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Seite:Die Gartenlaube (1883) 576.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

über die römische Dreifaltigkeit und die Klag und Vermahnung wider die übermüthige Gewalt des Papstes.“

Da meinte er lächelnd:

„Ich bin diese Nacht zu einem Edelmann geworden, denn diese Schweizer halten mich für Huldreich ab Hutten.“

Da kam der Wirth an seine Seite und rief:

„Ihr seid es nicht, aber Martinus Luther.“

Da erwiderte er lachend:

„Die halten mich für den Hutten, Ihr für den Luther, bald werde ich wohl gar Markolfus werden.“

Markolfus, zu deutsch Grenzhüter, war aber der Name einer komischen Volksfigur jener Zeit.

Nach diesen Worten nahm er ein hohes Bierglas vom Tisch, um nach des Landes Sitte den Nachttrunk zu kredenzen.

„Schweizer,“ rief er dabei, „trinkt mir noch einen Freundestrunk zum Segen!“

Als nun Johannes das Glas von ihm nehmen wollte, um Bescheid zu thun, that er es zur Seite und nahm statt dessen ein Glas mit Wein.

„Euch Schweizern ist,“ meinte er dazu, „das Bier unheimisch und ungewohnt, trinket dafür den Wein.“

Und Johannes nahm den Wein und rief ihm den gleichen Segen zu. Das Gleiche that dann auch sein Genoß. Der Fremde aber warf seinen Waffenrock über die Schulter und bot den Jünglingen die Hand zum Abschied.

„So ihr nach Wittenberg kommet, grüßet mir den Doctor Hieronymus Schurf.“

„Wir wollen das gern thun,“ entgegnete Johannes, „doch wie sollen wir Euch nennen, daß er den Gruß verstehe?“

„Saget nichts weiter als: ,Der kommen wird, läßt Euch grüßen,’ so versteht er die Worte sogleich.“

Nach dieser Rede trat der Fremde zur Thür hinaus und ging zur Ruhe.

Dann kamen die beiden Kaufleute zurück in die Gaststube und begehrten vom Wirthe noch einen Nachttrunk. Auch die zeigten große Wißbegier, zu erfahren, wer der fremde Reitersmann sei. Und auch ihnen redete es der Wirth auf, daß es der Doctor Martinus Luther sei, obwohl er selbst dessen nicht ganz sicher war.

Da waren die Kaufleute voll Kummer und Aerger darüber, daß sie theilweis so ungeschickt geredet und ihn nicht genug geehrt hatten. Sie beschlossen daher, bald zu Bett zu gehen und am anderen Morgen früh aufzustehen, damit sie den großen und berühmten Mann noch anträfen, ehe er wegritt, und das Versäumte nachholen könnten.

Am anderen Morgen trafen sie ihn denn auch noch, wie er im Stalle sein Rößlein aufschirrte und sich anschickte, fort zu reiten. Er wich jedoch jeder Anrede und Nachforschung aus, indem er sprach:

„Ihr habt gestern beim Nachtmahl gesagt, Ihr wolltet zehn Gulden wegen des Luther’s ausgeben, um ihm zu beichten. Wisset, wenn Ihr ihm beichtet, werdet Ihr wohl sehen und erfahren, ob ich der Martinus Luther bin.“

Nach dieser schelmischen Ausrede saß er auf und ritt zur hintern Thürpforte hinaus auf die dort vorbeiführende Straße gen Halle und Wittenberg.

Die beiden Gesellen aus dem Lande Schweiz wandelten erst weit später die gleiche Straße. Als sie nach zwei Stunden Wegs im Dorfe Naschhausen unterhalb des Bergschlosses Dornburg ankamen, fanden sie, wie in Folge des gestrigen Regens der Saalstrom aus seinen Ufern getreten war und einen Theil der verdeckten hölzernen Brücke hinweggerissen hatte. Da konnten sie nicht weiter und mußten wider Willen im Gasthofe zum „Schieferhofe“ Herberge nehmen, obwohl sie gedachten, an diesem Tag noch bis Naumburg zu kommen.

Dort trafen sie auch die beiden Kaufleute aus Nürnberg, welche das gleiche Mißgeschick festgebannt hatte. Da kam denn auch hier wieder die Rede auf den vermeintlichen Dr. Luther, und da die Kaufleute sich gern einredeten, der Fremde sei es doch gewesen, so bezahlten sie in Freuden den beiden Studenten die Zeche und luden sie ein, auf ihrem Heimwege von Wittenberg sie in ihrer Heimath Nürnberg zu besuchen und ihnen da rechte Kunde zu geben über den Luther, falls sie in Wittenberg des Weiteren von ihm vernähmen.




