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Seite:Die Gartenlaube (1883) 516.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

derselbe war wiedergekommen, als er nach einigen Tagen sah, wie viel er ausgerichtet hatte.

Vom frühen Morgen bis zum Abend war er thätig, und die schwere Arbeit that ihm wohl, weil sie ihm nicht Zeit ließ, seinen Gedanken nachzuhängen. Und Eins hielt seine Kräfte frisch, er brauchte nur den Kopf zu heben, dann sah er den Oberburgstein liegen und die Moidl mußte ihn erkennen und schauen, wie er arbeitete.

Sein Vater suchte ihm zu helfen, die schwachen Kräfte desselben hielten jedoch nicht lange Stand.

„Du bringst es bis zum Frühjahr nicht fertig,“ sprach Haidacher mehr als einmal.

„Wollen sehen, wer Recht hat,“ gab Hansel mit lustigem Muthe zur Antwort. „Es muß mir sogar noch Zeit zum Holzfällen übrigbleiben.“

Die Woche über war er nicht in’s Thal gegangen, um so mehr freute er sich auf den Sonntag. Dann sah er die Moidl wieder, wenn sie zur Messe ging.

Und als der Sonntag kam, schmückte er sich mit besonderer Sorgfalt und eilte jubelnd in das Thal.

Die meisten seiner Freunde traf er bereits in dem „Elephanten“ an. Sie empfingen ihn mit Jubel und machten ihm Vorwürfe, daß er nicht an einem einzigen Abende in’s Dorf herabgekommen sei.

„Ich hab’ keine Zeit,“ entgegnete er. „Es giebt viel Arbeit bei mir oben, da bin ich müd’ am Abend.“

„Ich hab’ schon geglaubt, Du fürchtest Dich vor dem David,“ rief Sepp Plankensteiner lachend.

„Ich fürcht’ Niemand und den Unterburgsteiner am wenigsten,“ gab Hansel zur Antwort.

„Du hast es aber mit dem Wirthe verdorben,“ warf Franz Steger ein. „David war sein bester Gast, und er hat sich hier nicht wieder sehen lassen.“

Hansel zuckte mit der Schulter.

„Ich hab’ ihm den Weg nicht vertreten,“ entgegnete er. „Dies Zimmer hat für Zwanzig Raum, und wenn er sich dort an jenen Tisch setzt, mich soll es nicht stören.“

Die Burschen begaben sich in die Kirche.

Vergebens suchten Hansel’s Augen die Moidl. Ihr Platz war leer. Sollte sie sich verspätet haben? Unter den Männern erblickte er ihren Vater. Weshalb war sie nicht gekommen? Der Schnee konnte sie nicht gehindert haben, denn er lag noch nicht hoch. Sollte sie krank sein?

Seine Unruhe wuchs mit jeder Minute. Die Freude, auf welche er die ganze Woche über gehofft hatte, die seine Kräfte bei der schweren Arbeit frisch erhalten, war vernichtet. Wie ein schwerer Druck lag es auf seiner Brust.

Als die Messe beendet war, trat David an der Seite des Oberburgsteiners aus der Kirche. Ohne zur Seite zu blicken, schritten sie an dem „Elephanten“ vorüber und begaben sich nach dem weiter im Dorfe gelegenen Wirthshause „Zur Post“, um dort ihren Wein zu trinken. Hansel wollte seinen Freunden nicht verraten, was in ihm vorging, er trat mit ihnen in das Wirthshaus, er bestellte Wein, aber er war nicht im Stande, denselben über die Lippen zu bringen.

Die Eintracht David’s mit dem Oberburgsteiner fuhr ihm durch den Kopf hin. Früher waren sie einander möglichst aus dem Wege gegangen.

Es litt ihn nicht in dem Wirthshause. Alles Zureden seiner Freunde war nicht im Stande, ihn zurückzuhalten. Er kehrte zu dem Gehöfte seines Vaters zurück, von dort konnte er wenigstens zu dem Oberburgstein hinüber schauen.

Wieder brachte er eine lange Woche bei der Arbeit zu. Sie wurde ihm nicht mehr so leicht, aber sein kräftiger Körper hielt aus. Er hatte wenig Hoffnung, das geliebte Mädchen am nächsten Sonntage zu sehen, aber als der Sonntag kam, schmückte er seinen Hut doch mit einer frischen Blume, ehe er zur Messe ging. –

(Fortsetzung folgt.)




Ein abschreckendes Beispiel der „guten alten Zeit“.

