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Seite:Die Gartenlaube (1883) 578.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Thee kochen,“ sprach der Oberburgsteiner und verließ dann die Kammer.

Es lag nicht in seiner Natur, in Krankheitsfällen sehr ängstlich zu sein, aber der Zustand seiner Tochter gefiel ihm doch nicht. Er hatte sich bereits gerüstet, zur Messe zu gehen, er zog die Joppe wieder aus und blieb oben. Auch die Magd konnte nicht zur Messe gehen.

Von dem, was das ganze Dorf an diesem Tage beschäftigte, erhielt er erst am Nachmittage Kunde, als der Knecht des Unterburgsteiners kam, um seinen Herrn zu suchen. Er fuhr erschreckt zurück. Und als ihm der Knecht mittheilte, welcher Verdacht sich gegen Hansel richtete, da zweifelte er nicht mehr, daß der Welsche den erschlagen habe, den er zu seinem Schwiegersohn ausersehen hatte. Es traf ihn hart.

Seine große Gestalt schien mit einem Male gebrochen zu sein. Er wollte sich aufraffen und den David suchen helfen – was konnte er ausrichten, da dessen Knechte und mehrere Bauern schon vergebens nach ihm geforscht hatten! In dumpfem Brüten blieb er in der Stube sitzen.

Er dachte nicht an seine kranke Tochter, sie durfte das Geschehene ohnehin noch nicht erfahren.

Erst am folgenden Morgen sah er wieder nach Moidl. Sie lag noch immer im Fieber, er fand sie schlechter, als am Tage zu[vor].

Nun sandte er doch einen Knecht in’s Dorf hinab, um den Arzt zu holen. Der Knecht brachte keine neue Nachricht aus dem Thale mit. Von dem Unterburgsteiner war noch immer keine Spur entdeckt.

Der Arzt kam, und der Oberburgsteiner führte ihn zu seiner Tochter.

„Sie fiebert,“ sprach der Arzt, indem er den Puls der Kranken fühlte. „Ich werde ihr etwas Beruhigendes verschreiben. Sie hat sich stark erkältet; wenn sie einige Tage im Bett bleibt, wird es besser werden.“

Moidl sprach kein Wort. Ihre großen Augen waren auf das Gesicht des Arztes gerichtet, als ob sie aus ihm etwas über das Geschick des Geliebten lesen könne.

Der Arzt trat zu dem Oberburgsteiner.

„Als ich hierher kam, brachten sie gerade den Hansel Haidacher als Gefangenen in’s Dorf,“ sprach er mit leiser Stimme. „Der Bezirksrichter und ein Gensd’arm hatten ihn von dem Gehöft seines Vaters geholt. Es soll erwiesen sein, daß er den Unterburgsteiner erschlagen hat.“

Moidl’s scharfes Ohr hatte die Worte gehört, sie richtete sich im Bette empor, dann sank sie mit lautem Ausschrei zurück.

Bestürzt eilte der Arzt zu ihr.

„Moidl, was ist Dir?“ fragte er.

„Sie wußte noch nicht, daß ihr Verlobter vermißt wurde,“ sprach der Oberburgsteiner.

Der Arzt schlug sich, unwillig über seine Unvorsichtigkeit, mit der Hand vor die Stirn. Er hatte nicht vermuthet, daß die Kranke seine Worte hören werde.

„Das hättet Ihr mir sagen sollen!“ rief er, während er sich über die wie bewußtlos Daliegende beugte.

Das unglückliche Mädchen hatte die Augen geschlossen, und ihre Brust rang nach Athem. Sie hatte die Nachricht empfangen, daß ihr Geliebter lebte, aber zugleich, daß er ein Mörder sei!

Der Arzt wusch ihr Stirn und Schläfen mit kaltem Wasser, ihr Puls ging plötzlich beängstigend langsam und schwach, es war, als ob die Lebenskraft aus ihr entschwunden sei.

„Moidl, ich wollte Dich nicht erschrecken,“ sprach er besorgt. „Fass’ Dich, es kann noch Alles anders kommen.“

Langsam, ohne die Augen aufzuschlagen, schüttelte die Kranke zweifelnd mit dem Kopfe.

„Ruhe!“ preßte sie mit schwacher Stimme hervor.

„Ja, Ruhe wird ihr am besten thun,“ sprach der Arzt, indem er den Oberburgsteiner aus dem Zimmer zog. „Ich verschreibe ihr Beruhigendes und Stärkendes – den Schreck wird sie leicht überwinden. Erfahren hätt’ sie es doch. Sucht ihr nur Hoffnung einzureden.“

„Hat der Bube seine That gestanden?“ fragte der Oberburgsteiner.

„Ich weiß es nicht. Aber die Schuld war auf seinem Gesichte zu lesen, denn er wagte nicht aufzublicken.“

„Und von David ist noch keine Spur aufgefunden?“

„Nein.“

„Dann hat er ihn erschlagen und im Schnee verscharrt!“ rief der Bauer und warf sich auf einen Schemel.

