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Seite:Die Gartenlaube (1883) 488.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

des Rheins bei Köln besitzt. Das nördliche Ufer trägt vielartiger werdende Bewaldung, die namentlich reich an Wein- und Oelpalmen ist. Zur Rechten erscheinen am Uferrand der grasigen Insel drei einsame Oelpalmen; ihnen gegenüber, noch hinter einer Waldecke verborgen, liegt Ponta da Lenha: der Holzort. Es wird, je nach Wind und Wasserstand, in vier- bis fünfstündiger Fahrt von Banana erreicht. Bis dorthin können große Seeschiffe bequem gelangen; im Jahre 1874 dampfte ein deutsches Kriegsschiff bis zu diesem Punkte: die „Gazelle“, unter Freiherrn von Schleinitz.

Zur Zeit des blühenden Sclavenhandels zählte Ponta da Lenha über ein Dutzend großer Gehöfte, die in länger Reihe am Flusse auf einer künstlich erhöhten und durch Pfahlwerke geschützten Uferleiste errichtet waren. Gegenwärtig finden sich daselbst noch drei Factoreien.

Trotz der starken Verpfählungen unterwäscht der Strom das Ufer; vor einigen Jahren wurde ein Theil einer portugiesischen Factorei plötzlich hinweggerissen, und ein französisches Haus, das gleiche Schicksal befürchtend, hat vor anderthalb Jahren den Platz verlassen. Ponta da Lenha ist von Wasser und Sumpf umgeben und wird nicht selten überfluthet; Morast und Wasserläufe trennen die einzelnen Häuser, sodaß der Verkehr sich gewöhnlich auf Booten oder Canoes vollzieht.

Trotz der bedenklichen Lage ist der Ort nicht in besonderem Grade ungesund, weil vom Flusse her frische Luft die Baulichkeiten durchstreift. Aber seine goldenen Tage sind vorüber; die Stätte ist leer geworden, und nur die Tradition berichtet noch von dem übermüthigen Treiben, das einst hier herrschte.

Der schmucken, durch eine schöne Bananenallee ausgezeichneten holländischen Factorei liegt die englische von Hatton und Cookson unmittelbar benachbart. In letzterer haust Herr Cobden Phillips, ebenfalls ein altbewährter Freund der deutschen Loango-Expedition. Er ist ein Gelehrter und Künstler in der Wildniß, der nach des Tages Arbeit frisch und fröhlich nach seinen Büchern und Instrumenten oder nach der geliebten Geige greift. Gar wunderbar muthet es an, wenn in stiller Abendstunde von der Veranda die verständnißvoll vorgetragenen Weisen unserer Classiker über den leise rauschenden Strom und in den Sumpfwald hinausklingen. Dann halten wohl auch passirende Eingeborene mit Rudern inne und lauschen im treibenden Canoe den Tönen eines Concertes von Mendelssohn oder einer Violinsonate von Bach, wo zur Sclavenzeit der Zecher wüster Lärm erschallte.

Von dieser Gegend aufwärts theilen mehrere Inselreihen den Congo in drei Hauptarme, die Fahrzeugen mittlerer Größe hinreichende Tiefe bieten. Die Dampfer verfolgen in der Regel den in der Mitte liegenden, um in abermals vier bis fünf Stunden Boma zu erreichen. Eine große Anzahl kleiner Factoreien liegt versteckt an den Seitengewässern.

Man erblickt hier die letzten Mangroven, die bereits recht kümmerlich aussehen, weil das Wasser, das ihre Wurzeln umspült, kaum noch brackisch ist. Auch der geschlossene Urwald tritt zurück; nur hier und dort ziehen sich Waldstreifen entlang oder erheben sich Baumgruppen, während die Ufer noch vielfach mit dichtem Gebüsch bekleidet sind.

Aber auch dieses wird spärlicher und an seine Stelle treten die hohen Halmgräser, die den größten Theil des flachen Geländes in unbestrittenen Besitz genommen haben; unter ihnen zum ersten Male der classische Papyrus, dessen unzugängliche Horste die versumpften Bodenstrecken beherrschen, dessen geschmeidige Schäfte das treffliche landesübliche Baumaterial bilden. Die waldscheue, vom Meeresstrande bekannte Fächerpalme findet hier wiederum die Bedingungen ihres Gedeihens und überragt vereinzelt oder in lockeren Hainen die hohen Grasbestände. Allenthalben treiben schwimmende Inseln, deren hauptsächliche Geburtsstätte zur Zeit des Hochwassers gerade in diesem Gebiete zu suchen ist.

Fast unbehindert schweift der Blick weithin über die von unzähligen großen und kleinen Wasseradern durchzogenen Gelände der breiten Niederung bis zu den fernen Uferhöhen. Diese leiten ostwärts zu den Hochlanden des Congo über, die nach kurzer Fahrt oberhalb Ponta da Lenha in Sicht treten. Diese Landschaft ist auf dem beigegebenen Bilde dargestellt.

