Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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kann mir’s anders ergehen als gut, nun ich wieder hier bin! Und noch viel schöner bist Du geworden, Moidl,“ fügte er leise hinzu.
„Moidl, komm!“ rief ihr Vater, der aus der Kirche trat, mit strengem Tone.
Das Mädchen zuckte zusammen und entzog Hansel ihre Hand, aber nicht ohne schnellen, innigen Druck.
Hansel hätte aufjauchzen mögen.
„Guten Tag, Oberburgsteiner!“ wandte er sich an des Mädchens Vater und streckte ihm die Hand entgegen.
„Guten Tag,“ entgegnete der Bauer, den Kopf halb abwendend und die dargereichte Hand nicht annehmend. „Komm,“ wandte er sich an seine Tochter und schritt weiter.
Er war eine große, hagere Gestalt In seinen Zügen lag etwas Hartes und Strenges, nichts von dem heiteren Sinne der Tiroler. Spät hatte er sich verheirathet. Seine Frau war ihm schon nach wenigen Jahren, nachdem sie ihm die Tochter geschenkt, gestorben. Allein war er nun durch das Leben gegangen. Mit einigen Knechten und Mägden hatte er die Arbeit getheilt, und er kannte nichts Anderes als arbeiten und erwerben. Seine Tochter war wie ein Edelweiß allein und sich selbst überlassen aufgewachsen, und wie ein Edelweiß blühte sie.
Und die Besitzung des Bauern hatte das Ihrige dazu beigetragen, ihn von den Menschen zu entfremden. Hoch oben am Berge, mehr denn tausend Fuß über der Thalsohle, lag sie bereits in dem Bereiche der Wolken. Tagelang war sie in Nebel gehüllt, wenn im Thal der Sonnenschein sich lagerte, und im Winter war sie durch Schnee oft wochenlang völlig abgeschlossen.
Im Sommer stieg der Bauer nur Sonntags den beschwerlichen Weg hinab, um die Messe zu hören, und nach derselben in dem nahen Wirthshause, dem „Elephanten“, seinen Wein zu trinken und mit den Bekannten zu plaudern.
Ohne zur Seite zu blicken, schritt er an dem Wirthshause vorüber.
„Willst Du nicht einkehren?“ fragte die Moidl, die an seiner Seite schritt.
„Nein, ich will heim und Du gehst mit,“ gab der Oberburgsteiner mit strengem Tone zur Antwort.
Moidl schwieg. Wie ein trüber Schatten legte es sich auf ihr hübsches, frisches Gesicht. Sie wandte noch einmal den Kopf zurück, und als sie sah, daß der Hansel in der Thür des Wirthshauses stand und ihr nachblickte, da athmete ihre Brust leichter, denn sie wußte, daß er sie nicht vergessen hatte.
„Der Oberburgsteiner hat Deinen ‚Guten Tag‘ kaum erwidert,“ sprach der Sepp zu dem Hansel.
„Kann ich’s hindern?“ entgegnete der Letztere mit heiterem Tone. In Moidl’s Augen hatte er gelesen, daß sie ihn noch liebe, der Druck ihrer Hand hatte es ihm bestätigt – mehr wünschte er nicht. „Wem mein Gruß nicht gut genug ist, der muß sich einen besseren suchen.“
Er zog den Sepp mit in das niedrige Gastzimmer und ließ sich mit dem Steger und mehreren Freunden an einem Tische nieder. An einem Nebentische saß David mit mehreren Bauern.
Hansel bestellte Wein.
„Heut müßt Ihr mit mir trinken,“ sprach er zu seinen Freunden. „Es hat mich oft verlangt, mit Euch wieder zusammen zu sitzen, und nun ist es früher gekommen, als ich gehofft hab’.“
Der Wirth brachte den Wein, und die jungen Burschen stießen an.
„Haha! die wenigen Gulden werden auch ein Ende nehmen! Es ist nur gut, daß dann von den Bergen Wasser genug fließt!“ rief der Unterburgsteiner am Nebentische mit lauter, herausfordernder Stimme.
Besorgt blickten Sepp und Franz auf den Hansel, denn auch dieser hatte einen leicht erregbaren Kopf und sie befürchteten, daß er mit David an einander gerathen könne.
Aber Hansel stimmte in das Lachen des Unterburgsteiners ein.
„Hast Recht!“ rief er mit lustigem Tone zu dem Tische hinüber. „Das Wasser möcht ich weniger missen als den Wein! Es hat den Vorzug, daß es nichts kostet und den Kopf klar erhält!“
Er hatte die Lacher auf seiner Seite.
David schwieg. Er war ein verschmitzter Kopf, aber zu schwerfällig, um es in Wortgeplänkel mit dem Hansel aufzunehmen. Er hatte ohnehin in seinem Grolle hastig getrunken, und der Wein hatte sein Gesicht geröthet und seine Gedanken verwirrt.
