Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Da ich seit lange in jedem derartigen freiwilligen Cicerone einen Bauernfänger wittere, begab ich mich schleunigst zwischen dem Malto-Leguminosen- und dem Chocoladenpavillon hindurch, schon damit in erneute angenehme Stimmung versetzt, nach dem Glaspalaste, zunächst mein Auge an der von Genien umschwebten Kaiserinbüste weidend und die Preller’schen auf Stoff gemalten Bilder, welche für die Betrachtung etwas zu hoch schweben, musternd.
Diese Velarien (ein Weißbiergesicht in meiner Nähe hatte sie, weil es „Volièren“ suchte, bis dahin nicht entdecken können) sind in der That würdige landschaftlich-allegorische Compositionen – eine passende Umrahmung für das Standbild der hohen Protectorin.
Das Ziel meiner Wanderung war das am entgegengesetzten Ende des Mittelschiffes gelegene „Panorama von Gastein“. Nach Durchwanderung einer düsteren Felsengrotte, an deren Eingang uns ein Standbild der Hygiea begrüßt, während wir im Innern dichtgedrängt und eingekeilt zwischen ehrlichen und verdächtigen Physiognomien, die Hand auf Uhr und Portemonnaie, uns vorarbeiten, stehen wir mit einem Male in einer Alpenhütte und genießen, von drei Altanen derselben nach drei verschiedenen Richtungen hin, entzückende Blicke in die Gasteiner Thäler. Dies Schaustück, ein Meisterwerk Hertel’s, künstlerisch und zugleich durch die wirklichen Gegenstände des Vordergrundes ungemein wirksam, zieht mit Recht den Strom der Besucher magnetisch an, während sich dieselben, soweit sie nicht Aerzte, Techniker und Hygieniker von Beruf sind – gegenüber den eigentlichen Ausstellungsgegenständen theils nur neugierig, theils ziemlich gleichgültig verhalten.
„O Göttin der Gesundheit, wie groß ist dein Herz, wie allumfassend sind deine liebenden Arme! Wie hast du gastlich Jeden in deinen Tempel eingelassen, der sich mit seinen Gaben dir nahte! Ja, jetzt erkenne ich erst, daß im Grunde Alles, was da geschaffen wird, dir dienstbar und unterthan ist, denn Alles wirkt, wenn nicht unmittelbar, so doch auf Umwegen, für das Wohlbefinden, für das Behagen, für die Gesundheit des Menschen mit!“ Diese erhebende Betrachtung regte sich in meiner Brust, als mein Auge über diese bunte Fülle voll Gebilden fleißiger Menschenhand schweifte und mein Fuß mich durch das Gewirr der geschmackvollen Auslagen, Kojen und Pavillons trug, wobei ich nicht verfehlte, den dickleibigen Katalog eifrig zu Rathe zu ziehen. Oefen und Kochmaschinen, Mieder, Brieftaschen aus Schlangenhaut, Wein, Thee, Biscuits und Chocolade, Pläne von Kirchen und Concerthäusern, elektrische Läutwerke und Beleuchtungsobjecte, Federmesser und Korkzieher, Manufacturwaaren und eingesetzte Früchte – eine bunte Gesellschaft, die sich hier zwischen die streng zum Dienste der Gesundheits- und Krankenpflege gehörigen Dinge gemischt hat.
„Wer Vieles bringt, wird Manchem Etwas bringen,“ sagten sich die leitenden Kräfte mit Recht. „Die Gesundheit fördert es doch, und da es außerdem füllt, so mag es zugelassen werden.“
Diese liberale Anschauung hat denn auch wirklich ein selbst für den Laien unterhaltendes Gesammtbild geschaffen, und er nimmt die photographischen Portraits ungarischer Schweine – Vorbilder strotzender Gesundheit – er nimmt die Modelle von Kohlenbergwerken, die Spielzeuge für kleine und große Kinder gern in den Kauf und betrachtet mit heiliger Scheu und respectvollem Interesse das viele Nützliche, welches Staaten und Städte, Gesellschaften, industrielle Etablissements und Private geschaffen haben, um den Einzelnen und die Gesammtheit bei guter Gesundheit zu erhalten ober vor Schaden zu schützen.
In den Seitenhallen war es ziemlich still geworden. Ein Aussteller, dem ich mein Befremden darüber äußerte, meinte, daß nach der Prämiirung ein merklicher Nachlaß der Theilnahme nicht zu verkennen sei. Schon bei den üblichen Ausstellungen ziehen, sobald die Jury ihre Entscheidung gesprochen, die Furien der Zwietracht, des Mißmuths und der Unzufriedenheit in die bis dahin friedlich-festlichen Hallen ein. Jeder glaubt, mit großen Opfern und jahrelanger Mühe das Beste seines Könnens geleistet zu haben, und wie Wenigen ist die Enttäuschung erspart! Ist dies schon eine allgemeine Ausstellungsklage, so hat sie sich Angesichts der geringen Zahl jener vielumworbenen Medaillen, welche die allgemeine deutsche Hygiene-Ausstellung zu vergeben hatte, in diesem Falle sehr gesteigert. Der Umstand, daß zunächst Comité-Mitglieder selbst, daß Vereine zum rothen Kreuze und dergleichen Corporationen, anstatt außer Mitbewerbung zu bleiben oder sich mit Diplomen zu begnügen, ihren Antheil an jenen spärlichen Zeichen der Anerkennung erhielten, ließ für die Menge zum Theil bedeutsamer Aussteller von vornherein nur noch einen schwachen Hoffnungsschimmer übrig. Hierzu kam, daß manchem Glücklichen schon durch seinen Namen, seine Betheiligung, seine persönlichen Beziehungen sichere Anwartschaft auf jenen von Hunderten vergeblich erkämpften Sieg – gewissermaßen ein ihnen schon in die Wiege gelegtes Göttergeschenk – zu Theil geworden sein mag. Es trägt eben nicht jeder reichblühende Baum Früchte; ein Frost, ein Hagelschlag – und die berechtigtsten Hoffnungen sind zerstört. Nicht für Jeden bewährt sich das „Suum cuique“.