Nicht wie ein mächtiges Gebirge, sondern als Ketten gerundeter Hügel begrenzen sie die Landschaft, deren Hauptreiz lediglich der vielfache Wechsel zwischen Festem und Flüssigem sowie die ausgeprägte Herbststimmung bildet, welche ihr während der Trockenzeit die mit Ausnahme des Papyrus abgestorbenen Gräser verleihen.




Zur Erinnerung an Hedwig Reicher-Kindermann.

Verrauscht, verklungen für ewig ist die herrliche Stimme, die mit ihrem süßen Wohllaut, ihrer unendlichen Kraft und Fülle Tausende von Herzen im Sturm erobert! Erde, kalte, feuchte Erde deckt die hohe Gestalt unserer Reicher-Kindermann, keine geliebte Heimatherde, sondern fremde: der Adria sonnig blauer Himmel wölbt sich über ihrem Hügel.

Wer nur einmal mit dieser wunderbaren Frau persönlich verkehrt hat, dem wird es schwer, an ihren Tod zu glauben, eine solche Lebensfülle und Gefühlsmächtigkeit trat Jedem mit ihr entgegen. Man kann sich eben das hohe schöne Weib nicht todt denken, und doch reden’s uns alle Zeitungen seit dem 2. Juni täglich vor, und die Nachrufe und Erinnerungen haben noch heute kein Ende. Um so mehr zieht uns nun Alles an, was aus ihrem Leben erzählt wird. Und gerade weil ihr großer öffentlicher Künstlerlebensgang nur eine kurze Spanne von Jahren umfaßt, geht man gern ihrer früheren Vergangenheit nach, um den Ursprung ihrer Größe und die Quellen der Leiden zu erkunden, die beide sich in ihr Leben getheilt zu haben scheinen.

Hedwig Kindermann konnte die Anwartschaft auf ein glückliches Leben nicht augenscheinlicher in die Wiege gelegt werden. Sie war an Leib und Seele trefflich beanlagt und hochbegabt und vom Schicksal mit Eltern gesegnet, deren Bildung und Mittel geeignet waren, ihr den Pfad von der Kindheit bis zum Beruf so freuden- und hoffnungsreich wie möglich zu machen. Ihr Vater ist bekanntlich der berühmte Sänger August Kindermann in München; von der Liebe zu ihrer Mutter zeugen viele später veröffentlichte Briefe. Hedwig muß als Kind und Backfisch eine reizende Erscheinung gewesen sein in ihrer Anmuth, Kraft und Natürlichkeit. Es wird erzählt, daß, wenn sie mit der Küchenschürze geschmückt der Mutter am Herde half, ihre fröhlichen Lieder zum Küchenfenster herausschallten und die Leute auf der Gasse stehen blieben und lauschend sagten: „Das ist Kindermann’s Hedwig! Wie die singt!“ – Und doch soll, nach allen Berichten, der Vater erst durch den Professor an der Münchener Musikschule, Franz Wüllner, auf den Werth der Stimme seiner Tochter aufmerksam gemacht worden sein.

Er nahm sie nun in seine Schule und bildete sie so weit aus, daß sie, sehr jung schon selbstständig, die dornenvolle, aber durch den winkenden Lorbeer unwiderstehlich verlockende Künstlerbahn betreten konnte. Von da an beginnen Kampf und Leid und mit den Triumphen die Gefahren für das junge Leben. Wer die Energie anerkannte, durch welche die entzückende Soubrette sich bis zur höchsten Stufe ihrer Kunst emporrang und die Bewunderung aller Kunstenthusiasten in Deutschland, Oesterreich, England, Frankreich und Italien bis zur Vergötterung zu steigern vermochte, der darf auch nicht vergessen, daß dieselbe Gewalt der Seele, mit welcher sie die peinigendsten körperlichen Schmerzen bezwang, wenn die Pflicht ihrer Kunst es forderte, auch im Dienst ihrer Leidenschaften stand.

Von diesen körperlichen Schmerzen schildert uns ein Beispiel die langjährige Freundin Hedwig’s, Adelheid Bernhardt, in ihrem inhaltreichen „Erinnerungsblatt“[1] S. 7 wie folgt:

„In München (wo Hedwig zuerst an der Hofbühne auftrat) war es auch, wo ihr Leiden begann, denn in den wenigen Wochen unseres Zusammenseins litt sie fast täglich an den entsetzlichsten Krämpfen. Ich erinnere mich eines Abends gegen fünf Uhr, daß sie von Krämpfen befallen wurde. Ich war allein mit ihr und der Aufwartung. Gegen sonstige Anfälle war sie diesmal merkwürdig


  1. „Erinnerungsblatt an Hedwig Reicher-Kindermann nebst deren Briefen an eine Freundin“. (Dresden. Commissions-Verlag von C. Pierson’s Buchhandlung. 1883.) Verehrern und Freunden der großen unglücklichen Sängerin ist dieses Schriftchen, dem wir die werthvollsten Mittheilungen verdanken, auf das Wärmste zu empfehlen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 488. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_488.jpg&oldid=- (Version vom 9.1.2024)