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Seite:Die Gartenlaube (1883) 589.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Zehntausend Meilen durch den Großen Westen der Vereinigten Staaten.[1]

Von Udo Brachvogel. Mit Illustrationen von Rudolf Cronau.
IV.
Von den Mammuth-Thermen nach den Geysern. – Der „Feuerloch“-Fluß und sein feuriges Geleit. – „Des Teufels halber Acker“. – Unter den Granden der Geisterwelt. – Abschied vom Wunderlande.

Wir wandern weiter durch das Yellowstone-Land, um in die am Madisonfluß gruppirte Thermen- und Geyserwelt einzudringen, in welcher sich jetzt das ganze in wildester Leidenschaft fiebernde und rasende Herz dieser vulcanischen Großnatur und damit zugleich die überwältigend-ungeheuerliche Schlußdecoration des gesammten Wunderlandes vor uns aufthut!

Der bisjetzt zugleich die Hauptwagenroute des ganzen Nationalparks bildende Weg von den Mammuththermen nach dem großen Geyser-Becken des Madisonflusses mißt etwa dreißig Meilen. Die nichts weniger als bequeme und ungefährliche Wildstraße, welche dafür auch des Vorrechts genießt, nur von Felsengebirgspferden und -Kutschern befahren zu werden, von deren unscheinbarem Aeußeren man „draußen“ im Flachlande der alten und neuen Welt sich ebenso wenig etwas träumen läßt, wie von ihrer Unfehlbarkeit, leistet im Uebersteigen von steilen Graten, im ungenirten Hinführen an Abgründen und im Durchkreuzen brückenloser Gebirgsströme das Außerordentlichste.

In der Geyserwelt des Nationalparks von Yellowstone.
Nach der Natur gezeichnet von dem Specialartisten der „Gartenlaube“ Rudolf Cronau.

Aber durch welchen Wechsel der Scenerien führt sie dafür auch hin! Das Wildeste giebt, fast übergangslos, dem Lieblichsten Raum, und idyllischste Naturparkstrecken lösen die grimmigste Hochwildniß oft so unvermittelt ab, daß man sich auf einer Traumfahrt zu befinden vermeint. Auch an einer Anzahl eigentlicher Naturmerkwürdigkeiten geht dieser Weg vorüber, welche man nur in einem solchen Reich der Wunderverschwendung auch mit einer lediglich vorübergehenden Erwähnung abthun darf. So an dem Gibbon-Cañon mit dem Gibbon-Fall, so an dem in smaragdne Wald- und Wiesenumgebung eingebetteten „Beaver-Lake“ mit seinen grün leuchtenden Biberdämmen; und so namentlich an der Riesenklippe aus schwarzschimmerndem Naturglas – Obsidian – aus welchem einst der Indianer dieser Gegenden seine Speer- und Pfeilspitzen anfertigte, während sein weißer Nachfolger aus ihren losgesprengten Abfällen die sich um das drohende Vorgebirge herumwindende Straße aufschüttete.

Endlich, nach einer vollen Tagefahrt, ist das erste große Thermenfeld der Madison-Region erreicht.

Der Madison ist der südlichste der drei Quellflüsse des Missouri. Wie er weiter nördlich mit seinen beiden Gefährten, Jefferson und Gallatin, zu ihrem Hauptfluß zusammenströmen soll, so sind es auch drei Quellarme, die sich zu seiner Bildung vereinigen. Der mittelste derselben aber, der eigentliche, dem 7200 Fuß hoch gelegenen Madisonsee entspringende Madison, führt den von den Indianern überkommenen Namen des „Fire hole river“ (Feuerloch-Flusses). Dieser Name ist nicht gerade schön, aber er ist so bezeichnend und schließt so sehr ein ganzes Programm in sich, daß die ersten weißen Männer, welchen hier in den Jahren 1870 und 1871 die verschiedenen officiellen Taufacte oblagen, thatsächlich nichts Besseres thun konnten, als in diesem Falle die von ihren rothhäutigen Vorgängern instinctiv gewählte Bezeichnung beizubehalten. Es ist in der That ein einziges ungeheures Feuerloch, über welches sich hier auf Quadratmeilen und Quadratmeilen eine kalkige Erdkruste aufgewölbt hat, die, gleich einem gigantischen Siebe durchlöchert, die Gluthgeheimnisse des Erdinnern in allen nur denkbaren Aeußerungsformen wasservulcanischer Thätigkeit zu Tage treten läßt. Wie ein unabsehbarer grauweißer Kochherd stellt sich diese nach allen Richtungen der Windrose qualmende und dampfende Kraterwelt auf beiden Seiten des eiskalten Madison dar, um in jenem „Oberen Bassin“ ihren jüngsten Gerichtsabschluß zu finden, neben dessen tobenden Geyserheerschaaren das gepriesene


  1. Unter Meilen sind in diesen Artikeln stets englische Meilen verstanden, von denen 46/10 auf die deutsche Meile gehen.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 589. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_589.jpg&oldid=- (Version vom 13.1.2024)