Genug – zahllose verdiente Mitarbeiter sind bei diesem Sparsystem der Preisverteilung leer ausgegangen. Gleichgültigkeit und Unmuth sind seitdem – wie ich ohne besonderen Hinweis sofort erkannte – an die Stelle freudigen Wettstreites getreten. Auch mein bescheidener Gewährsmann mochte nach dem, weß sein Herz überging, einer jener Vielen sein, denen die Ausstellung statt Freuden und Ehren nur Leiden und Lasten eingetragen. Mißvergnügt seinen Schrank verhüllend, folgte er mir, als ich, dem Schall der Glocke gehorsam, durch die stiller gewordenen Hallen dem Ausgange zueilte.
Draußen schlug das frische, fröhliche Leben in vollen Pulsen. Die geschickt hervorgezauberten Gartenanlagen und die über das weite Terrain verstreuten Kioske und Pavillons in ihren bunt wechselnden Formen, dazwischen der gewaltige Stadtbahnviaduct mit seinen weit gespannten Bogen und auf allen Wegen und Stegen eine lachende, plaudernde Menschenmenge, die sich unter den Klängen von drei, vier Militärkapellen wie ein Strom dahinwälzt. Ist drin das ernste Heiligthum der Hygiea – hier draußen, unter dem klaren blauen Himmel feiert sie ihre heiteren Feste und ihr Oberpriester ist Bauer, jener kleine, unscheinbare Mann mit seinem gewaltigen Speculationsgeist, der dort, vor seinem Restaurant, behaglich sitzt und mit Freunden ein Glas leert. Ja, Leben, Genuß, Unterhaltung, Zerstreuung – das ist das Zeichen, unter dem sich hier jene Tausende zusammengefunden haben.
Endlich gelingt es mir, mich bis zu einem Tische hindurchzuarbeiten, von dem mir schon der Künstlerhut, der blonde Vollbart und die blauen Augen meines Freundes, der pünktlich, wie immer, zur Stelle ist, entgegenwinken. Eine kurze Rast und ein frischer Trunk – und Arm in Arm mit ihm begebe ich mich, ihm als Kenner mich völlig anvertrauend, mit auf die Wanderung nach den „Sehenswürdigkeiten“!
„Welches Wort, lieber Freund! Ein solch profaner Ausdruck gegenüber einer solchen Fachausstellung!“
„Und doch ist es wahr,“ sagte er. „Schon die Anzeigen des Comités deuten ja darauf hin, indem sie den Besuchern ‚Concert, Exercitien der Feuerwehr, Kochschule und Volksküche, Taucherproduction‘ etc. in Stichworten als Hauptanziehungspunkte vorführen. Folgen wir diesem officiellen Wink, und nebenbei kann ich Ihnen auch manches hübsche Hygienische zeigen. Benutzen wir das Dämmerlicht.“
Sprach’s und weiter geht’s an einem Stadtbahnbogen vorüber, wo eine mehr oder weniger echte Italienerin einen „Bittern“ schenkt, vorbei an dem Blooker-Pavillon mit der sauberen Holländerin, zum Taucher, der soeben in seiner complicirten Rüstung unter den Wasserspiegel seines Bassins gestiegen ist, um zwar keinen hinabgeworfenen „goldenen Becher“ von einem Korallenriff, aber einen blanken Thaler vom Grunde heraufzuholen, den er mit Stolz, als wäre es die „Silberne Medaille“, emporhebt, sobald er wieder im rosigen Licht athmet. – Ein anderes Bild! Aus dem Wasser in die Tiefen der Erde! Wir betreten den Stollen eines Kohlenbergwerks, dessen Wände durch Glühlämpchen erleuchtet sind. Lebensgroße, täuschend in Wachs nachgebildete Arbeiter mit ihren gebräunten Gesichtern und schmutzigen Kitteln zur Rechten und zur Linken! Daran erkenne ich die Meister Castan, für die es keine Schwierigkeiten giebt, wenn es gilt, die Natur vorzutäuschen.
„Weiter, lieber Freund! Da wir einmal bei den Elementen sind, einen Blick in den ‚Meteorologischen Pavillon‘! Wie sinnreich die complicirten Apparate, mit denen der Mensch das Reich der Luft zu belauschen und zu beherrschen gelernt hat!“
„Jetzt fehlte nur das Feuer!“ äußerte ich, schon völlig eingeschüchtert von den elementaren Gewalten, und noch war meinen Lippen das Wort kaum entflohen, so standen wir schon vor der Schaubühne der Judlin’schen Imprägnirungsanstalt, um dort die Schleppe einer im Salon ohnmächtig hingesunkenen Dame noch
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 584. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_584.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)