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Seite:Die Gartenlaube (1883) 602.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

norddeutscher Natur gekleidet, einen Ehrenplatz im Panorama unseres Reiches verdient; es ist Wagrien, das zauberische Ländchen Ostholsteins. Verschwenderisch geradezu hat die Natur es mit üppigem Reichthum gesegnet und in Mannigfaltigkeit der Formen sein Bild gewiß zu einem der lieblichsten unseres ganzen weiten Vaterlandes gemacht. Wer landschaftliche Schönheiten unserem Ostseestrande bestreitet, der mag von der Burg Hessenstein in Wagrien hinaus über die fruchtbaren Gefilde, über das wirklich blaue Meer bis nach den hell herüberleuchtenden dänischen Inseln oder zurück in’s Land hinein schauen, in das grünwogende Meer vollwuchsigen Buchenwaldes, über die grünen Auen, goldenen Kornfelder und die zahlreichen aus Flur und Baum herausblickenden tiefdunklen Seespiegel, und wem dann beim Anblick dieser Höhen-, Seen- und Wälderpracht nicht das Herz aufgeht, nun, dem hat Gott eben nicht die rechte Gunst erwiesen. Dabei erglänzt in dem lieblichen Gewand des Ländchens ein Kleinod von so tiefer Strahlung und von so schwermuthsvoller Pracht, wie das Auge es wo anders nicht in gleicher Schönheit schauen wird. Dieses Kleinod ist ein Waldsee im Buchenhain Eutins, ein in Einsamkeit versenktes Wasser, um das Poesie und Sage ihr Goldgewand gesponnen haben – der Uklei-See.

Wer den Hertha-See bei der Stubbenkammer auf Rügen oder den Wodan-See auf der Insel Wollin betrachtet und liebgewonnen hat, wird sich von dem Uklei-See eine Vorstellung machen können, wer diesen aber selbst gesehen, muß bekennen, daß er seine Geschwister noch um Vieles übertrifft.

Wenn man von der alten Gremsmühle, die heute noch im Schwentine-Thal bei Eutin im Strudel des Wildbachs klappert, den breiten Fahrweg nordöstlich nach dem Pfarrdorfe Malente am Keller-See, dem „Grünau“ aus Voß’ „Luise“, verfolgt und den Fußsteig an Sielbeck vorbei und den nördlichen Rand des Keller-Sees entlang einschlägt, so tritt man in den Dom eines ansteigenden uralten Buchenwaldes ein, wo uns schlängelnde, mehr und mehr umdunkelnde Pfade bis auf eine Anhöhe führen: hier sehen wir nun tief zu unseren Füßen den melancholischen Spiegel des Uklei-Sees. Der hohe dunkle Wald umschließt ihn von allen Seiten, sodaß nur zur Mittagsstunde die Sonne ihre Strahlen in seinen stillen Grund hinabtauchen kann. Eine Walddecke von Waldmeister, Farren und Sauerklee weht rund herum einen Zauber tiefster Einsamkeit. So liegt er da versenkt in diesen feierlichen Friedensschlummer, ein Bild unsagbar schwermuthsvoller Pracht. Und ob die vor jedem Windhauche geschützte, ganz regungslose Wasserfläche die Wolken und die Waldhöhen wie ein Zauberglas wiederspiegelt, oder mächtig und düster, wenn das Abendglühn die Baumwipfel zum Abschiede in sein flüchtiges Gold taucht, emporblickt wie das Auge eines unergründlichen Geheimnisses, oder ob im Mondschein der Geist der Sage um die schilfigen Ufer wandelt, immer ist es eine tief poetische Stimmung, welche die Seele des einsamen Beschauers vor diesem Naturwunder ergreift.

Es ist verständlich, daß eine solche weltfremde Friedensstätte im Glauben des Volkes den natüriichen Boden der Wirklichkeit verloren hat, und erst aus der Belebung mit übersinnlichen Gestalten sich das Ungewöhnliche und Großartige ihres Eindrucks erklärt. Die Volksseele ist und bleibt ja nun einmal ein großes unmündiges Kind, das nach dem Grotesken am liebsten begehrt und mit dankbarem Gemüth alles das in sich aufnimmt, was seiner Einbildungskraft schmeichelnd neue Nahrung giebt, das es begreift und lieb gewinnt, mit dem es mit der Tiefe seines Herzensgrundes zu denken und zu fühlen vermag, mit dem es lachen, aber auch weinen darf. So hat denn auch der Uklei-See sein stilles einst geträumtes Bild, und um sein Ufer schwebt die Lichtgestalt der Sage erklärend, was Geheimnißvolles sein tränenfenchtes Auge für das Menschensehnen birgt.

Wo jetzt der stille Grund des Sees liegt, soll vor Jahren inmitten eines alten Eichenhaines dem schönsten Wiesengrün eine Silberquelle entsprungen sein. Wie von Geisterhand gewoben, umflocht die heilige Stätte ein unsichtbares Band, sodaß sie nie eines Wanderers Fuß betreten hatte, selbst das scheue Wild sich dem Born nie zu nahen wagte. Doch bei Vollmondschein, so geht die Sage, in lauen Sommernächten, konnte man unter dem dichten Laubgeflecht im Zwielicht die verschleierte Gestalt eines schönen Weibes sehen, wie sie seufzend, klagend, händeringend an der Quelle umherirrte, um erst mit dem Mondlicht wieder dahinzuschwinden.

