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Seite:Die Gartenlaube (1883) 547.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Hansel war erschöpft auf seinen Sitz zurückgesunken und blickte starr vor sich hin.

„Laß solche Scherze,“ sprach er ruhiger. „Aber was ich gesagt hab’, nehm’ ich nicht zurück. Sag’ dem Unterburgsteiner, daß meine Kugel sicherer trifft und daß er mir ausweicht, es ist besser für ihn und für mich.“

„Was hast Du mit ihm?“ rief Franz Steger.

„Laß,“ entgegnete Hansel abwehrend. „Gebt mir ein Glas und Wein! Wir wollen trinken!“

Um seiner Erregung Herr zu werden, trank er hastig Glas auf Glas, und der Wein verfehlte seine Wirkung nicht. Hansel war bald wieder so lustig wie früher.




Die Freunde des Unterburgsteiners unterließen es nicht, diesem, der in der „Post“ beim Wein saß, die wilde Drohung Hansel’s noch in derselben Stunde zu hinterbringen.

David, der bei dem unerwarteten Anblicke seines Feindes in der Kirche die Fassung verloren, hatte dieselbe längst wieder gewonnen. Er war klug genug, sich zu gestehen, daß er jeden Verdacht nur durch ein unbefangenes und heiteres Benehmen von sich abwenden könne.

In ihm zehrte freilich der Haß.

„Was Dir einmal mißlungen ist, wird das zweite Mal nicht fehlschlagen!“ flüsterte es in ihm.

„Ich lache über die Drohung des Welschen!“ rief er. „Es hat ihn übermüthig gemacht, weil er mich beim Raufen geworfen, aber er soll nicht denken, daß ich mich vor ihm fürcht’!“

„Er ist ein verwegener Bursch’, weich’ ihm aus,“ mahnte ein älterer Bauer.

„Weshalb? Ich fürcht’ ihn nicht,“ entgegnete David. „Aber ich wüßt’ nicht, wo unsere Wege sich kreuzen sollten,“ fuhr er ruhiger fort. „Zu seinem Gehöft steig’ ich nicht hinauf, und auf dem Unterburgstein hat er nichts zu suchen. Begegnen wir uns im Thal – nun, da ist der Weg breit genug. Ich such’ keinen Streit mit ihm, will er ihn indeß beginnen, so kann es mir recht sein.“

„Weshalb hat er einen so heftigen Groll auf Dich?“ fragte der Bauer.

„Er hat’s mir nicht gesagt, aber ich kann’s mir denken,“ gab David lachend zur Antwort. „Er hat ein Aug’ auf die Moidl geworfen und wahrscheinlich geglaubt, er brauch’ nur heimzukehren, dann werde der Oberburgsteiner ihm seine Tochter antragen, weil er in Wien gewesen ist. Der Oberburgsteiner denkt aber anders, er will kein welsches Blut in seiner Nachkommenschaft, er meint auch, mein Gehöft sei etwas besser, als das des Haidacher’s, das vielleicht der nächste Sturm über den Haufen werfen wird, das scheint den Burschen zu ärgern. Mich kümmert’s nicht, denn ich geh’ meinen eigenen Weg und ich hab’ auf meinem Gehöft so viel zu schaffen, daß mir nicht Zeit bleibt, nach dem zu schauen, was Andere treiben.“

Seine Freunde gaben ihm Recht, denn so dachten auch sie.

Die Nachwirkung der heftigen Erregung auf Hansel blieb nicht aus. Er war an dem folgenden Tage niedergedrückt. Welchen Weg sollte er einschlagen, um sich gegen die Tücke seines Feindes zu schützen? Daß David den Anschlag auf sein Leben nicht aufgegeben habe, war er fest überzeugt.

Er dachte daran, zum Oberburgsteiner zu gehen und ihm zu sagen, welche That Der begangen habe, dem er seine Tochter geben wolle; er wußte, daß dies den Bauern empören würde, denn so hart und eigensinnig er war, sein Charakter war ein rechtschaffener. Aber hatte er Beweise, daß David die Kugel abgeschossen? Durfte er verrathen, daß er mit Moidl sich getroffen hatte?

Und wenn es ihm auch gelang, den Oberburgsteiner von David’s Schuld zu überzeugen, stieg denn dadurch seine eigene Hoffnung?

All diese Gedanken warf er schnell von sich. Eins stand in ihm unerschütterlich fest; er konnte Moidl nie aufgeben, er mußte sie sehen und sprechen. Aber wie sollte er zu ihr gelangen, ohne daß David im Stande war, seinen Weg zu entdecken und ihm aufzulauern? Einen größeren Umweg konnte er nicht machen, denn weiter am Berge hinauf schob sich eine jäh abfallende Felswand vor. Oberhalb des Unterburgsteins mußte ihn sein Weg immer durchführen.

