Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Stück Wald, welches unterhalb seines Gehöftes lag, ausroden lassen und zu Acker gemacht. Man hatte ihm gerathen, dies nicht zu thun, weil der Wald einen Schutz für sein Gehöft gewähre.
Lachend hatte er erwidert, der Wind werde sein Haus nicht forttragen, dazu sei es zu fest gebaut.
Andere hatten prophezeit, der Acker werde sich nicht bewähren, weil er zu abschüssig sei und durch den Regen zu sehr leiden werde, der das Erdreich fortspüle. Drei Jahre hatte er sich bewährt und in diesem Jahre das beste Korn getragen.
Mit Stolz blickte der Oberburgsteiner gerade auf dieses Stück Feld, denn es gab ihm den Beweis, daß er klüger sei als Andere.
„Ich bin stets meinem Kopfe gefolgt und gut dabei gefahren,“ sprach er mit Befriedigung, „Wär’ ich klüger gewesen, so hätt’ ich schon vor zwanzig Jahren den Wald gerodet.“
Der Spätherbst war gekommen.
Es hatte schon mehrere Tage lang unablässig geregnet und von den Bergen stürzte das Wasser in wilden, rauschenden Bächen. Es brauste des Nachts fast wie am Strande des Meeres, wenn die Fluth steigt. Der Oberburgstein war fast die ganze Zeit über in dichte Wolken gehüllt, doch das war im Herbste nichts Ungewohntes. Die Holzknechte konnten im Walde nicht mehr arbeiten.
Aus dem Thale kamen schlimme Nachrichten. Der Fluß war hochgeschwollen und hatte bereits mehrere Aecker überschwemmt. An einigen steilen Abhängen hatten Felsenstürze stattgefunden, mehrere Thalbewohner waren arg dadurch geschädigt.
„Weshalb bauen die Thoren sich dort unten an!“ rief der Oberburgsteiner in seinem kalten Hochmuthe und dem Gefühle der Sicherheit. „Schon einmal ist vor langen Jahren fast das ganze Dorf durch ein Hochwasser zu Grunde gerichtet – die Menschen werden nie klug.“
Der Regen währte fort. In der nahen Schlucht toste das niederstürzende Wasser, daß die Luft fast erzitterte, es klang oft wie ein fernes Donnern.
Moidl dachte mit Bangen an Haidacher’s Gehöft. Wenn der Acker, den Hansel mit so unsagbarer Arbeit von dem Steingeröll befreit hatte, nun wieder überschüttet wurde!
Da erwachte sie eines Nachts durch ein lautes, donnerähnliches Geräusch. Bestürzt fuhr sie empor, und es war ihr, als ob das Bett schwanke und das Gebälk des Hauses zusammenbreche.
Sie sprang aus dem Bett.
Sie konnte nicht geträumt haben, denn im Nebenzimmer rief ihr Vater ihren Namen.
Nach wenigen Minuten waren sie beisammen in der Stube. Das Gesicht des Bauern war bleich.
„Was ist geschehen, Vater?“ rief Moidl erschreckt.
„Ich weiß es nicht,“ gab der Bauer mit bebender Stimme zur Antwort. „Ein Windstoß muß das Haus erfaßt haben.“
„Es schwankte.“
„Du hast Dich getäuscht, das Haus steht fest,“ entgegnete der Oberburgsteiner, aber er selbst schien seiner Versicherung nicht zu glauben.
Da wurde von außen heftig an die Hausthür gepocht. Der Bauer öffnete und einer seiner Knechte, der im Stalle bei den Kühen geschlafen hatte, stürzte mit bleichem Gesichte herein.
„Der Acker – der neue Acker!“ rief er, mehr vermochte er nicht hervorzubringen.
„Was ist mit ihm?“ fragte der Oberburgsteiner.
„Er ist hinabgestürzt – ein Bergsturz!“
Das Gesicht des Bauern schien zu erstarren. Mit der Rechten griff er nach einem Schemel, um sich aufrecht zu halten. Dann raffte er sich zusammen und stürzte fort aus dem Hause. Er brauchte nicht weit zu gehen. Es regnete noch immer heftig, aber es war hell genug, daß der Erschreckte sich von der Wahrheit der Worte, die sein Knecht ihm zugerufen, überzeugen konnte. Der Acker, auf den er so stolz gewesen, war verschwunden, eine glatte Felsmasse starrte ihm entgegen.
Er griff mit der Hand an die Stirn, denn noch konnte er das Geschehene nicht fassen. Mehr als der Verlust kränkte ihn der Gedanke: „Die haben doch Recht gehabt, die Dich gewarnt!“ Er hatte über sie gelacht und gespottet, seinem Kopfe allein hatte er getraut und nun mußte er dies schwer büßen.
