Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
|
Die beiden glücklichen jungen Menschen trafen sich manche Nacht unter einem überhängenden Felsen in der Nähe des Oberburgsteins. Dort waren sie gegen Wind und Wetter geschützt und goldene Pläne der Zukunft bauten sie dort auf.
Die Moidl trat jetzt der Härte ihres Vaters mit größerer Ruhe entgegen. Sie ertrug es, daß er kein freundliches Wort mit ihr redete; es war ihr sogar lieb, daß er ihr untersagte, Sonntags in’s Thal zur Messe zu gehen. Ihre Wangen, welche blaß geworden waren, färbten sich sogar wieder.
Der Bauer täuschte sich über ihre Ruhe.
„Ihr Kopf wird endlich zur Vernunft kommen,“ sprach er zu David, der fast jeden Tag zu ihm kam. „Der Eine braucht längere Zeit als der Andere, um zu erkennen, was zu seinem Glücke ist; man muß Jedem seine Zeit gönnen.“
„Es ärgert mich, wenn die Bauern mich fragen, wann meine Hochzeit sei, und ich’s nicht sagen kann,“ warf David ein.
„Bist doch früher nie um eine Antwort verlegen gewesen! Sag’ ihnen, genau an dem Tage, an welchem Du die Moidl als Bäuerin auf dem Unterburgstein einführest, dann mögen sie es ausrechnen! Den Kopf darfst Du freilich nicht hängen lassen, das bringt die Leute auf falsche Gedanken. Du hast mein Wort, das laß Dir genügen.“
Und David beruhigte sich, so schwer es ihm auch wurde, seine Wünsche hinauszuschieben.
Eines Tages saß die Moidl allein im Zimmer. David war nicht gekommen und ihr Vater war in den Wald gegangen, um nach den Holzknechten zu sehen. Sie dachte an den Hansel, und seit langer Zeit sang sie zum ersten Male wieder ein Lied. Da wurde die Thür geöffnet und die große Gestalt des Unterburgsteiners trat ein.
Des Mädchens Mund verstummte sofort, das Blut wich aus ihren Wangen.
„Weshalb singst nicht weiter?“ fragte David näher tretend.
„Ich sing’ nur für mich und nicht für Andere,“ entgegnete Moidl, ohne aufzublicken.
Die große Gestalt schwieg einen Augenblick und schien nach einem andren Anknüpfungspunkte zu suchen.
„Moidl, ich hab’ in meinem Hause Vieles neu herrichten lassen, willst Dir’s nicht einmal anschauen?“ fuhr er dann fort.
„Wozu? Ich bin nicht so neugierig.“
„Ich meine, es könnt’ Dir nicht ganz gleichgültig sein.“
„Doch, es ist mir gleichgültig. Du kannst in Deinem Hause vornehmen, was Du willst.“
„Da Du doch auch darin wohnen wirst, wär’s mir lieb, wenn ich Deinen Geschmack getroffen hätt’,“ sprach David.
„Ich darin wohnen?“ wiederholte die Moidl, indem sie langsam aufblickte. „Dein Gedächtniß scheint kurz zu sein, sonst würdest Du nicht vergessen haben, was ich Dir gesagt.“
„Es konnte Dein Ernst nicht sein.“
„Es ist mein Ernst; mit Dir habe ich nie gespaßt.“
Der Unterburgsteiner trat näher.
„Ich mein’ es so gut mit Dir,“ sprach er und erfaßte des Mädchens Hand.
Hastig entzog Moidl ihm dieselbe und sprang auf.
„Rühr’ mich nicht an!“ rief sie hastig, drohend.
„Und wenn ich’s dennoch thät?“ entgegnete David lachend und streckte den Arm nach ihr aus, als ob er sie umfangen wolle.
Das Mädchen sprang zurück und erfaßte ein auf dem Tische liegendes Messer.
„Versuch es!“ rief sie und blickte ihn unerschrocken an.
David preßte erbittert die Lippen auf einander. Das Messer würde er nicht gefürchtet haben, der Widerstand des Mädchens erzürnte ihn, denn derselbe zeigte ihm deutlich genug, wie wenig Hoffnung er habe.
„Du mußt Dich dennoch fügen!“ rief er und verließ das Haus.
Das Mädchen antwortete nicht, regungslos blieb sie stehen, das Auge starr auf die Thür geheftet, als befürchte sie, daß der Verhaßte wieder eintreten könne. Dann entfiel das Messer ihrer Hand und sie sank auf einen Stuhl.
Langsam, finster vor sich hinstarrend stieg der Unterburgsteiner zu seinem Gehöft hinab. Vor wenigen Tagen hatte er gehört, wie lustig Hansel bei der Arbeit sang, er wußte, wie ausgelassen er seit einiger Zeit war, wenn er mit seinen Freunden zusammentraf.
