Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Moidl war nicht im Stande, das Gehörte zu überwinden.
„Weshalb hast Du ihn nicht angeklagt?“ sprach sie.
„Kann ich beweisen, daß er auf mich geschossen hat?“ entgegnete Hansel. „Ich weiß, daß er es gethan hat, denn ich besitze außer ihm keinen Feind, der einer solchen That fähig wäre, sein Erbleichen in der Kirche hat mir die volle Gewißheit gegeben; dem Richter würde das nicht genügen. Und wenn es genügte, ich würde es dennoch nicht thun. Soll ich verrathen, daß ich mich mit Dir getroffen hab’? Dein Vater wär’ im Stande Dich einzuschließen und Tag und Nacht wie eine Gefangene zu bewachen. Die Leut’ würden reden, und Dein Ruf ist mir so heilig wie ein Muttergottesbild.“
„Hansel, wir dürfen uns in langer Zeit nicht wieder treffen,“ sprach das Mädchen mit fast lautloser Stimme. „Ich entbehr’ ja mehr wie Du, denn ich hab’ hier oben Niemand, aber sei meinetwegen ohne Sorge, mein Herz gehört Dir, und es giebt keine Menschenmacht, die mich Dir untreu machen könnt’.“
„Und es giebt auch keine Macht, die im Stande wär’, mich zurückzuhalten,“ unterbrach Hansel sie, mit beiden Armen sie umschlingend. „Laß mich gewähren, Moidl! Einmal muß ich Dich wenigstens jede Woche sehen. Sieh, ich fühle, daß eine wilde Kraft in mir lebt. Du milderst und besänftigst dieselbe, Dein Blick genügt, um das Blut in meinen Adern ruhig fließen zu lassen, Du giebst mir die Kraft zur Arbeit. Jedes Wort, welches Du zu mir gesprochen, wiederhole ich mir immer und immer; sieh, mein Herz lacht, wenn ich den Oberburgstein im Sonnenschein liegen seh’, und wenn er in Wolken gehüllt ist, dann ist es mir, als ob um mich Nacht wär’. Dann umschleicht mich der Gedanke, daß Du mir doch genommen werden könntest, und ich fühle, wie es in meinen Schläfen pocht! Ich muß Dich sehen und sprechen, Du bist mein guter Geist.“
„Ich will es bleiben,“ sprach das Mädchen leise. „Aber der Weg in der Schlucht ist zu gefährlich.“
„Jetzt nicht, denn der Schnee ist fest. Trag’ meinetwegen keine Sorge,“ suchte Hansel die Geliebte zu beruhigen. „Jeden Sonnabend Abend komm’ ich hierher, aber jeden Tag send’ ich viel Grüße zum Oberburgstein. Fang’ sie nur auf, Moidl, daß sie nicht in unrechte Hände gerathen,“ fügte er scherzend hinzu.
Die Liebenden trennten sich. Der Abstieg wurde Hansel viel leichter, denn durch den Bergstock hatte er eine sichere Stütze. Ungefährdet langte er im Thal wieder an.
Die internationale landwirthschaftliche Thierausstellung in Hamburg.
In Hamburg liegt zwischen dem Holsten- und Millernthore, eine Grenzscheide zwischen der inneren Stadt und der volkreichen Vorstadt St. Pauli bildend, ein weites, circa dreißig Hectaren umfassendes Feld, das Heiligengeistfeld genannt. In den ersten Tagen des diesjährigen Julimonats war dasselbe in eine förmliche Budenstadt verwandelt, aus deren Mitte eine thurmgezierte große Halle emporragte, und von den Dächern dieser Budenstadt flatterten die Fahnen aller civilisirten Länder, den internationalen Charakter der landwirthschaftlichen Thierausstellung, die hier abgehalten wurde, andeutend.
Man könnte verwundert fragen: wie kommt die Handelsstadt Hamburg dazu, eine Ausstellung zu veranstalten, die lediglich Zwecken der Landwirthschaft dient? Die Antwort auf eine solche Frage ist eine leichte, denn Landwirthschaft und Handel stehen ja unter sich im innigsten Connex, und der letztere ist fortwährend auf die Producte der ersteren angewiesen. Landwirthschaft und Handel ergänzen sich unter einander, und die Blüthe der einen setzt auch die des anderen voraus. Dessen ist man sich in Hamburg vollauf bewußt und hat seit langer Zeit sein Bestreben darauf gerichtet, thatkräftig an der Hebung der deutschen Landwirthschaft mitzuwirken. So hat denn Hamburg in den letzten zwei Jahrzehnten bereits vier große Ausstellungen veranstaltet, die lediglich der Landwirthschaft zu dienen bestimmt waren. Im Jahre 1863 sah das Heiligengeistfeld eine Allgemeine landwirthschaftliche Ausstellung, die noch heute in den Kreisen der Fachleute als eine Berühmtheit in ihrer Art gilt; 1877 folgte eine große Molkereiausstellung, und bereits 1878, also nur ein Jahr später, eine internationale landwirthschaftliche Maschinenausstellung. Die letzte Thierausstellung hat das vierblättrige Ausstellungskleeblatt rühmlich vervollständigt.