Als einst ein Ritter durch den Wald gezogen kam und ermattet zu der Quelle eilte, um mit heißen Zügen das frische Naß zu schlürfen, da sah er durch das Laubbgehänge das wunderbare Frauenbild von dem Mondlicht sanft umflossen, mit aufgelösten wallenden Locken, um die weiße Stirn ein Silberband geschlungen, den lichten Schleier zurückgeschlagen und eine Harfe in der Hand, welcher die zarten Finger schmerzzuckende Töne entlockten.

Und wie er sah und lauschte, ward es ihm enge um Brust und Herz, und von Schauer und Entzücken erfüllt, eilte er vorwärts, um sich in namenloser Sehnsucht ihr zu Füßen zu werfen. Doch das zauberische Weib hob sich erschreckt weg, hüllte sich in Schleier und Gewand und betheuerte ihn mit lauten Klagen von ihrem Weh und Leid, diese Unglücksfalle schnell zu fliehen und nicht muthwillig den Zorn finsterer Mächte heraufzubeschwören. Doch des Ritters Muth wich nicht und wuchs nur in stürmischer Liebesgluth, und auf den Knieen liegend schwor er bei seinem Schwerte und bei seiner Rittterehre, er wolle ihr Ritter und ihr Retter werden. Da schwankte sie, den stolzen Worten trauend, beugte sich nieder, neigte sich zur Quelle, und ihrer Hand erblühte eine Lilie. „Diese Blume blühte in ewiger Jugend,“ sprach sie, „nie wird ihr frisches Blüthenleben vergehen, so lange sich Dein Herz des Schwures bewußt bleibt. Zwölf Monden sollst Du sie behüten und zwölfmal mit ihr als Zeichen Deiner Treue hierher wiederkehren. Doch dahin welken und sterben wird sie, wenn Du das Wort nicht hältst.“

Schon raffte voll Entzücken der Ritter sich auf, um das liebreizende Weib an sein Herz zu schließen, da ward es plötzlich dunkel um ihn, und wo sie gestanden, sah er nur Nebel wallen. Umsonst rief er, der Wald blieb stumm, nur ein hundertstimmiges Echo drang auf ihn wie ein Warnungsruf ein. Erschüttert suchte er sein Roß, schwang sich in den Sattel und sprengte in das Dunkel, seinen Schwur zu lösen.

Zum elften Male schon war der Ritter nach dem Thale, das all sein Sehnen barg, hinabgeritten, und schöner und prächtiger war jedesmal die Lilie aufgeblüht. Zum zwölften Male lenkte er sein Roß dem dunklen Haine zu. Heisere Eulenrufe tönten durch das Rauschen der Wipfel, und finstere Wolken jagten am trüben Mondlicht vorüber. Mit glühendem Verlangen, doch zitternd wie von Fieberfrost geschüttelt, drang er vor, drang weiter bis zur Quelle und suchte im Brausen des Sturmes unter dem Lichte zuckender Blitze verwirrten Sinnes des Weibes Spur, ohne daß er bemerkt hatte, daß längst die Lilie welk seiner Hand entfallen war. Und wilder wurde das Sausen und Toben des Wetters, rauschend beugten sich die gewaltigen Eichen, der Boden wich zurück, aus dem Quell schwellten Fluthen, Alles verschlingend und des Thales ganze Weite füllend. Als aber der junge Tag erwachte, da ruhte der See im süßen Morgenschlummer, auf dem Grunde Gram und Kummer deckend. Des Ritters Leiche lag angespült im silbernen Gewand am Ufer; allnächtlich aber ertönet heute noch im Schilf des Uklei-Sees des betrogenen Weibes laute Klage.

Die geheimnißvolle, schwermüthige Stimmung, in welcher der Spiegel des Sees und seiner Umrahmung blinkt, erkärt sich aus dem feierlichen Schweigen dieser selbst und der Lage des Seebeckens. Der Spiegel liegt circa 30 Meter hoch über der Ostsee und ist nach drei Seiten hin von steilaufsteigenden Uferwänden umgeben. Nun an der Südseite geht das Gelände anfangs sanft an, steigt dann aber zum „Wüstenfelderholz“ ebenfalls schroff empor. So erscheint das Becken also wie ein Kessel, den das dunkel beschattete Wasser ausfüllt, und das südliche Gelände wie ein Thor, durch welches man zu seinen Ufern tritt. Dieser romantischen schönen Lage wegen erfreut sich der Uklei-See eines großen Rufes, und kein Wanderer wird die Gefilde von Wagrien durchwandeln, ohne den Fußsteig von Malente zu betreten, der ihn durch die Walddämmerung an das wunderbare Wasser führt.

F. S.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 602. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_602.jpg&oldid=- (Version vom 13.1.2024)