Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Aus ihrer Kummer drang dasselbe, weil sie nicht schlafen konnte, sie hatte vielleicht einen schweren Kampf mit dem harten Kopfe ihres Vaters zu bestehen.
Neuer Muth erfüllte ihn. Er riß den Hut vom Kopfe und schwenkte ihn grüßend zu dem Oberburgstein hinauf. Dann schritt er auf demselben Wege zurück. Aus der Kirche tönte der Klang der Orgel zu ihm, aber er war zu erregt, um in die Messe zu gehen, er konnte jetzt nicht unter die Menschen treten. Wäre die Kirche leer gewesen, dann würde er hinein gegangen sein und ein „Vaterunser“ gebetet haben.
Er ging in’s Wirthshaus. Hastig trank er von dem gebrachten Weine, er wollte den Muth, der seine Brust erfüllte, festhalten.
Nach kurzer Zeit kamen seine Freunde aus der Messe und erstaunt fragten sie ihn, weshalb er derselben nicht auch beigewohnt habe.
„Ich hab’ mich verspätet – das mach’ ich mit meinem eigenen Gewissen aus!“ rief er lachend.
„Hansel, weißt Du, daß der David um die Moidl angehalten hat?“ sprach Franz Steger zu ihm.
„Ich weiß es,“ entgegnete Hansel. „Der Oberburgsteiner hat es auf dem Kirchwege laut erzählt.“
„Und das läßt Dich so ruhig?“
„Kann ich es hindern?“
„Ich glaubte, Du hättest die Moidl gern gehabt. Für den David ist sie zu gut.“
Das Blut schoß in die Wangen des jungen Burschen, und er mußte alle Kraft zusammenraffen, um sein Herz nicht zu verrathen.
„Für mich liegt der Oberburgstein viel zu hoch,“ entgegnete Hansel mit leichtem Achselzucken. „Ich hab’ den Weg gescheut, weil ich weiß, daß ich dem Bauer doch zu gering bin. Der David ist reich.“
„Ich gönne ihm das Mädchen nicht,“ fuhr der Steger fort. „Wird auch das Gehöft dort oben sein Eigenthum, dann kennt er sich noch weniger in seinem Stolze aus. Er glaubt schon jetzt, Alle beherrschen zu können.“
Hansel lachte.
„Wenn die Moidl damit einverstanden ist, dann hat Niemand ein Recht, etwas zu sagen,“ rief er. „Nun setz’ Dich und trink! Haha! Wenn der Unterburgsteiner sich die Hochzeitsjoppe nur nicht zu früh machen läßt!“
Bis zum Nachmittage blieb Hansel mit seinen Freunden zusammen. Sie hatten ihn noch nicht so lustig gesehen. Dann stieg er zu dem Gehöft seines Vaters hinauf.
Der Abend brach herein. Seine Eltern begaben sich zeitig zur Ruhe, und auch er ging auf seine Kammer. An dem Fenster saß er und blickte hinüber zum Oberburgstein. Das Licht, welches er dort schon manchen Abend bemerkt hatte, schimmerte auch jetzt durch das Dunkel der Nacht. Vorsichtig, leise verließ er seine Kammer und das Haus. Der Himmel war klar, und der Schnee erhellte ihm den Weg. In hastigen Sprüngen eilte er thalabwärts und auf wenig betretenem Pfade stieg er zum Oberburgstein empor. Es war ein weiter, beschwerlicher und zur Nachtzeit gefährlicher Weg, in zwei Stunden konnte ein geübter Steiger ihn nicht zurücklegen, er dachte indessen nicht an die Zeit und noch weniger an die Gefahr.
Wohl rang bei dem schnellen Aufstiege seine Brust nach Athem, seine Muskeln zitterten vor Anstrengung, und der Schweiß rann ihm von der Stirn, aber es war nicht die Anstrengung allein, sondern die freudige Erregung, welche sein Blut so schnell durch die Adern trieb.
Er langte auf dem Oberburgstein an. Es war still dort oben. Nur mit leisem Rauschen zog der Wind durch die Kiefern hin. Vorsichtig näherte er sich dem Hause, und es jauchzte in ihm auf, als er den Lichtschimmer in Moidl’s Kammer noch bemerkte. Ob sie noch wachte? Er trat näher. Seine Hand griff in den Schnee und ballte ihn zusammen, vorsichtig warf er ihn an das Fenster. Eine Gestalt tauchte hinter demselben auf – es war Moidl. Leise öffnete sie das Fenster.
„Hansel, bist Du es?“ rief sie leise herab.
„Ja, Moidl,“ entgegnete der Glückliche.
„Warte, ich komme – bleib’ dort stehen, daß mein Vater Dich nicht hört.“
Wenige Minuten später trat das Mädchen aus dem Hause.
„Ich wußte, daß Du kommen müssest,“ sprach sie, als Hansel ihr entgegen eilte und sie in seine Arme schloß.