Still saß er da und starrte brütend vor sich hin. Er horchte auf jedes Wort, welches Hansel sprach, und es grollte in ihm, weil er keinen Anlaß fand, ihm entgegen zu treten.
Hansel schien sich um seinen Gegner nicht im Geringsten zu kümmern. Lustig erzählte er von dem Leben in Wien, von den prächtigen Bauten und dem Reichthume, der dort herrsche, von dem Glanze des Hofes, den er als Wache geschaut hatte.
„Hast Du nicht auch mit dem Kaiser gegessen?“ rief David, der den in ihm nagenden Groll nicht länger bändigen konnte.
„Nein,“ entgegnete Hansel ruhig. „Aber gesehen hab’ ich ihn oft, und wenn Du besser weißt, wie er aussieht, dann erzähl Du!“
„Ich brauch das nicht zu wissen, denn hier wird er mir doch nimmer begegnen,“ gab David zur Antwort. „Es ist ein Pfarrer nach Rom gereist, der hat seinen Hund mitgenommen, und der Hund hat den Papst gesehen, aber der Papst nicht ihn!“
„Hat der Hund dies Dir selbst erzählt?“ fragte Hansel, und wieder hatte er die Lacher auf seiner Seite.
Das Gesicht des Unterburgsteiners röthete sich vor Zorn.
„Schweig!“ schrie er und schlug mit der Faust so heftig auf den Tisch, daß die Gläser umstürzten.
„Wer hier seinen Wein bezahlt, kann auch schwatzen,“ gab Hansel zur Antwort. „Frag den Wirth, der wird Dir’s sagen.“
Der Unterburgsteiner sprang auf.
„Willst mit mir raufen?“ rief er. „Auf ein großes Mundwerk bin ich freilich nicht eingerichtet.“
„Nein, ich raufe nicht mit Dir!“ entgegnete Hansel. „Du hast Groll gegen mich, und wenn ich raufe, soll es nicht in Feindschaft geschehen.“
„Ich wüßt nicht, weshalb ich Dir grollen sollt!“ rief David. „Haha! Das kann Jeder vorschützen, dem es an Muth fehlt!“
Hansel sprang empor. Mit einem Schritte stand er dicht vor dem Unterburgsteiner, dessen Gestalt ihn um mehr als Kopfeslänge überragte. Das Blut war aus seinem Gesichte gewichen, jeder seiner Nerven schien zu zucken.
„An Muth fehlt es mir nicht – ich will mit Dir raufen,“ rief er.
Seine Freunde sprangen auf und suchten ihn zurückzuhalten, denn den Unterburgsteiner hatte noch Keiner geworfen.
„Laßt mich gewähren!“ rief Hansel erregt. „Daß mir der Muth fehlt, soll mir Niemand nachsagen.“
Mehrere ältere Männer wandten sich an David, um ihn zurückzuhalten.
„Laßt ihn doch seine Kraft mit mir messen!“ entgegnete er mit höhnendem Lachen. „Mit dem Munde allein läßt sich das nicht ausmachen.“
Alle begaben sich auf den Hof des „Elephanten“. Hastig warfen David wie Hansel ihre Hüte fort und zogen die Joppen aus. Sie streiften die Hemdärmel empor, und wer die kräftigen, reckenhaften Arme des Unterburgsteiners sah, konnte über den Ausgang kaum im Zweifel sein.
Die Männer und Burschen hatten um die beiden Gegner einen Kreis gebildet, der hinreichend Raum ließ. Eine ernste und besorgte Stimmung herrschte unter ihnen; denn dies war kein Ringen, in dem zwei übermüthige Buben ihre Kräfte maßen, es war der Kampf zweier Gegner, die sich haßten.
Einen Augenblick standen David und Hansel einander regungslos gegenüber, Auge im Auge; Jeder schien dem Andern eine Schwäche in der Stellung abzulauern. Auf dem Gesichte des Unterburgsteiners lag der Hohn und die Zuversicht eines sicheren und leichten Sieges.
Endlich fuhren sie auf einander los. Es war das Werk eines Augenblicks, aber Beide hatten sich regelrecht erfaßt. Das Ringen begann. David bot all seine Kraft auf, um den Gegner mit einem Rucke niederzuwerfen, aber er hatte denselben unterschätzt. Durch das Gewicht seines reckenhaften Körpers suchte er ihn niederzudrücken, aber Hansel’s Sehnen schienen während des Kampfes zu schwellen, er gab seinem Gegner nicht um einen Zoll nach.
Lautloses Schweigen herrschte ringsum. Nur mit den Augen gaben Hansel’s Freunde sich ein Zeichen, daß auch sie sich über die Kraft des Freundes getäuscht hatten.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 499. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_499.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)