Eine Möglichkeit gab es vielleicht noch, den Oberburgstein zu erreichen. In der Nähe desselben zog sich eine Thalsenkung den Berg empor. Herabströmende Wassermassen, wenn es regnete oder im Frühjahre der Schnee auf dem Berge schmolz, hatten vielleicht seit Jahrhunderten an den Felsen genagt und eine Rinne in dem Berge hervorgerufen. Bis zu der Höhe des Oberburgsteins lag Steingeröll in derselben, dann trat der glattgewaschene, nackte Felsen bis zu der Spitze des Berges hervor.

Er kannte diese Schlucht sehr genau. Als Knabe hatte er öfter mit den Gaisbuben ein Wettklettern veranstaltet, und wer auf dem Gerölle sich bis zum Oberburgsteine emporarbeitete, galt als Sieger. Das war freilich zur Sommerzeit gewesen, wenn kein Wasser in der Schlucht floß, im Winter, wenn Schnee die Steine deckte, hatte er es nie versucht. Er wußte auch Niemand, der es gewagt hatte, denn jeden Winter, wenn der Schnee nicht fest lag oder im Thauen begriffen war, stürzten Lawinen, die sich oben an der steilen und glatten Bergspitze bildeten, in dieser Schlucht nieder.

Er wollte diesen Gedanken als unausführbar zurückweisen, aber immer wieder kam er darauf zurück. Er konnte es ja versuchen, Gefahr war augenblicklich nicht damit verbunden, denn der Schnee lag fest. Dort lauerte ihm der Unterburgsteiner sicherlich nicht auf, denn daß er hier den Aufstieg wagen werde, konnte er nimmer vermuthen.

Vom Thale aus konnte er die Schlucht nicht ersteigen, denn an einer Stelle fiel sie mehr denn zwanzig Fuß hoch senkrecht herab. Die Hälfte des zum Unterburgsteine führenden Weges mußte er emporsteigen und sich dann am Bergesabhange hinwenden, bis er die Schlucht erreichte.

Als der Abend, an dem er Moidl zu treffen versprochen hatte, gekommen war, rüstete er sich sorgfältiger, als bisher, zu dem Wege. Er hatte aus Wien einen Revolver mitgebracht, den ihm ein Freund geschenkt. Ihn steckte er in seine Joppe, um dem Unterburgsteiner, wenn ihm derselbe entgegentreten sollte, nicht wehrlos gegenüberzustehen, er nahm seinen Bergstock und mit frischem Muthe verließ er das Gehöft seines Vaters.

Ungefährdet gelangte er bis zu der Schlucht und begann, sich in ihr emporzuarbeiten.

Es war ein unsagbar schwieriges Unterfangen, und nur langsam kam er weiter, denn der Schnee lag hoch und für jeden Tritt mußte er erst einen sicheren Grund gewinnen. Ohne Bergstock würde es ihm kaum möglich gewesen sein. Mehr als einmal mußte er stillstehen, um seine Kräfte zu sammeln.

Aber glücklich, wenn auch verspätet, langte er oben an und eilte dem Platze zu, wo er die Geliebte traf.

Moidl hatte ihn schon seit geranmer Zeit erwartet.

„Ich befürchtete schon, Du werdest heute nicht kommen – es sei Dir ein Unfall begegnet,“ sprach sie, indem Hansel sie in seine Arme schloß.

„Ich bin glücklich da!“ rief Hansel, über das Gelingen seines Wagnisses erfreut. „Es war ein beschwerlicher Weg – ich bin in der Schlucht aufgestiegen.“

„In der Schlucht?“ wiederholte das Mädchen halb erstaunt und halb erschreckt, denn sie hatte dies für unmöglich gehalten. „Weshalb?“

„Ich mußte den Weg wählen, denn der Unterburgsteiner trachtet mir nach dem Leben,“ entgegnete Hansel. Er erzählte, mit wie genauer Noth er der Kugel des Bauers entgangen und wie derselbe erbleicht war, als er unerwartet am folgenden Morgen in der Kirche an seine Seite getreten.

„Jesus Maria!“ rief Moidl erschreckt und umklammerte ihn fester. Der Gedanke an die Gefahr, in welcher der Geliebte geschwebt, machte sie erzittern. „Du darfst nicht mehr zu mir kommen,“ fuhr sie fort. „Ich will Alles ertragen, um Dein Leben zu bangen, halt ich nicht aus.“

„Ich komm’ dennoch, denn ich ertrag’ es nicht, wenn ich Dich nicht sehen kann,“ rief Hansel heiter. „Du brauchst Dich nicht zu sorgen, der Weg in der Schlucht ist ein mühsamer, aber zum zweiten Male wird er mir leichter werden, denn ich habe Bahn gebrochen. Dort sucht David mich nicht. Mag er jetzt hinter irgend einem Felsen auf der Lauer liegen. Die Zeit wird ihm lang werden, bis er mich trifft.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 547. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_547.jpg&oldid=- (Version vom 11.1.2024)