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Seite:Die Gartenlaube (1883) 580.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

„In dem Schnee der Lawine hat er gelegen; wie ist er dort hingekommen?“

„Ich weiß es nicht,“ wiederholte Hansel. Eine dunkle Ahnung des Geschehenen stieg in ihm auf, er verbarg sie, denn er konnte sie nicht aussprechen, ohne zugleich zu verrathen, was ihn in jener Nacht in die Schlucht geführt hatte.

Die Untersuchung des Arztes war eine sehr sorgfältige, trotzdem wurde an dem Todten nicht die geringste Verletzung entdeckt. Alle Anzeichen sprachen dafür, daß er nicht in dem Schnee verscharrt, sondern lebend von der Lawine erfaßt und von ihr im Schnee begraben war. Er war in dem Schnee erstickt.

Hansel wurde in seine Zelle zurückgeführt.

Der Leichnam des Unterburgsteiners war nun endlich aufgefunden, aber dies hatte nicht im Geringsten zur Klärung beigetragen, das Räthsel schien sogar noch schwerer lösbar geworden zu sein. Daß der Todte durch Hansel nicht erschlagen war, stand fest. Aber wie war der Unterburgsteiner in jener Nacht in die Schlucht gekommen? Und er mußte dort gewesen sein, sonst hätte er von der Lawine nicht erfaßt werden können. Weshalb verweigerte Hansel hartnäckig jede Auskunft, was ihn in jener Nacht auf den Weg zum Unterburgsteiner und dann in den Wald geführt hatte?

Wenn nichts Strafbares damit verbunden war, weshalb schwieg der Verhaftete?

Vergebens sann der Richter nach, und die Ueberzeugung setzte sich in ihm fest, daß Hansel’s nächtlicher Gang doch mit dem Tode des Unterburgsteiners in engstem Zusammenhange stehe. Das „Wie“ vermochte er sich freilich nicht zu erklären.

Er ließ den Gefangenen noch einmal vorführen.

„Hansel,“ sprach er. „Der Verdacht, daß Du den Unterburgsteiner erschlagen, hat sich nicht bestätigt, denn an dem Todten ist keine Verletzung gefunden. Nun kannst Du mir offen sagen, was Dich in jener Nacht auf den Weg geführt hat.“

„Ich konnt’ nicht schlafen und wollt’ mir noch Bewegung machen,“ gab Hansel zur Antwort.

„Schweig’ mit Deinen unwahren Ausflüchten, die jedesmal andere sind!“ herrschte ihn der Richter an. „Ich denk’, an Bewegung hat es Dir bei der Arbeit nicht gefehlt. Und Du weißt auch nicht, was den Unterburgsteiner in jener Nacht in die Schlucht geführt hat?“

„Nein,“ gab Hansel zur Antwort.

„Ich lass’ Dich nicht frei, bis dies Alles aufgeklärt ist; Du kannst die Aufklärung geben, aber Du willst es nicht. Ueberleg’ Dir die Sache. Ich wiederhole, daß ich Dich nicht eher freigebe, als bis Du Alles offen gestanden. Bedenk’, daß ich es länger aushalte als Du!“

„Ich kann keine Aufklärung geben,“ entgegnete Hansel. „Ich hab’ Ihnen gesagt, daß ich den David nicht erschlagen, Sie haben mir nicht geglaubt. Nun ist es erwiesen, daß ich die Wahrheit gesprochen. Und es wird auch die Zeit kommen, in der erwiesen wird, daß ich nichts Strafbares begangen hab’, ich verlass’ mich auf mein gutes Recht und mein Gewissen. Mich trifft keine Schuld!“

Der Richter ließ den Verhafteten wieder in die Zelle zurückführen.

Die Kunde, daß der Körper des Unterburgsteiners in dem Schnee der Lawine aufgefunden sei und nicht die geringste Verletzung zeige, war auch zum Oberburgstein hinaufgedrungen.

Moidl jubelte innerlich auf, denn nun war die Unschuld Hansel’s erwiesen. Die Kunde, welche ein Holzknecht erzählt hatte, war leider nur kurz und unvollständig, und sie sehnte sich, Näheres zu erfahren.

Am folgenden Tage kam der Gerichtsdiener, um ihrem Vater eine Zustellung in einer Proceßsache zu bringen, und er erzählte, während sie mit einer Näharbeit still am Fenster saß, ihrem Vater ausführlich, wie Alles gewesen war. Er war ja bei der Ausgrabung des Todten und bei der Untersuchung desselben durch den Arzt zugegen gewesen.

„Erschlagen ist er nicht, das steht fest,“ fügte er hinzu.

Den Oberburgsteiner schien das Gehörte wenig zu befriedigen, langsam schritt er in dem Zimmer auf und ab.