Die Idee und die gelungene Ausführung dieses Unternehmens gingen von einem Kreise von Männern aus, die sich in Hamburg sämmtlich einflußreicher Stellungen erfreuen. An der Spitze der Direction stand der bekannte steinreiche Importeur Albertus von Ohlendorff, der selbst im Holsteinischen und Mecklenburgischen bedeutende Landgüter besitzt und sich auch um alle vorhergehenden landwirthschaftlichen Ausstellungen hervorragend verdient gemacht hat. Letzteres muß gleichfalls von Dr. Richard Seelemann gesagt werden, der als Schriftführer einen wahren Berg von Arbeitslast zu bewältigen hatte. Als Ehrenpräsidenten fungirten der hamburgische Bürgermeister Dr. Kirchenpauer und der preußische Staatsminister Dr. Lucius. Die Stellung eines Ehrenpräsidenten des aus einer großen Anzahl Capacitäten auf landwirthschaftlichem Gebiete bestehenden Preisrichtercollegiums hatte sogar ein regierender deutscher Fürst, der Herzog Ernst von Sachsen-Coburg-Gotha übernommen, der seine mühevollen Functionen mit gewissenhaftem Eifer erfüllte. Die Direction und das Executivcomité hatten nach den angestrengtesten Vorarbeiten die Genugthuung, am 3. Juli eine fertige Ausstellung eröffnen zu können.
Wir gehen sofort zur Ausstellung selbst über. Sie zerfiel in neun große Abtheilungen, die der Reihe nach Folgendes umfaßten: 1) Pferde; 2) Rindvieh; 3) Schafe; 4) Schweine; 5) Bienen, Geräthe für die Bienenzucht, Producte der Bienenzucht; 6) Fische; 7) Geflügel; 8) Stallungen und sonstige Aufenthaltsräume für die Thiere der Abtheilungen 1 bis 4 und 6 bis 7, sowie Maschinen und Geräte, welche in unmittelbarer Beziehung zur Zucht und Wartung oder zur Verwendung vorstehender Thiere stehen; 9) wissenschaftliche Forschungen und Ergebnisse (Literatur, Lehrmittel) aus dem Gebiete der Thierzucht.
Die Abtheilung für Pferde war eine der interessantesten. Nicht wenig trug dazu die Einrichtung eines besonderen großen Vorführungsringes bei, der mit einer Zuschauertribüne versehen und trotz eines nicht geringen Eintrittsgeldes immer stark besucht war. Im Ganzen waren 551 Pferde ausgestellt und in zwei Hauptclassen geschieden, in die der Pferde zu Zuchtzwecken und in die der Gebrauchspferde. Unter den Pferden zu Zuchtzwecken nahm naturgemäß das englische Vollblut einen hervorragenden Platz ein, denn dasselbe dominirt gegenwärtig und hat dem einst so hochberühmten arabischen Vollblut längst den Rang abgelaufen. Das englische Vollblutpferd übertrifft jede andere Pferderasse an Ausdauer und Leistungfähigkeit, und die Züchter aller Länder verwenden es seit Jahren zur Verbesserung ihrer heimischen Rassen mit dem sichtlichsten Erfolge. Die Abkunft derjenigen Pferde, die von Hippologen für echtes englisches Vollblut gehalten werden wollen, muß auf das „General Stud-Book“ zurückgeführt werden können, in welchem Buche man schon gegen Ende des vorigen Jahrhunderts die Stammbäume der Rennpferde zusammenstellte. Dieses alte englische Zuchtregister hat in den Stutbüchern anderer Länder, wo englische Vollblutpferde eingeführt und rein weiter gezüchtet wurden, Fortsetzungen erfahren, die in ihrer Gesammtheit wichtige Documente auf dem Gebiete der modernen Thierzucht bilden.
Aus Vermischungen von englischem Vollblut mit anderen Rassen sind edle Halbblutpferde hervorgegangen, ferner schneidige Reit-, Jagd- und Soldatenpferde, wie sie besonders trefflich in Hannover und Ostpreußen gezüchtet werden, und endlich die sogenannten Carossiers, von denen prächtige Exemplare aus Holstein, aus Oldenburg und Ostfriesland ausgestellt waren. Unter den fremden Pferden erregten die Shire–horses, die der Züchter Walter Gilbey aus Sudenham-Hall in Essex ausgestellt hatte, durch ihre Erscheinung gerechtfertigtes Aufsehen.
Die Thiere, von denen unser Bild den Hengst „Gay Spark“ (Nr. 1) und die Stute „Startling“ (Nr. 2) wiedergiebt, sind von geradezu kolossalen und doch dabei eleganten Körperformen. Ihr Aussteller hatte sie außer die programmmäßige Concurrenz gestellt,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 548. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_548.jpg&oldid=- (Version vom 11.1.2024)