Der Arzt versprach, am folgenden Tage wieder zu kommen, und ging fort.

Moidl war allein. Ihre großen Augen blickten starr in die Luft. Die heilige Jungfrau, zu der sie gebetet, hatte ihre Bitte gewährt – Hansel war gerettet, aber für sie zugleich für immer verloren! Er ein Todtschläger! Sie konnte es nicht fassen. War er deshalb der Gefahr entgangen? Besser noch für ihn, wenn er von der Lawine erfaßt wäre! Sie zuckte erschreckt über diesen Gedanken zusammen. Durfte denn auch sie an ihm zweifeln? War seine Schuld schon erwiesen? Der Unterburgsteiner hatte ihm schon einmal nach dem Leben getrachtet, vielleicht hatte er ihn auf’s Neue überfallen, und Hansel’s That war nur eine That der Notwehr gewesen.

Jetzt saß er im Gefängnisse. Und wenn er ein Mörder war, sie mußte an ihn denken, dachte er doch sicherlich auch an sie.

Der Arzt kam am folgenden Tage wieder und empfahl ihr die größte Ruhe. Wo sollte sie dieselbe finden, da sie Tag und Nacht an den Unglücklichen dachte? Und was die Magd ihr erzählte, trug nur dazu bei, sie noch mehr zu erregen.

„Er gesteht nicht,“ sprach die Magd. „Er leugnet hartnäckig, aber die Köchin des Bezirksrichters, die ich am Sonntag zufällig sprach, hat mir gesagt, das rette ihn nicht, denn er sei schuldig. Wenn es ihm vielleicht auch nicht an das Leben gehe, so werde er doch so viel Jahre schweres Gefängniß bekommen, daß seine Haare vielleicht ergraut seien, wenn er dasselbe wieder verlasse.“

Sie ahnte nicht, wie sehr sie die Kranke, die kein Wort erwiderte, dadurch peinigte. –

Mit Hansel war in dem Gefängnisse eine eigenthümliche Wandlung vorgegangen. Auf seine anfängliche leidenschaftliche Erregung war Abspannung und Muthlosigkeit gefolgt, aber auch diese hatte er bald überwunden, und nun erschien er ganz ruhig.

Fest blieb er dabei, daß er den Unterburgsteiner in der Nacht nicht gesehen habe, und ebenso fest verweigerte er jede Auskunft, welche Veranlassung ihn in jener Nacht den Weg zum Unterburgstein hinaufgeführt habe, wo der Gaisbube ihn gesehen hatte. Diese Weigerung bestärkte nur den Verdacht seiner Schuld.

Vergebens bemühte sich der Richter, ihn zum Geständnisse zu bewegen, er wandte Güte und Strenge an, Alles blieb erfolglos.

„Ich hab’ nichts zu gestehen,“ entgegnete Hansel stets. „Sie glauben mir nicht, ich muß dies ertragen; den Muth verlier’ ich nicht, denn Eins weiß ich bestimmt, meine Unschuld muß doch an den Tag kommen!“

Schlauer noch als der Richter glaubte der Gerichtsdiener es zu beginnen. Er hatte dem Verhafteten täglich das Essen und Wasser zu bringen und blieb öfter in der Gefängnißzelle, um mit Hansel zu plaudern. Er bot Alles auf, das Vertrauen desselben zu gewinnen.

„Mir kannst Du dreist Alles sagen,“ sprach er. „Ich bin Soldat gewesen wie Du und einen Camerad würd’ ich nimmer verrathen.“

„Es ist nur schad’, daß ich Dir nicht ein Wort mehr zu sagen weiß, als dem Richter,“ entgegnete Hansel heiter. „Ich müßt’ sonst eine Geschichte ersinnen, aber mir fällt nichts bei.“

„Du handelst gegen Dein eigen Interesse,“ fuhr der Gerichtsdiener fort. „Wenn Du Alles leugnest, nun da kannst Du lange, lange in Untersuchungshaft sitzen.“

„Ich hab’ ja Zeit. Jetzt könnt’ ich doch auf dem Gehöft meines Vaters wenig schaffen. Ich leg’ mir hier Alles im Kopfe zurecht, was ich thun werde, wenn ich wieder frei bin.“

„Du kommst nicht frei, wenn Du nicht gestehst! Räumst Du Deine Schuld ein – freigesprochen kannst Du dann freilich nicht werden, aber des Kaisers Gnade kann Dich freigeben, und das wird geschehen, weil Deine Eltern Dich nöthig haben. Der Richter selbst will sich für Dich verwenden.“

„Hat er Dir dies gesagt?“

„Ja,“ gab der Diener dreist zur Antwort.

„Nun, dann sag’ ihm, ich brauch’ seine Verwendung und auch des Kaisers Gnade nicht, denn mich trifft keine Schuld!“ rief Hansel.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 578. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_578.jpg&oldid=- (Version vom 8.9.2022)