„Wie ist David in die Schlucht gekommen?“ fragte er.

„Das weiß noch Niemand. Er ist von der Lawine erfaßt und mit niedergerissen worden, das ist die feste Ueberzeugung des Bezirksrichters und des Arztes, und ich glaube es auch,“ sprach der Diener.

Der Bauer schüttelte zweifelnd mit dem Kopfe; es paßte ihm dies nicht.

„Nun wird der Bursche wohl aus der Haft entlassen und geht frei aus?“ fuhr er fragend fort.

„Noch halten wir ihn fest,“ gab der Diener zur Antwort. „Eh’ er nicht gesteht, wo er in der Nacht gewesen ist und was ihn auf den Weg zum Unterburgstein geführt hat, geben wir ihn nicht frei. Der Richter hat ihn gestern vergebens aufgefordert, nun Alles offen zu gestehen, da erwiesen sei, daß er den David nicht erschlagen. Er sucht nach Ausflüchten und verweigert jede Auskunft. Was dahinter steckt, wissen wir noch nicht, aber wenn es nicht etwas Strafbares wär’, dann würd’ er die Wahrheit schon sagen.“

„Natürlich!“ rief der Bauer, der seinen Groll gegen Hansel nicht verbergen konnte. „Daß er nicht ohne Schuld ist, darauf möcht’ ich einen Eid leisten.“

„Er bleibt in Haft, bis er Alles gestanden, und sollt’ noch ein Jahr darüber hingehen,“ versicherte der Gerichtsdiener.

Moidl verließ die Stube und eilte auf ihre Kammer. Beide Hände preßte sie auf das Herz, denn dasselbe schlug so heftig, als ob es die Brust zersprengen wolle. Ihretwegen saß Hansel noch im Gefängniß, um die Zusammenkünfte mit ihr nicht zu verrathen, entbehrte er die Freiheit!

Sie fiel auf die Kniee und betete, sie dankte der heiligen Jungfrau, weil sie ihre Bitte erhört.

Wie sie in jener entsetzlichen Nacht den Niedersturz der Lawine gehört, da hatte sie in ihrer Verzweiflung mit dem Himmel gehadert, weil er den Schnee niedergehen ließ, ehe der Geliebte in Sicherheit war. Und jetzt wußte sie, daß Hansel dadurch gerettet war, denn es unterlag für sie keinem Zweifel mehr, daß der Unterburgsteiner ihm in der Schlucht aufgelauert hatte und durch die Lawine zu Grunde gerichtet war.

Als sie sich wieder erholt, war sie ruhig und gefaßt. Ein Entschluß war ihr gekommen und ohne Wanken hielt sie ihn fest. Am folgenden Tage war Sonntag, da wollte sie ihn zur Ausführung bringen.

Mit frischem Lebensmuthe griff sie die Arbeit an, und wer ihr fest in die Augen geschaut hätte, dem hätte es nicht entgehen können, daß in ihr ein Gedanke lebte, welcher sie glücklich machte.

(Fortsetzung folgt.)




Fischotterjagden in England.

Die Jagd auf den Fisch- oder Flußotter (Lutra vulgaris) ward bisher in Deutschland – wie auf dem Continente überhaupt – kaum als eigentliches Jagdvergnügen betrieben. Die Mehrzahl der Ottern wird noch jetzt von Jagdhütern oder Fischern zufällig erlegt, wann und wo sich die Gelegenheit dazu bietet, und man ist in der Wahl der Jagenszeit, Waffen, Hunde und Fangapparate um so weniger heikel, als der Balg des Otters ein sehr geschätztes, zu jeder Jahreszeit brauchbares Pelzwerk liefert. – Nebenbei glaubt man außerdem noch den Bestrebungen unserer Fischereivereine durch Tödtung eines solchen „Fischräubers“ ganz enorme Dienste zu leisten. In dieser Richtung hat in neuerer Zeit namentlich der bekannte Otterjäger Ewald Schmidt aus Westfalen binnen wenigen Jahren Erstaunliches geleistet, ohne daß deshalb die Ottern wesentlich vermindert oder die Forellen billiger geworden sind.

Mehr vom waidmännischen Standpunkte aus wird die Otterjagd bei uns allerdings seit einigen Jahren von mehreren unserer hervorragendsten Jagbbesitzer betrieben, unter welchen sich wohl mancher befindet, dessen Bemühungen um die Züchtung einer constanten Rasse deutscher Otterhunde wir hier die gebührende Anerkennung zollen möchten. – Alle diese bis jetzt in Deutschland ausgeführten Otterjagden sind reine Stöberjagden, bei denen (wie bei den bekannten Brackenjagden) das von einem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 580. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_580.jpg&oldid=- (Version vom 13.1.2024)