Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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aus dem Concurrenzkampf ging siegreich der kunstvolle Entwurf des Meisters Joh. Schilling in Dresden hervor. Dann erschien der herrliche Tag, der 16. September 1877, an welchem Kaiser Wilhelm den Grundstein des Nationaldenkmals legte, und weithin tönte sein Weihespruch: „Den Gefallenen zum Andenken, den Lebenden zur Anerkennung, den künftigen Geschlechtern zur Nacheiferung!“
Eine Feier war es, von welcher Emil Rittershaus in der „Gartenlaube“ sang:
„Der Redner spricht; dem Kaiser sehn wir jetzt ihn einen Hammer reichen.
Des Kaisers Rechte weiht den Stein; er weiht ihn mit drei Hammerstreichen.
Und wie das Eisen niederfällt, da ruft bei jedem Hammerschlag
Der Donner aus Kanonenmund der Berge rollend Echo wach.
Da werden in den Dörfern rings die Glocken allzumal geschwungen.
Da tönt der Deutschen Heergesang, ‚Die Wacht am Rhein‘, von allen Zungen. –
Still, rede nicht! Der Grundstein liegt. Nun mögen frisch die Meister bau’n. –
Gott geb’, daß wir in Frieden noch auf dieses Werks Vollendung schau’n!
Daß mit der Einheit fest im Bund der Geist der Freiheit möge walten!“
Nun rückt thatsächlich der Tag heran, an welchem das Denkmal enthüllt werden wird, und der Wunsch des Dichters und Volkes ist in Erfüllung gegangen: Es ist uns vergönnt, in Frieden dieses Werks Vollendung zu schauen. Ganz Deutschland rüstet sich zu der bevorstehenden Feier des 28. September, aber es verfolgt auch mit höchster Spannung den Fortgang der Arbeiten auf dem Niederwald, namentlich die Aufrichtung der Germania, deren classisch vollendetes Bild wir heute unseren Lesern vorführen. Sie ist nicht mehr jene mit gezückter Waffe zur Abwehr bereite Heldin, wie sie einst die Künstler darstellten, nein, ihre Linke ruht auf dem lorbeerbekränzten Schwert, und ihre Rechte hält stolz die Siegestrophäe, die im Kampf errungene Kaiserkrone des geeinten Deutschlands, empor – sie ist das stolze Symbol des siegreichen und friedlichen Volkes. Von ihren Schultern wallt der mit Edelsteinen und Reichsadlern verzierte Kaisermantel herab, und zwei mächtige Adler stützen den neben ihr stehenden Thronsessel.
Oft hat man Siegesdenkmäler aus erobertem Kriegsmateriale errichtet, aber hier ist zum Gusse der Germania nicht eine einzige französische Kanone verwendet worden. Deutsches Geschütz wurde zu diesem Zwecke eingeschmolzen, und deutsches Erz ist es, welches dem Wanderer von der Kuppe des Niederwaldes entgegen winkt und ihn an die Zeit der großen nationalen Erhebung erinnert.
Selbstverständlich besteht diese riesige, gegen 750 Centner schwere Figur aus mehreren Stücken, die auf der Höhe des Niederwaldes montirt wurden. Der Guß derselben hat dreieinhalb Jahre in Anspruch genommen, und das berühmte Etablissement der Herren von Miller in München zeigte sich der schwierigen Aufgabe vollständig gewachsen. Alles glückte, und kein einziger Guß schlug fehl. In der ersten Hälfte des Monats Juni stand die Figur fertig in der Münchener Erzgießerei, die gewaltige Höhe von etwa elf Metern erreichend.
Doch nur kurze Zeit hatten die Meister die Freude gehabt, die „Jugendlich Schöne“ in ihrem väterlichen Hause zu schauen; sie mußte bald hinaus in die weite Welt, an die rebenbehängten Hügelufer des sonnigen Rheinlandes. Aber die Fahrt sollte mit ungemein vielen Schwierigkeiten verbunden sein, denn noch niemals wurden auf den deutschen Eisenbahnen so umfangreiche und gewichtige Stücke befördert. War doch die Kiste, in welcher der Rumpf der Figur verpackt wurde, allein gegen fünf Meter breit und sechs Meter hoch. Darum hielt man es von der Vorsicht geboten, zunächst auf den von München nach Rüdesheim führenden Schienenwegen Probefahrten mit einem den eben erwähnten Größenverhältnissen entsprechenden Lattengerüste zu machen. Aber da stellte sich heraus, daß die Lechbrücke zwischen Hochzell und Augsburg zu schmal war, um dem Riesenrumpf der Erzjungfrau freie Durchfahrt zu gewähren. Endlich wurde der Transport über Kaufering-Buchloe bewerkstelligt, und die Firma Holzmann u. Comp. in Frankfurt am Main brachte die Lasten auf einem Trajectschiffe glücklich auch den Rheinstrom hinab.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 552. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_552.jpg&oldid=- (Version vom 11.1.2024)