Sie entzog sich ihm nicht, sie ließ es geschehen, daß er sie küßte. Daß sie einander liebten, wußten sie seit Jahren, ohne daß sie es sich gestanden hatten.
„Du bist erhitzt,“ sprach Moidl, „in das Haus darf ich Dich nicht führen, komm zu der Capelle, dort sind wir gegen den Wind geschützt.“
Hansel fühlte es gar nicht, daß er warm geworden war. Sein Herz schlug so frendig und schnell. Auf’s Neue preßte er das Mädchen an sich.
„Nun fürcht’ ich nichts mehr!“ rief er, während sie zu der Capelle schritten.
„Was hast Du befürchtet?“ fragte Moidl.
„Daß Du das Weib des Unterburgsteiners werden könntest. Ich hörte, wie Dein Vater heute auf dem Kirchgange erzählte, daß Du mit ihm versprochen seiest und an Deiner Aussteuer schaffest. Es hat mir eine böse – böse Stunde bereitet.“
Sie waren an der Capelle angelangt und ließen sich auf der Steinstufe nieder, wo sie gegen den Luftzug geschützt waren.
„Und das hast Du geglaubt? So wenig hast auf mich vertraut?“ warf das Mädchen ein und aus ihrer Stimme klang es wie ein leiser Vorwurf.
„Moidl, es ist nicht wahr?“ rief Hansel. „David hat nicht um Deine Hand angehalten?“
„Er hat es gethan, mein Vater hat ihm auch sein Wort gegeben, aber hier vor dem Gottesbild hab’ ich geschworen, daß ich nie die Seinige werde, und ich hab’ ihm dies gesagt.“
„Moidl – Moidl,“ unterbrach sie Hansel, indem er sie mit beiden Armen umschloß. „Mein sollst Du werden! Ich bin arm, aber ich will arbeiten Tag und Nacht, um mich empor zu bringen, und ich weiß, daß es mir gelingen wird! Nun ich weiß, daß Dein Herz mir gehört, fürcht’ ich nichts mehr, harre nur aus.“
„Ich harre aus,“ versicherte das Mädchen; „ich hätt’ es ja gethan, auch wenn Du nicht gekommen wärst. Ich hab’ schwere Tage durchlebt und Schweres steht mir noch bevor,“ fuhr sie fort, indem sie den Kopf weinend an seiner Brust barg. „Mein Vater hat einen festen und herben Sinn, der giebt nicht nach. Er hat mir gesagt, wenn ich je wieder in das Thal steigen woll’, so führe mein Weg nur über den Unterburgstein, aber den Weg schlag’ ich nimmer ein, lieber stürz’ ich mich vom Felsen hinab.“
„Moidl, sprich nicht so!“ fiel Hansel ein. „Wenn Du nicht in’s Thal kommen sollst, dann komm ich zu Dir – jeden Abend. Harre nur aus.“
„Der Weg ist zu weit und zu beschwerlich,“ warf das Mädchen ein.
„Und wenn er zehnmal so weit wär’, ich käm’ doch!“ fuhr Hansel fort. „Sieh, wenn Dein Vater gewahr wird, daß sein harter Sinn nichts ausrichtet, dann wird er ihn doch ändern.“
„Er ändert ihn nicht.“
„Nun, die Erd’ ist groß, und ich weiß, daß wir auch anderwärts durchkommen.“
„David kommt fast jeden Tag und beräth mit meinem Vater, ich weich’ ihm aus,“ sprach das Mädchen. „Er haßt Dich und hat einen gewaltthätigen Sinn; wenn er gewahr wird, daß Du zu mir kommst, so leb’ ich um Dich in Angst.“
„Ich fürchte ihn nicht,“ gab Hansel heiter zur Antwort. „Er weicht mir aus, seitdem ich ihn beim Raufen geworfen hab’, denn er weiß, daß ich ihm gewachsen bin.“
„Er hat einen tückischen Sinn.“
„Hab’ keine Sorge,“ suchte Hansel die Geliebte zu beruhigen. „Ich kenn hier jeden Stein und Felsen, und mein Auge sieht auch zur Nachtzeit scharf. Morgen komm’ ich wieder um dieselbe Zeit, dann schläft Dein Vater wie der David. Das Licht aus Deiner Kammer soll mir das Zeichen sein, daß es hier oben gut steht und Du mich erwartest, und es kann uns nicht verrathen, denn der Unterburgsteiner vermag es nicht zu sehen. Nun harre aus und nimm den harten Sinn Deines Vaters Dir nicht zu sehr zu Herzen, zwingen kann er Dich nicht, und ich geb’ Dich nicht auf, und wenn mir das ganze Thal als Eigenthum verheißen würde.“
Die beiden Liebenden trennten sich, und glücklich kehrte Hansel heim.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 530. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_530.jpg&oldid=- (Version vom 10.1.2024)