Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
|
Dieser selbst hatte bereits aus eigenen Mitteln dem Könige 100,000 Gulden vorgestreckt, worüber die portugiesischen Originalquittungen zur Prüfung vorlagen, und dafür mehrere Schiffsladungen Pfeffer erhalten, die theils noch in Häfen Portugals, theilweise schon in Augsburg lagerten. Es handelte sich nun für Roth darum, Theilnehmer, welche die übrigen 300,000 Gulden aufbrächten, für sein großartiges Unternehmen zu gewinnen, das, wenn es glückte, dem Anscheine nach von außerordentlicher Rentabilität sein mußte. Harrer, der die Augsburger Firma Conrad Roth seit Jahren als zahlungsfähig und solid kannte und durch die glänzenden Referenzen welche der Kaufmann bei sich führte, bestochen wurde, erklärte sich bereit, mit 300,000 Gulden der zu gründenden Handelsgesellschaft als Actionär beizutreten.
Nun begab sich Roth nach Leipzig und trat in gleicher Weise mit den Directoren der großen Thüringischen Handelsgesellschaft in Unterhandlung. Dieses für den sächsischen Handel außerordentlich segensreiche Konsortium hatte es sich zur Aufgabe gestellt, Sachsen und die angrenzenden Länder mit überseeischen Producten zu versorgen, und es gelang daher Roth, der mit der genannten Handelsgesellschaft schon früher in Handelsbeziehungen gestanden hatte, leicht, auch sie zur Theilnahme an dem großen Actienunternehmen, wie wir es heute nennen würden, zu bestimmen. Wir erwähnen dies ausdrücklich, um unseren Lesern zu zeigen, daß es keineswegs einfältige und beschränkte Leute waren, die Roth zum Opfer fielen, sondern die gewiegtesten Großhändler und Fachleute von Ruf und Ansehen. Auch der Kurfürst selbst sprang nunmehr mit einer größeren Summe als Theilnehmer ein.
Als Hauptstapelplatz für die einzuführenden Gewürze wurde Leipzig bestimmt, und der Magistrat der Stadt ließ im Gewandhause, dem berühmten großartigen Leipziger Kaufhause, in Anbetracht der großen Wichtigkeit des Roth’'schen Unternehmens gewölbte Hallen zur Niederlage sowie für den Verkauf der Gewürze herstellen. Nach einigen Monaten trafen denn auch mehrere Trains mit Pfefferladungen ein, welche selbst die ängstlichsten unter den Actionären der portugiesischen (Gesellschaft vollkommen beruhigten und wegen der ausgezeichneten Qualität der Waaren und ihrer Wohlfeilheit einen so bedeutenden Absatz erzielten, daß die alten Handelsfirmen, welche bisher den Import der überseeischen Gewürze für die Leipziger Messen besorgt hatten, mit dem großartigen neuen Unternehmen nicht mehr Schritt halten konnten und sich theilweise ganz vom Markte zurückziehen mußten.
Wie großartig aber und umfassend Conrad Roth sein kaufmännisches Unternehmen auffaßte, geht daraus hervor, daß derselbe, mit der bisherigen langweiligen Postverbindung nicht zufrieden, die Einrichtung einer neuen Post für Personen, Briefe und Handelsgüter mit größerer Fahrgeschwindigkeit für alle bedeutenderen Handelsplätze Deutschlands vorschlug und die Kosten der gesammten Anlage auf eigene Rechnung übernehmen wollte. Leipzig sollte der Mittelpunkt dieser neuen Poststraßen werden, von dem nach Nürnberg und Augsburg 25 Stationen, nach Hamburg und Lübeck 10, nach Prag 12, nach Lyon durch die Schweiz 35, nach Danzig und Königsberg 49 führen sollten; Oesterreich, Dänemark, Schweden und Italien sollten ebenfalls in diese Postrouten hineingezogen werden, und ein Brief nach den meisten Orten Mitteldeutschlands, wie Braunschweig, Magdeburg, Berlin, sollte nur einen halben Groschen, nach Wien, Hamburg, Lübeck, Frankfurt am Main nur anderthalb Groschen kosten! Der Kaiser aber, an den sich der Kurfürst mit der Bitte um Genehmigung der neuen Posteinrichtung wandte, lehnte den Antrag mit dem Hinweis auf die Zerrüttung des kaiserlichen Postwesens, die nothwendig durch die Einrichtung neuer Poststraßen herbeigeführt werden würde, ab.