Sollten die Beiden so lustig sein, wenn sie nicht mit sich einig waren und sich öfter trafen? Je mehr er darüber nachsann, um so mehr gestaltete sich diese Vermuthung bei ihm zur Gewißheit. Und nur dort oben konnten sie sich treffen; denn der Bauer gestattete nicht, daß das Mädchen den Oberburgstein verließ.
Drohend streckte er die Hand zu dem Gehöft des Haidacher hinüber, fest entschlossen, sich volle Gewißheit darüber zu verschaffen. –
Hansel war so lustig, als er nur sein konnte. Moidl’s Herz gehörte ihm, die Arbeit machte ihm Freude, zumal da er sah, wie sie mit jedem Tage weiter rückte. Und in das Hauswesen seines Vaters war durch ihn auch eine strengere Ordnung gekommen. Für das Geld, welches er mit aus Wien gebracht, hatte er Korn und Futter für die Kühe gekauft, da brauchte er für den Lebensunterhalt nicht mehr besorgt zu sein.
War sein Geld für den Wein knapp geworden, dann wandte er einen Tag daran, um auf die Gemsjagd zu gehen, und auch da war ihm das Glück günstig. Er kannte die Berge und nahen Alpenkämme von Jugend auf, sein Auge war schwindelfrei und seine Sehnen waren gestählt.
Monatelang hatte er die Geliebte jede Woche mehrere Male besucht, ohne daß ihm der geringste Unfall auf den beschwerlichen Wegen begegnet war. Der Schneefall war freilich nur ein geringer gewesen.
Wieder stieg er eines Abends spät zu dem Oberburgstein empor. Mehr als die Hälfte des Weges hatte er bereits zurückgelegt. Als er durch den Wald hinschritt, löste sich plötzlich oberhalb des Wegs ein Stein und gerieth in’s Rollen. Schnell sprang er hinter einen Baum.
Sein scharfes, an die Nacht gewöhntes Auge nahm in einer Entfernung von zwanzig bis dreißig Schritten eine Gestalt wahr, welche hastig davon eilte. Es war eine große Gestalt, ihr Tritt war ein schwerer.
Nicht einen Augenblick lang war er in Zweifel – der Davoneilende war David. Besorgt schritt er weiter. Er fürchtete sich nicht, ihn peinigte nur der Gedanke, daß der Unterburgsteiner sein Zusammentreffen mit Moidl und seinen Weg entdeckt hatte. Es mußte ihm verrathen sein. Wäre derselbe vom Oberburgstein gekommen, so würde er nicht geflohen sein, er hatte ihn beobachtet, das unterlag keinem Zweifel.
Er verrieth der Geliebten von der Begegnung nichts, um sie nicht zu ängstigen. Aber er kehrte auf einem anderen Wege zurück, denn er traute der Tücke seines Gegners das Schlimmste zu. –
Hansel hatte sich nicht getäuscht, es war David gewesen, der ihn belauscht.
Wüthend kehrte der Unterburgsteiner zu seinem Gehöft zurück; seine Vermuthung war zur Gewißheit geworden, der Welsche traf sich mit Moidl während der Nachtzeit. Unsagbare Erbitterung erfüllte ihn. Das Mädchen zog den Welschen ihm, dem reichsten Bauer, vor.
Ohne Ruhe wälzte er sich auf seinem Lager. Es lag in seiner Hand, die Zusammenkünfte für lange Zeit zu stören, er brauchte nur den Oberburgsteiner davon in Kenntniß zu setzen. Das genügte seinem Hasse nicht. Konnte der Welsche nicht neue Wege ersinnen, um mit dem Mädchen zusammenzutreffen? Und selbst wenn ihm dies nicht gelang, hörte die Moidl darum auf, ihn zu lieben?
Es gab nur ein Mittel, den Verhaßten aus dem Herzen des Mädchens zu verdrängen – den Tod! Wenn ihr keine Hoffnung mehr blieb, dann wurde ihr Herz vielleicht gefügiger.
An diesem Gedanken hielt er fest, und immer tiefere Wurzeln schlug derselbe in ihm. All sein Sinnen war während der Nacht und am folgenden Tage darauf gerichtet, wie er den Verhaßten aus dem Wege schaffen könne. Zwanzig Möglichkeiten stiegen in ihm auf, aber keine genügte ihm.
Er würde kein Geld gescheut haben, um eine fremde Hand zu dem Verbrechen zu dingen, aber konnte diese Hand nicht einst als Zeuge gegen ihn auftreten? Er konnte abwarten, bis der Verhaßte wieder auf die Gemsjagd ging, konnte ihm folgen und ihm oben auf einsamem Felskamm eine Kugel in’s Herz senden.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 531. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_531.jpg&oldid=- (Version vom 28.8.2023)