Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Der Knabe eilte beglückt fort, denn auch von Moidl hatte er ein Geschenk erhalten.
Hansel ließ sich auf einem Steine nieder. Er hielt den Brief der Geliebten in der Hand, sein Auge ruhte darauf, aber unwillkürlich zögerte er, ihn zu öffnen. Was enthielt das Schreiben?
Endlich riß er es mit leise zitternder Hand auf, es lautete:
„Lieber Hansel!
Du weißt, wie Alles gekommen ist. Um Dir die Freiheit zu verschaffen, hab’ ich dem Bezirksrichter gesagt, wo Du in der Nacht gewesen bist, und ich hab’ ihm auch gesagt, daß ich Dir vor Gott gelobt, die Deinige zu werden. Jetzt wissen es alle Menschen, aber wir brauchen uns nicht zu schämen, denn unsere Herzen sind rein. Mein Vater ist sehr böse auf mich und gönnt mir kein freundliches Wort. Er überwacht mich Tag und Nacht und duldet nicht, daß ich den Oberburgstein verlasse, aber über mein Herz hat er keine Macht, das gehört Dir. Du kannst mich vor der Hand nicht sehen und sprechen, Du darfst nicht zu mir kommen, denn mein Vater würde es entdecken. Schreib’ mir auch nicht, denn der Brief könnte in seine Hände gelangen und würde mir trübe Stunden bereiten. Hab’ Geduld, lieber Hansel, und harre aus, wie mein Herz ausharrt. Ich steh’ hier oben ganz allein, aber ich bin doch nicht traurig, denn ich denk’ an Dich und jeden Tag geh’ ich in die kleine Capelle, um für Dich zu beten. Sei nur lustig, damit die Leut’ nicht denken, Du habest den Muth verloren. Wenn wir an unserer Lieb’ festhalten, dann kann uns Niemand trennen. Ist es möglich, daß Du zu mir kommen kannst, dann schreib’ ich Dir zuvor, bis dahin grüßt Dich in Liebe und Treue
Deine Moidl.“
Hansel hielt den offenen Brief in der Hand, und sein Auge ruhte starr darauf. Sein Herz sehnte sich nach der Geliebten, er hatte ihr so viel zu sagen, er hatte gehofft, sie bald sehen zu können. und nun war diese Hoffnung vernichtet. Sein Muth war doch gesunken. Als er aber noch einmal die Zeilen durchflog und las: „ich bin doch nicht traurig, denn ich denk’ an Dich!“, da leuchtete es in seinen Augen auf. Sollte er zaghafter sein als die Geliebte, die dort oben ganz allein stand und doch mit festem Muthe ausharrte? Grüßend schwenke er den Brief zum Oberburgstein hinüber und rief:
„Ich bleib’ fest, Moidl, und wenn ich Dich in Jahren nicht wiedersehen sollt’!“ –
Der Frühling war hereingebrochen, die Tage waren länger geworden und Hansel arbeitete vom frühen Morgen bis zum Abend. Er war der Alte wieder und empfand keine Ermüdung. Der Richter kam öfter zu ihm, um seiner Arbeit zuzuschauen und mit ihm zu plaudern. Es schien ihm Freude zu machen, zu sehen, wie rüstig die Arbeit mit jedem Tage weiterschritt.
„Hansel,“ sprach er eines Tages, „Du hast jetzt für vier Kühe hinreichend Futter, da könntest Du Dir noch zwei kaufen, das hilft der Wirthschaft auf.“
„Es kauft sich schlecht, wenn man kein Geld hat,“ gab Hansel lachend zur Antwort. „Ein paar hundert Gulden bekäm’ ich wohl geliehen, aber es stehen bereits genug Schulden auf dem Gehöft, und ich weiß kaum, wo ich die Zinsen hernehmen soll.“
„Und wenn ich Dir nun ein Paar stattliche Kühe verschaffte, ohne daß Du sie sofort zu bezahlen brauchtest, die Du nach und nach, wie es Dir möglich wär’, abzahlen könntest?“
„Der findet sich nicht, der das thut!“
„Weißt Du das so genau?“ warf der Richter ein.
„Ich glaube ja!“ gab Hansel zur Antwort.
„Der Winkelbauer will es thun. Er hat nicht Frau noch Kinder und es geht ihm gut. Ich war gestern bei ihm und erzählt’, wie Du Dich mühest, um vorwärts zu kommen. Ich sagt’ ihm, daß es Dich weiter bringen werde, wenn Du jetzt statt zwei vier Kühe habest, denn an Futter fehle es Dir nicht, aber das Geld sei hier oben knapp. Da hat er sich selbst dazu erboten, und Du kannst ruhig sein, er wird Dir die Kühe nicht zu hoch anrechnen.“
„Herr Richter, ist das Ihr Ernst?“ fragte Hansel.