Bis zu diesem Zeitpunkte kann man das Unternehmen Conrad Roth’s, der sich nach Allem, was wir bisher von ihm gehört haben, als Kaufmann von großer Gewandtheit, ungewöhnlichem Unternehmungsgeist und weitsichtigem Blick gezeigt hatte, wenn es auch auf gewagter Speculation basirte, nicht gerade als ein unsolides bezeichnen. Der erste große Erfolg hatte ungefähr dieselbe verlockende Wirkung auf die Capitalisten jener Zeit, wie die Auszahlung der hohen Dividenden der Gründer in unseren Tagen; man drängte sich von allen Seiten zur Theilnahme an dem lucrativen Geschäft, und die Warnungen der besonneneren Leute verhallten unbefolgt. Da trat ein Ereigniß ein, welches außer der kaufmännischen Berechnung lag und das, je unerwarteter es kam, desto stärker den trügerischen Boden eines solchen Geschäftes erschüttern mußte.
Der große Kriegszug, welchen König Sebastian von Portugal gegen die mohammedanischen Bewohner Marokkos unternommen hatte, schlug zu Ungunsten der christlichen Waffen aus; der heldenmüthige Führer der Expedition selbst und die Edelsten des Landes fielen in einer mörderischen Schlacht, und Phllipp der Zweite, dem nach dem Tode des Cardinals Heinrich das herrenlose Königreich von Portugal nach alten Verträgen zufiel, ließ dasselbe durch den Herzog Alba für die Krone von Spanien in Besitz nehmen.
Die Folge dieser Ereignisse war, daß Handelsstockungen in den portugiesischen Häfen eintraten und auch für die Leipziger Importgesellschaft der fernere Bezug der Gewürze aus Portugal aufhörte, da das neue Regiment in Lissabon nicht gewillt schien, den Verpflichtungen des todten Königs gegen seine Gläubiger nachzukommen. Natürlich erhielt auch der Credit der Firma im Gewandhause in Leipzig einen argen Stoß, und die Theilnehmer derselben bestürmten in der Panik, unter deren Macht sie standen, ihren Dirigenten ängstlich, Mittel und Wege zu schaffen, die sie vor dem drohenden Fallissement retten könnten. Conrad Roth, welcher bei seiner Speculation so unglückliche Begebenheiten, wie die eingetretenen in Portugal, nicht in Betracht gezogen hatte und der mißlichen Lage der Dinge keineswegs gewachsen war, wußte sich selbst keinen Rath, tröstete aber, so gut er vermochte, die ungestümen Dränger damit, daß er von Augsburg, wo er sich damals gerade aufhielt, nach Lissabon gehen wolle, um seine Sache in Portugal selbst zu vertreten.
Wenige Tage darauf traf am kurfürstlichen Hofe die Nachricht ein, daß Roth plötzlich gestorben sei, und dieselbe stand bald, trotz aller gegentheiligen Gerüchte, unzweifelhaft fest. Nachdem der Kaufmann den ganzen Tag über in seiner Schreibstube zu Augsburg beschäftigt gewesen, habe er des Abends auf sein Pult beim Fortgehen geschrieben: „Morgen früh will ich verreisen!“ Beim Morgengrauen sei er auch wirklich mit seinem portugiesischen Diener weggeritten, aber nur bis zu einem Dorfe in der Nähe von St. Gallen gekommen und hier in der Nacht nach seiner Ankunft plötzlich gestorben. Der Rath von Augsburg jedoch habe in der Vermuthung eines Selbstmordes und zur Sicherstellung der Thatsache seines Todes einen vereidigten Arzt nach dem Dorfe geschickt, der die wieder ausgegrabene Leiche untersucht und gefunden habe, daß Roth an Gift gestorben sei. Der Kaufmann hatte sich aus Verzweiflung über seine mißglückte Speculation den für ihn unlösbar gewordenen Verpflichtungen durch einen freiwilligen Tod entzogen. Die Insolvenzerklärung der Firma Roth folgte, wie sich unsere Leser denken können, diesem Ereignisse auf dem Fuße.