Erst am Samstag trafen die Schweizer in Wittenberg ein und begaben sich alsbald zu Dr. Hieronymus Schurf, um ihre Empfehlungsbriefe abzugeben sammt dem Gruße Dessen, der da kommen werde. Da fanden sie in des Doktors Stube eine Anzahl Gelehrter beisammen in eifrigem und lautem Gespräche. Es waren dies Philippus Melanchthon, der treue Freund und gelehrte Beistand des Dr. Luther, der Professor Justus Jodocus Jonas, der den Mönch Martinus einst nach Worms begleitet, Nikolaus Amsdorf, auch ein wackerer Verfechter der neuen Lehre, und außer Hieronymus noch dessen Bruder Dr. Augustin. Mitten unter den Fünfen aber saß noch ein Sechster, und dies war kein Anderer, als der fremde Reitersmann aus dem Gasthofe „Zum Bären“ in Jena.

„Lasset Euch nicht stören, meine Freunde,“ wandte sich dieser zu seiner gelehrten Umgebung. „Wir sind“ – dabei meinte er die beiden jungen Ankömmlinge – „alte Bekannte.“

Und nun erzählten die Umsitzenden weiter, wie der blinde Eifer einiger Anhänger der neuen Lehre besonders auf Antrieb des Canonicus und Professors Andreas Rudolf Bodenstein, nach seiner Heimath genannt Karlstadt, zu allerlei Gewalt und Ausschreitungen geführt habe. So habe man nicht blos alle äußeren Bräuche des römischen Gottesdienstes jählings abgeschafft, sondern es sei auch eine Rotte Korah gewaltsam in die Kirchen eingedrungen, habe die Bildnisse der Madonna und der Heiligen von den Wänden herabgestürzt und hinausgeworfen, Altäre und Beichtstühle zerschlagen und an den amtirenden Mönchen Gewalt geübt.

Da erhob sich der Reitersmann zornesmuthig von seinem Sitze und rief mit gewaltiger Stimme:

„O über diese Unseligen, die das Heilige mit ihren unheiligen Händen besudeln und entweihen! Fern von uns sei Gewalt; das Wort allein muß es thun. Das Wort ist es allein gewesen, das Himmel und Erde geschaffen, und nicht wir armen Sünder. Also soll sich auch der Ritter des Schwertes wieder wandeln in den Ritter des Wortes. Ich will zur Kanzel steigen und solange nicht aufhören zu predigen, bis ich die entfesselten Gewalten beschwöre! Das walte Gott!“

Da wußten die beiden Studenten nun, daß der Fremde kein Anderer war, als der leibhaftige Doctor Martinus Luther. Dieser aber hielt Wort. Eine ganze Woche lang bestieg er Tag um Tag die Kanzel und predigte mit solcher Kraft, daß die Ruhe wieder einzog in die überreizte Stadt. Die beiden Schweizer aber blieben während des Sommerhalbjahrs in Wittenberg und studirten da fleißig. Im Herbste aber zogen sie wieder heimwärts, und da kehrten sie unterwegs auch wieder ein im „Bären“ zu Jena und bei den Kaufleuten zu Nürnberg, dahin die sichere Kundschaft bringend, daß es der wirkliche und leibhaftige Luther gewesen, mit dem sie am Fastnachtabend zusammengesessen in der Gaststube des „Schwarzen Bären“. Ja, der eine von ihnen, Johannes, der den Zunamen Keßler führte und später nach allerlei Fahrniß in seiner Heimath Basel zum Schulrathe emporstieg, brachte das denkwürdige Zusammentreffen und die geführte Unterhaltung jenes Abends zu Papier. Diese handschriftliche Auszeichnung davon liegt noch jetzt auf der Bibliothek zu Basel, ist aber auch schon mehrfach in Druck gekommen. Ihr sind wir denn auch bei unserer Skizze meist wortgetreu gefolgt.


Inhalt: Ueber Klippen. Von Friedrich Friedrich (Fortsetzung), S. 561. – Album schöner Frauenköpfe: 8. Studienkopf von W. Menzler, S. 565. – Die Pflanzen-Einwanderung in Norddeutschland. Von Dr. R. Büttner, S. 566. – In der Volks-Kaffeeschenke. Von A. Lammers, S. 568. – Kleine Bilder aus der Gegenwart. Nr. 6. Der Schweizer Alpenclub auf der Ausstellung in Zürich. Mit Abbildungen, S. 569. – Zehntausend Meilen durch den großen Westen der Vereinigten Staaten. Von Udo Brachvogel. III. S. 570. – Mit Illustration von Rudolf Cronau, S. 572 und 573. – Festlied zur Sedanfeier. Von Friedrich Hofmann, S. 574. Dr. Martin Luther im Bären" zu Jena. Von Fr. Helbig, S. 574.


Für die Redaction bestimmte Sendungen sind nur zu adressieren: „An die Redaction der Gartenlaube, Verlagsbuchhandlung Ernst Keil in Leipzig“.

manicula Dieser Nummer ist Nr. 7 unserer Zwanglosen Blätter" beigelegt.

Unter Verantwortlichkeit von Dr. Friedrich Hofmann in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 576. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_576.jpg&oldid=- (Version vom 13.1.2024)