Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
|
No. 33. | 1883. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Ueber Klippen.
Auf dem Wege zur Kirche schritt der Oberburgsteiner mit
einem älteren Bauer vor Hansel her. Sie gingen langsam, und
auch er mäßigte seine Schritte, um an dem Manne, der ihn kaum
eines Grußes gewürdigt hatte, nicht vorüber zu gehen.
„Wo ist Deine Moidl?“ fragte der Bauer seinen Begleiter. „Sie ist doch nicht krank?“
„Krank ist sie nicht,“ gab der Oberburgsteiner zur Antwort, und er schien absichtlich laut zu sprechen, damit Hansel die Worte vernehme. „Sie verrichte ihre Andacht oben in der Capelle, denn sie hat viel zu schaffen, um die Aussteuer einzurichten.“
„Ist sie versprochen?“ fragte der Bauer erstaunt.
„Freilich. David hat um sie angehalten, und ich hab’ ihm gesagt, daß es mir recht ist, wenn die Moidl Bäuerin auf dem Unterburgstein wird. Die Sach’ ist abgemacht.“
Das Blut war aus Hansel’s Wangen gewichen, die Kniee schienen ihm den Dienst zu versagen, aber er hielt sich gewaltsam aufrecht.
„Hat die Verschreibung schon stattgefunden?“ forschte der Bauer weiter.
„Wozu braucht’s der Verschreibung, da wir einig sind,“ gab der Oberburgsteiner zur Antwort. „David ist sein eigener Herr, Geschwister hat er nicht abzufinden, und wenn ich sterb’, hab’ ich keine andere Erbin als die Moidl. Es wird eine mächtige Besitzung, wenn die beiden Gehöft in eine Hand kommen.“
„Wann ist Hochzeit?“
„Noch ist der Tag nicht festgesetzt, aber ich denk’ bald, denn der David braucht eine Frau, und die Moidl schafft fleißig an ihrer Einrichtung.“
Hansel wollte vorstürzen und dem Oberburgsteiner in’s Gesicht rufen, er lüge, denn die Moidl könne nimmermehr das Weib David’s werden. Er beherrschte sich indessen. Seine Brust rang nach Athem. Er trat auf einen Weg, der seitwärts auf’s Feld führte. Hastig eilte er weiter, nur um Niemand zu begegnen, der ihm hätte entgegenrufen können: „Weißt Du schon, daß die Moidl des David’s Weib wird?“
Er langte am Flusse an, der sich im Thale hinzog, er hörte das Rauschen des Wehres, und es klang ihm, als ob Welle der Welle zurief: „sie wird des Unterburgsteiner’s Weib!“
Hätte er nur einmal laut aufschreien können vor Schmerz und Weh! Aber die Kehle war ihm zugeschnürt, und es war ihm, als ob er ersticken müßte.
Er ließ sich auf einen Stein nieder und blickte starr vor sich hin.
„Weshalb hat sie Dir das angethan?“ rief es in ihm. Sein Leben würde er hingegeben haben für sie, um sie zu erringen, würde er gearbeitet haben, so lange er den Arm rühren konnte – jetzt war all seine Hoffnung dahin.
Tolle Gedanken fuhren ihm durch den Kopf hin. Noch an diesem Tage wollte er das Thal für immer verlassen, denn als des Unterburgsteiner’s Weib konnte er sie nimmer sehen. Er dachte nicht daran, was aus ihm wurde – es war ihm gleichgültig. Er brauchte ja nur wieder unter die Soldaten zu gehen, der Oberst, dem er das Leben gerettet, nahm ihn sicherlich gern wieder auf.
Dieser Entschluß reifte mehr und mehr in ihm, selbst der Gedanke an seine Eltern brachte denselben nicht zum Wanken.
Er erhob sich langsam, um ihn zur Ausführung zu bringen; Lebewohl brauchte er Niemand zu sagen, denn er wollte nie zurückkehren.
Unwillkürlich erhob er den Blick. Hoch oben am Berge lag der Oberburgstein so frei und keck. Die Sonne beleuchtete ihn hell, als ab sie ihm denselben noch einmal in vollem Glanze zeigen wolle.
Er zuckte zusammen – ein Gedanke schoß in ihm auf. Wußte er denn, ob der Oberburgsteiner die Wahrheit gesagt hatte? Mochte David bei ihm um die Hand seiner Tochter geworben, mochte er ihm dieselbe zugesichert haben, das Alles kümmerte ihn nicht, wenn die Moidl nicht eingewilligt hatte, und daß sie dies nicht gethan habe, glaubte er fest.
Er hätte sich vor die Stirn schlagen mögen, weil er an ihr verzweifelt! Sie konnte ihn nicht aufgeben, wie er sie nicht aufgab. Tief athmete seine Brust auf, was sie zusammen gepreßt, war mit einem Male zersprungen. Ein lauter Juchzer entrang sich seiner Brust, er glaubte zu fühlen, wie neue Kraft seine Muskeln schwellte, und sie wollte er einsetzen, seine Geliebte zu erringen.
Sein Auge blickte sich suchend um. Wenn jetzt der Unterburgsteiner ihm entgegen getreten wäre, um mit ihm zu raufen! Zehnmal würde er die große Gestalt geworfen haben.
Mit Blindheit war er geschlagen gewesen. Fast jeden Abend bis spät in die Nacht hinein hatte er auf dem Oberburgstein ein schwaches Licht schimmern sehen. Daß es nicht aus der Stube des Bauers drang, wußte er, denn der legte sich zeitig zur Ruhe. Er hatte befürchtet, daß die Moidl krank sei, aber sie war gesund, und jetzt mit einem Male wußte er, was das Licht bedeutete.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 529. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_529.jpg&oldid=- (Version vom 9.1.2024)