Daß unsere Altvordern an dem Uebel der Nervenschwäche stark gelitten hätten, wird schwerlich Jemand behaupten wollen. Braucht man doch nur einen Blick zu werfen in jene zum Theil noch jetzt wohlerhaltenen Folterkammern mancher deutschen Städte – die von Nürnberg dürfte unseres Wissens die reichhaltigste sein –, um sich von dem absoluten Ungrunde jener Annahme ein für allemal zu überzeugen. Daumenschrauben, Eiserne Jungfrau, Streckleitern und wie die Marterwerkzeuge alle heißen mochten, waren die Hülfsmittel, deren die hochnothpeinliche Strafjustiz damaliger Zeit sich bediente, um wirkliche oder vermeintliche Verbrecher zu einem „Geständnisse“ zu bewegen. Ein wahrer Schauder ergreift uns Kinder eines erleuchteteren und menschenfreundlicheren Jahrhunderts beim bloßen Anblick jener Folterkammern, und freier athmen wir auf, sobald wir den düsteren und unheimlichen Gemächern, in denen unser Ohr noch heute das Angstgestöhn unmenschlich Gequälter zu vernehmen glaubt, den Rücken gekehrt haben.

Es mag paradox klingen, aber es ist darum nicht minder wahr: ein Stück von Humor – dieses köstlichen, wenn schon kaum definirbaren Angebindes, durch welches die Vorsehung das Germanenthum vor allen übrigen Rassen ausgezeichnet hat – ein Stück davon zieht sich wie ein roter Faden auch durch die sonst so barbarische Strafrechtspflege des deutschen Mittelalters hindurch. So enthalten denn die Folterkammern hier und da auch so manche seltsame Sächelchen, die offenbar ganz und gar nicht auf die Erzeugung körperlicher Schmerzen berechnet waren, sondern die dem düstern Antlitz der gestrengen Frau Themis einen gewissen unverkennbar humoristischen Zug einfügten.

So findet sich z. B. in manchen Folterkammern ein wunderliches Geräth vor, welches etwa wie eine Tonne aussieht, außen mit bunten Bildern bemalt und auf der oberen Seite mit einem Loche versehen ist, groß genug, um einen menschlichen Kopf hindurchzustecken. Dieses Instrument hieß „der Schandmantel“ und war vorzugsweise bestimmt, bösen Weibern, die sich an ihren Eheherren vergriffen hatten, zur Strafe um Hals und Schultern gelegt zu werden. Sonntags mußten die Unglücklichen, mit diesem Umwurf angethan, zum Gespött der ganzen Gemeinde an der Kirchenthür stehen.

Uebrigens galt dieser Schandmantel noch für eine verhältnißmäßig gelinde Strafe; häufig ahndete man körperliche Mißhandlungen, mit welchen eine böse Sieben sich gegen ihren Ehemann vergangen halte, ungleich empfindlicher.

Eine solche härtere Bestrafung gewaltthätiger Eheweiber bildete namentlich der sogenannte „Eselsritt“, eine Execution, die wir unseren Lesern gleichzeitig im Bilde veranschaulichen. Es war dies ein sehr weitverbreiteter Brauch, und noch bis zum Jahre 1604 bestand derselbe z. B. in St. Goar am Rhein. Hier erhielt der Besitzer der Gröndelbacher Mühle alljährlich zwei Klafter Holz gegen die Verpflichtung, den Esel zu stellen, auf welchem die Weiber, „so ihren Mann geschlagen“, rücklings durch die Stadt reiten mußten, während der Amtsdiener auf öffentlicher Straße das betreffende Urtheil vorlas, nachdem der Tambour mit seiner Trommel dem Manne des Gesetzes das nöthige Gehör verschafft hatte. Dann zog die Menge johlend und schreiend, von den Stadtknechten nur mit Mühe von Angriffen auf die ohnedies hart genug Bestrafte zurückgehalten, durch alle Straßen und Gassen des Ortes bis zum Gefängniß zurück.

Auch in Darmstadt und den umliegenden Katzenellnbogen’schen Besitzungen begegnet uns diese Sitte des Eselsrittes noch bis in’s siebenzehnte Jahrhundert hinein. Hier hatten die Herren von Frankenstein auf Bessungen ein förmliches „Eselslehen“, das heißt das vererbliche Recht, gegen angemessene Vergütung den Esel zu der betreffenden Execution zu liefern. Zugleich aber tritt uns hier dieser Brauch noch mit einer scharfsinnigen Unterscheidung, wir möchten sagen: mit einer feineren Nüance, entgegen. Hatte nämlich die Frau ihren Mann, sozusagen, in offener, ehrlicher Rauferei „untergekriegt“, so mußte letzterer den Esel am Zügel führen; hatte dagegen die Frau ihren Eheherrn hinterrücks überfallen, so übernahm der Frankensteiner Bote diese Führerschaft.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 516. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_516.jpg&oldid=- (Version vom 10.1.2024)