Die meisten unserer Leser werden sich wohl noch der Schreckenstage erinnern, die der jähe Zusammenbruch der meisten schwindelhaften Actienunternehmungen der Gründerzeit in Deutschland hervorrief, und des unsäglichen Elends, welches damit über so viele reelle Handelshäuser hereinbrach. Aehnlich muß es damals auch in Sachsen und namentlich in Leipzig gewesen sein, als die furchtbare Nachricht vom vollkommenen Zusammenbruche des Roth’schen Unternehmens und von dem Tode des Conrad Roth aus Augsburg ankam. Wir können leider keine Auskunft darüber geben, wie viele Opfer dieser ersten Gründung gefallen sind, nur das können wir an der Hand unserer Quellen nachweisen, daß ihre Zahl nicht unbeträchtlich gewesen sein kann. Von der großen thüringischen Importgesellschaft, die auf sehr soliden Grundlagen ruhte, wissen wir, daß sie die Verluste, welche sie durch den Zusammenbruch der Gründung Conrad Roth’s erlitt, aushielt und noch lange Zeit zum Segen der Elb-, Mulde- und Saalegegend arbeitete. Ueber einen Capitalisten aber, der sich mit dem Augsburger Kaufmanne am tiefsten eingelassen und auch bei dem Sturze desselben die meisten Verluste erlttten hatte, finden wir genauere, archivalische Nachrichten, nämlich über den Kammermeister des Kurfürsten August von Sachsen, Hans Harrer. Dieser, der für den reichsten Mann Sachsens galt, war nicht stark genug, um den Verlust seines Vermögens und dazu noch die täglichen Vorwürfe seines Herrn, des Kurfürsten, zu ertragen. In seiner Verzweiflung schloß er sich Nachmittags in die kurfürstliche Silberkammer ein und schnitt sich den Hals ab. Nach dem grausamen Brauche der Zeit wurde die Leiche des unglücklichen Mannes Nachts um zwölf Uhr durch den Diebeshenker zum Fenster hinausgestürzt, auf einen Schinderkarren geworfen und unter dem Galgen eingescharrt. Der Kurfürst zog die Hinterlassenschaft Hans Harrer’s, in welcher sich namentlich sehr reiche Silberschätze befanden, an sich und machte sich für seinen Verlust, den er bei dem ominösen Pfefferhandel Roth’s erlitten hatte, so gut er konnte, bezahlt.
Uebrigens bemühte sich August vermittelst seiner diplomatischen Beziehungen in Spanien, den Niederlanden und Italien durch Arrestationen auf Roth’sche Güter, die hier und dort noch in den Häfen lagerten, seinen Unterthanen den erlittenen Verlust nach Möglichkeit zu verringern. Das Pfefferlager in Leipzig kaufte ein Augsburger Handelshaus für nahezu 100,000 Gulden an.
Wie gewaltig aber der moralische Eindruck über den Zusammenbruch dieser ersten deutschen Gründung im Volke war, läßt sich daraus schließen, daß sich um den Namen Conrad Roth’s ein ganzer Sagenkeis geschlungen hat, der ihn als einen zweiten Rattenfänger von Hameln erscheinen läßt. Die Historie des Kurfürstenthums Sachsen sowie die Meißnische Chronik, welche kaum 100 Jahre später verfaßt sind, erzählen schon ganz grausige Geschichten von Roth.
Nach ihnen schlug der Speculant den Leipziger Kaufleuten vor, ihm eine Anzahl junger Leute aus den Familien der am meisten beteiligten Actionäre zur Begleitung nach Lissabon mitzugeben, damit dieselben sich selbst an Ort und Stelle von den großen Vorräten von Gewürzen, die für ihn in den portugiesischen Häfen lagerten, überzeugen könnten. Man ging in Leipzig auf den Vorschlag ein, und Roth reiste mit seinen Begleitern nach Portugal ab. Dort angesammelt lockte er die unerfahrenen jungen Leute auf ein Schiff, fuhr mit ihnen, um eine vor dem Hafen liegende Insel zu besuchen, auf die hohe See hinaus und – kehrte mit den Schiffsleuten allein auf einem Boote nach Lissabon zurück. Das Schiff, so lautete die Erzählung Roth’s, sei leck geworden und mit seinen Insassen untergegangen, nur er und die Schiffer hätten sich noch rechtzeitig auf ein Boot retten können.
Die Wahrheit aber, wie sich durch die Aussagen eines seiner Spießgesellen ergeben hätte, den man später in Augsburg henken ließ, wäre die gewesen, daß der raffinirte Bösewicht in der Nacht, als die Aermsten im ersten Schlafe gelegen, das Schiff anbohren lassen und sich selbst mit den Schiffsleuten, die in seinem Sold gestanden, auf ein Boot gerettet hätte. Conrad Roth wäre darauf katholisch geworden und hätte sich mit seinem Gelde in ein portugiesisches Kloster geflüchtet!
Ganz so schlimm war nun Conrad Roth, wie die Leser der „Gartenlaube“ gesehen haben, noch nicht gewesen, aber die gute Stadt Leipzig und ganz Sachsen hatte doch auf Jahrzehnte mit dieser ersten Probe einer „Gründung der guten, alten Zeit“ genug!
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 495. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_495.jpg&oldid=- (Version vom 9.1.2024)