„Gewiß Du kannst das Geschäft heut’ noch abmachen, wenn es Dir paßt.“
„Ich hab’ dem Winkelbauer nie einen Dienst erwiesen, wie kommt er dazu?“
„Ich will es Dir sagen, er hat einst unter ähnlichen Verhältnissen angefangen wie Du. Als sein Vater starb, sollte das Gehöft verkauft werden, weil es über den Werth verschuldet war. Nur auf seine Bitten gewährten die Gläubiger ihm einige Frlst, und da hat er gearbeitet und gearbeitet, um sich zu halten. Es ist ihm damals sehr schwer geworden, weil ihm Niemand zur Seite stand, das hat er nicht vergessen. Sein Gehöft ist längst schuldenfrei, es geht ihm gut, und da meint er, er wollt’ Dir’s leichter machen, als es ihm geworden sei. Nimm es an, Hansel,“ rieth der Richter.
„Freilich nehm’ ich es an, wenn die Bedingungen nicht zu schwer sind,“ gab der Bursch freudig zur Antwort.
„Deinen Eltern wird es recht sein; wenn es Dir paßt, können wir sofort zum Winkelbauer gehen, ich werd’ Dich begleiten.“
Hansel warf Spaten und Hacke bei Seite und zog seine Joppe an. Seine Eltern waren nur zu gern damit einverstanden. Noch vermochte er es nicht recht zu fassen, es kam ihm das Glück zu unerwartet, aber es konnte nichts Trügerisches dahinter stecken, da der Richter mit ihm ging, und der wollte ihm wohl.
Zwei Stunden später trieb er zwei stattliche Kühe durch das Dorf hin, und er blickte so freudig und stolz um sich, als ob er der reichste Bauer im ganzen Thale wäre. Er mußte die Thiere an dem Hause des Krämers, der ihm nie wohlgewollt, weil er nicht bei ihm kaufte, vorüber treiben.
„Nun, wohin geht denn die Reise mit den Kühen?“ fragte der Krämer, der vor der Thür stand und behaglich seine lange Pfeife rauchte.
„Direct in meinen Stall,“ gab Hansel zur Antwort.
„Haft Du sie gekauft?“ forschte der Krämer neugierig weiter.
„Freilich! Wenn ich sie gefunden hätt’, müßt’ ich sie wohl abliefern.“
„Nun, da scheint das Geld bei Dir nicht knapp zu sein,“ bemerkte der Krämer mit halb spöttischem Lächeln.
„Es langt, und da muß ich zufrieden sein,“ gab Hansel lachend zur Antwort und trieb die Thiere weiter.
In gleich heiterer Weise antwortete er Allen, die ihm begegneten, und als er auf dem Gehöfte seines Vaters anlangte und die Thiere in den Stall getrieben, blickte er lustig hinüber zu dem Oberburgsteine, als ob er dem stolzen Bauer dort oben zurufen wolle: „Gieb nur Acht! So weit wie Du bring’ ich es auch!“
Und es war, als ob auf Hansel’s Hand Glück und Segen ruhe. –
Der Sommer schwand langsam unter fortgesetzter Arbeit. Hansel hatte die Geliebte kein einziges Mal gesehen, und die Sehnsucht ward bei ihm oft so stark, daß er Alles vergessend zu ihr eilen wollte. Zur rechten Zeit erhielt er jedesmal von Moidl einige Zeilen, in denen sie ihn bat, auszuharren und den Muth nicht zu verlieren.
„Ich bleib’ fest und denk’ stündlich an Dich, Hansel!“ fügte sie hinzu.
Diese Worte richteten ihn jedesmal wieder auf. Er würde indessen nicht so geduldig ausgeharrt haben, wenn er gewußt hätte, wie es dem armen Mädchen erging. Sie hatte wenig frohe Stunden.
Ihr Vater hatte sich in den Kopf gesetzt, daß er nur durch Strenge eine Wandlung in ihr hervorrufen könne, und sein starrer Sinn hielt daran fest.
„Wenn sie ihn nicht sieht und nichts von ihm hört, dann wird sie ihn vergessen,“ sagte er sich. Tagelang sprach er nicht ein einziges Wort mit ihr und doch beobachtete er jede ihrer Mienen. Wie eine Gefangene hielt er sie und schlief sogar dicht neben ihrer Kammer, damit sie dieselbe Nachts nicht verlassen könne. Er selbst verschloß jeden Abend das Haus und steckte den Schlüssel zu sich.
Wenn die Knechte oben im Walde arbeiteten, war er fast täglich zu ihnen gegangen, um zu sehen, wie die Arbeit fortschritt, jetzt kümmerte er sich um sie nicht mehr, weil er das Gehöft nicht verlassen wollte. Der Gedanke, daß Hansel in seiner Abwesenheit kommen könne, verließ ihn nicht und peinigte ihn. Oft stand er sogar des Nachts auf und umging das Gehöft.
Die Ernte war eingebracht, sie war eine gesegnete gewesen.
Der Oberburgsteiner hatte schon vor mehreren Jahren ein
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