter in der heiligen Roma ein.
Uns Jüngern, die wir nur dem Hinwelken der Schule zuschauten, die in jener Zeit aufblühte, ist es schwer, eine Vorstellung von der feurigen Hingabe zu gewinnen, die das Keimchen damals so schnell zur vollen Entfaltung reigte. „Leben, Geist, Wahrheit, Ernst, Tiefe und Innigkeit der Empfindung,“ sagte Schnorr von Carolsfeld einmal, „nicht weniger als Alles war abhanden gekommen. Kalte Nachahmung antiker Formen oder gemeine Modellwahrheit sammt dem leeren Schlendrian der Kunstschulen mußte niedergeworfen werden, um zum Leben durchzubringen. So stark war die Empfindung, daß nur von dem Standpunkte wiedergewonnener Pietät allein eine Wiederherstellung der Kunst möglich sei, daß die Führer vor Allem in der Veredelnug ihres innern Menschen die Bürgschaft für den Segen im Berufe erkannten.“
Den Philistern in Kunst und Leben galt der Kampf.
„Was thut’s, wenn wir fallen,“ hatte Cornelius ausgerufen, „es mag gut und klug sein, im Hinterhalte zu harren, am Ende aber thut’s Noth, dem Feinde die blanke Schwertspitze unter die Nase zu halten.“
Als Richter in die „römische Schaar“ trat, hatte sie freilich ihr „Hauptmann“ Cornelius bereits verlassen. Aber noch immer ging’s hoch her, und in der Chiavica, der Künstlerkneipe des Kreises, der den jungen Richter jetzt als Nesthäkchen aufgenommen hatte, wurden noch mit alter Wärme die Neulinge eingeweiht, die Scheidenden zu tapferem Apostelthume vermahnt, die neuen Pläne und Gedanken und die Dinge, die sonst Einer auf dem Herzen hatte, besprochen. Ward auch mitunter ein Hälmchen Stroh gedroschen, manch gutes Saatkorn fiel dennoch in die Herzen. Besonders an Julius Schnorr von Carolsfeld und an Koch schloß sich der junge Genosse an. Des Letztern Umgang war auch von sichtlichem Einflusse auf seine Landschaftsmalerei, die, von wackern Naturstudien unterstützt, sich bald zu jenen goldigen Bildern emporschwang, die heute noch viel genannt sind und noch bekannter wären, wenn nicht die Verbreitung von Richter’s späteren Zeichnungen die anderen Schöpfungen des Künstlers zurückgedrängt hätte. Durch die römische Anregung aber ward in Richter, wie er selbst erzählt, auch noch eine Ader seines Schaffens gekräftigt, die durch sein ganzes Leben mächtig pulsiren sollte: seine künstlerische Religiosität.
Drei Jahre währte seine Abwesenheit vom Vaterlande, zurückgekehrt gründete sich Richter sein eigenes Heim. An der Seite seiner jungen Frau ging er 1826 nach Meißen, wo er eine Stellung als Zeichenlehrer an der Porcellanfabrik übernahm. Er hatte trotz all seiner Liebe für Italien so recht gefühlt, daß seine Kunst deutsch sei – nun dachte er sich’s schön, in dem romantischen alten Bergstädtchen Land und Leute der Heimath behaglich zu belauschen. Doch der Verkehr mit den Meißner Pfeifenkopfmalern bildete zu dem im römischen Kunstkreise deutscher Nation einen gar zu kläglichen Contrast, und Richter war froh, als sich ihm 1828 die Gelegenheit bot, fortan an der Dresdener Akademie zu wirken.
In jene Zeit aber fällt die Wende in Richter’s künstlerischem Leben. Was schon seit Jahren dunkel in seiner Seele gelegen hatte, das führte ihm die Bekanntschaft mit einem kleinen Buche klar vor das Bewußtsein, mit des Grafen Pocci Festkalender. Die anspruchslose edle Herzlichkeit, der reine ungetrübte Künstlersinn, welcher trotz vielfacher Schwächen im Einzelnen die Bilder des Grafen durchweht, weckte in der Brust unseres Meisters wohl am kräftigsten die verwandten Klänge. Blätter zu allerhand Geschichten hatte er schon mehrmals zum Broderwerb nebenbei gezeichnet, aber er hatte dabei wohl nie an viel anderes gedacht, als eben an das Einzelne, das er gerade zu illustriren hatte. Jetzt aber wuchs klar vor seinem Geiste ein großes Ganzes heraus, dessen einzelne Theile, ob immer getrennt, doch kein ganz selbstständiges Leben hatten. Und dieses große Ganze war: das Herzensleben seines Volkes. Als Mittel seiner Kunst aber, die, wie sie das Volk schilderte, auch möglichst weiten Kreisen des Volkes zugänglich sein sollte, faßte der Meister den Holzschnitt in’s Auge – eine Technik, die damals wieder aufzublühen begann und unserem Richter für ihre Weiterentwickelung viel verdanken sollte. –
Wir sind dort angelangt, wo wir von den äußeren Lebensverhältnissen unseres Künstlers schweigen können – wollten wir doch keine Schilderung derselben, sondern einen Abriß der innern Entwicklung Richter’s geben. Dieser aber hatte nun den Weg gefunden, auf dem er fortan gerade vorwärts schritt. Er wirkte noch lange segensreich, geliebt und vielfach geehrt an der wiedergeborenen Dresdener Akademie, den Sommer über auf dem Lande, zumeist im nahen Loschwitz, umgeben von Gestalten, wie er sie am liebsten auf seinen Blättern wiedergab. Seine künstlerische Schöpferkraft aber concentrirte er auf jene Zeichnungen, deren reichem Schatz wir nun einige Worte widmen wollen.
Zunächst glaubte Richter seiner Natur noch genügen zu können, wenn er nur die poetische Grundlage seiner Illustrationen so wählte, daß sie ihm die Möglichkeit der Volksschilderung gewährten – und herrliche Bilder zu Märchen und Dichtungen entstanden zu jener Zeit. Dennoch zeigen sie Richter’s höchstes Können noch nicht. Ein Geist, der so lebendig wie der seine mit eigenem Herzen fühlte, mit eigenem Kopfe dachte, spiegelt nur jene Dichtungen voll wieder, die ihm selbst ganz und gar verwandt sind. Bei den Richter-Bildern zu den Volksliedern und Volksmärchen sehen wir auf den ersten Blick, daß dem so war – uns ist’s, als hätte das dichtende Volk, wär’s ein malendes Volk gewesen, das, was es zu sagen hätte, nicht anders sagen können, als es hier geschehen.
Doch schon bei den Bildern zum hohen Liede des Menschenlebens, zu Schiller’s „Glocke“, wird’s uns, so Wundervollem wir begegnen, in dieser oder jener Einzelnheit vielleicht schwer, den schwungvoll pathetischen Stil Schiller’s mit der schlicht gemüthvollen Gestaltung Richter’s zusammenzustimmen. Und in andern Bilderwerken zu unsern Classikern stört uns das Bewußtsein, daß sie Illustrationen bieten wollen, vielleicht eher im Genuß, als es diesen fördert. Macht Richter die Bilder zu den Versen, so ist’s eben oft gerade umgekehrt, als wenn er die Verse zu den Bildern wählt; im letztern Falle treffen sie den Nagel stets so gerade auf den Kopf, daß man die Zeichnungen nicht glücklicher charakterisiren
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 614. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_614.jpg&oldid=- (Version vom 27.9.2023)