Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
|
wenn sie auch nicht gerade zu den durch lebhaften Farbenglanz, zierlichen Gliederbau oder große Beweglichkeit hervorragenden Insassen des Aquariums gehören, so tragen sie doch durch die oft wunderbarsten Formen ihrer Gehäuse dazu bei, die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen zu vergrößern. Besonders abenteuerlich erscheint es, wenn die auf unserer Abbildung wiedergegebenen, aus Schilfstückchen, Moos und Muscheln erbauten Gehäuse langsam auf- und niedersteigen, oder wenn die hinten mit zwei lang hinausragenden Aestchen oder Würzelchen verzierten Köcher auf dem Boden dahinkriechen.
Im Aquarium hat man auch die beste Gelegenheit, die Art und Weise, wie von diesen Larven ihre Häuser gebaut werden, zu beobachten. Die Larven sind nämlich nicht in denselben festgewachsen, sondern können leicht aus denselben ausgetrieben werden, wenn man an der hinteren Oeffnung des Gehäuses vorsichtig eine abgerundete Stricknadel einschiebt und auf diese Weise die Larve zum Herauskriechen zwingt. Bringt man das Thier nun in ein mit Wasser gefülltes Gefäß, dessen Boden mit Holzstückchen, Moosresten und anderen Pflanzenstoffen bedeckt ist, so beginnt es ziemlich bald mit dem Baue eines neuen Hauses. Soweit ich beobachten konnte, verfährt es dabei in folgender Weise. Anfangs kriecht die Larve scheinbar planlos zwischen dem Baumaterial umher, faßt ein Hölzchen oder Blättchen mit ihren Füßen und Zangen, bis sie etwa aus drei bis vier Hölzchen oder Blättchen um ihren Kopf einen Kranz gelegt hat, den sie nun etwas nach hinten schiebt, einen neuen Kranz daran fügt, diesen wieder rückwärts schiebt, und so ein neues Haus zu Stande bringt In dieser Arbeit sind etwa eine bis zwei Stunden erforderlich. Läßt man das Thier nun ungestört, so bessert es noch eine Zeitlang an seiner neuen Wohnung aus. Die Bildung des erwähnten inneren Gespinstes erfolgt erst nach vollendetem äußerem Baue.
Die Lebenszeit der Larve dauert etwa bis Ende Mai oder Mitte Juni. Alsdann ist sie völlig erwachsen und denkt daran, sich zu verpuppen. Sie schließt nun die beiden Oeffnungen ihrer Wohnung mit Moos, hängt sich an Wasserpflanzen fest oder verarbeitet sich förmlich, wie ich es an einer Art zu beobachten Gelegenheit hatte, mit Vorliebe in dichtes Moos, welches am Rande des Teiches unter dem Wasserspiegel wächst.
Die Puppenruhe dauert etwa zwei bis drei Wochen, nach welcher Zeit die Jungfer ausfliegt, während das leere Gehäuse entweder am Moos hängen bleibt, oder auf der Oberfläche des Wassers umher treibt und zerfällt.
Die Größe der einzelnen Arten von Köcherjungfern ist verschieden; mit ausgebreiteten Flügeln messen die größeren drei bis vier Centimeter. Die Färbung ist bei allen Arten unscheinbar, die größeren Oberflügel sind braun oder grau oder gar fast durchsichtig, nur stellenweise mit einem mattfarbigen Anflug oder eben solchen Zeichnungen versehen; die kleineren Unterflügel, welche beim Sitzen verdeckt bleiben, sind farblos. Auf unserer obenstehenden Abbildung ist rechts die bekannteste, rautenfleckige Köcherfliege dargestellt, links zwei seltenere Arten (Phryganea grandis und reticula).
Die unansehnliche Färbung, die, wenn man so sagen darf, zurückgezogene Lebensweise unserer Jungfer, ferner die Aehnlichkeit der Gehäuse der Larve mit in’s Wasser gefallenen Aestchen oder abgestorbenen Pflanzenresten tragen dazu bei, daß diese Thiere, welche ja ohnehin weder nutz- noch schadenbringend in das Leben der Menschen eingreifen, von den Meisten unbemerkt und unbeachtet bleiben. Von ihrem Dasein und Leben wissen etwas Näheres nur Die, welche sich für das stille Treiben lebender Wesen im und am Wasser besonders interessiren, welche Genuß finden an der Erkenntniß der unendlichen Schöpferkraft der Natur und ihrem tausendfältigen Leben und Weben.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 504. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_504.jpg&oldid=- (Version vom 10.1.2024)