Aber eine weit schwerere Sorge verdrängte diese Gedanken. Daß auch das Haus geschwankt hatte, konnte keine Täuschung gewesen sein – wenn der Boden, auf dem es stand, dem Acker nachstürzte! Dann war Alles – Alles verloren!
Ihn schwindelte und er trat zurück. Noch konnte er es nicht mit Bestimmtheit wahrnehmen. Fest preßte er die Lippen auf einander.
„Ist Gefahr vorhanden?“ fragte Moidl, die zu ihm getreten war.
Er schüttelte mit dem Kopfe.
„Ich glaub’ nicht,“ sprach er dann, aber diese Worte kamen aus einer schwerbedrängten Brust.
Unruhig schritt er auf dem Gehöft umher. So lange er sich sicher gefühlt, hatte ihn das Rauschen des Wassers in der Schlucht wenig gekümmert, denn ihm konnte es keinen Schaden thun; jetzt klang es ihm unheimlich.
Sobald der Morgen graute, untersuchte er seine Besitzung. Es war ihm, als ob die Lage seines Hauses sich etwas geändert habe – er konnte irren. Er schritt über die Wiesen oberhalb des Gehöftes bis zum steil aufsteigenden Walde, da fuhr er bestürzt zurück. Bis zu einer Mannshöhe waren die ganzen Wiesen sammt dem Gehöft abgestürzt. Hier konnte er es deutlich sehen, die Wurzeln der nahe stehenden Bäume ragten von dem Erdreich entblößt in die Luft.
Wie erstarrt stand er da, sein großer Körper zitterte. Nun wußte er, weshalb das Haus geschwankt hatte. Ein schwerer, banger Seufzer rang sich aus seiner Brust.
Er suchte sich mit dem Gedanken zu beruhigen, daß das abschüssige Erdreich sich wieder gesetzt habe. So konnte es vielleicht Jahrhunderte bleiben, aber ebenso gut konnte es in der nächsten Minute hinabstürzen und Alles mit sich reißen.
Der Boden schien ihm unter den Füßen zu schwanken. Was sollte er thun? Er wußte es nicht. Der Regen strömte noch immer nieder und erhöhte die Gefahr. Er hatte es mit einer Kraft zu thun, der sein Kopf nicht gewachsen war.
Endlich raffte er sich zusammen und kehrte mit schwankenden Schritten zum Hause zurück. Was er wahrgenommen, wollte er nicht sagen, um die Angst nicht zu erhöhen. Es war genug, wenn er sie allein trug. Vielleicht war sie unbegründet.
Bleich und zitternd betrat er das Haus, auf dessen Flur sich seine Tochter, die Knechte und die Magd versammelt hatten. In demselben Augenblicke begann das Haus auf’s Neue zu schwanken, die Balken krachten, von dem Dache fielen schwere Steine. Er selbst wankte und hielt sich am Thürpfosten.
„Jesus Maria!“ schrie Moidl erschreckt auf.
„Rettet Euch – rettet das Vieh – das Vieh – nach dem Gehölz – nach der Capelle!“ rief der Oberburgsteiner und stürzte nach dem Stalle.
Oberhalb des neuen Ackers war ein neuer Theil des Erdreichs hinabgestürzt. Wie eine graue, steinige Straße zog es sich den Berg hinab.
Auf’s Neue war das Gehöft zum Stehen gekommen, sonst würden Alle verloren gewesen sein. Die Kühe wurden in größter Hast von den Ketten befreit und eilig nach dem Walde getrieben, in das Haus zurückzukehren wagte Niemand, selbst der Oberburgsteiner nicht.
Moidl war voran geeilt und hatte sich in der Capelle niedergeworfen, sie betete laut zur Mutter Gottes. Ihr Vater folgte ihr, aber er konnte nicht beten; starr, hülfesuchend fuhr sein Auge umher. Er glaubte auch hier keinen Schutz mehr zu finden.
„Fort – fort – treibt das Vieh durch den Wald zum Unterburgstein!“ rief er.
Er wollte den Knechten, die seinen Befehl, durch die Angst gedrängt, in wilder Hast ausführten, folgen, seine Kräfte ließen es nicht zu. Schon nach wenigen Schritten mußte er sich an einen Baum lehnen, um sich aufrecht zu halten.
„Flieh – flieh!“ rief er seiner Tochter zu, die neben ihm war.
„Ich bleibe bei Dir!“ entgegnete Moidl. „Ich verlasse Dich nicht!“
Der Bauer hörte ihre Worte kaum.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 611. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_611.jpg&oldid=- (Version vom 13.1.2024)