Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Altwassern und Lagunen labyrinthisch durchzogenem Schwemmlande treten in Sicht.
Hier, an einer leider nur sehr schwierig aufzufindenden Stelle, hat in den letzten Tagen des Jahres 1484 der Entdecker der Congomündung, der portugiesische Seefahrer Diego Cao, als Zeugen seines Erfolges einen der ihm mitgegebenen Steinpfeiler (Padrao) aufgerichtet. Als der erste erblickte mit dem portugiesischen Entdecker auch ein Deutscher den Congo: Martin Behaim, ein weitgereister, einem Nürnberger Patriciergeschlechte entsprossener Mann, welcher die Expedition als „Kosmograph“ begleitete.
Noch ehe der Dampfer zur eigentlichen Mündung gelangt, blinkt vor den jenseitigen, weit zurückliegenden Uferhöhen eine Linie weißer Punkte auf, welche das geübte Auge als eine lange Reihe blendend weißer Gebäude erkennt, die vor einem dunklen Hintergrunde von Mangroven scheinbar auf dem Wasser schwimmen. Es ist Banana, der Centralplatz des Congohandels sowohl wie eines großen Theiles des Küstenhandels weiter Landstriche im Norden und Süden.
Erst wenn der Dampfer hinüberkreuzt, entdeckt man, daß die zahlreichen stattlichen Gebäude auf einer sehr niedrigen und schmalen Landzunge liegen, auf einer öden Nehrung, die, einige Kilometer weit vom Nordufer vorspringend, auf der einen Seite von einem breiten Nebenarm des Congo, auf der anderen vom Meere bespült wird. Solchergestalt von unruhigen Gewässern umflossen und ursprünglich von ihnen aufgebaut, ist sie wiederum der Gefahr ausgesetzt, von innen oder außen durchbrochen zu werden. Die gerade an jenen Stellen angesessenen Holländer haben, wie ihre wackeren Landsleute daheim, schon öfters mit dem ihre Existenz gefährdenden Elemente mühsam zu kämpfen gehabt. Mit Pfahlwerken und aus ziemlicher Entfernung herbeigeholten Steinen, die sie an den bedrohten Punkten aufwallen, haben sie bisher ihr Besitzthum erfolgreich behauptet.
Mit voller Kraft hat der Dampfer die mächtige Strömung durchschnitten und läuft in den breiten Arm des Congo ein, der sich zwischen der Nehrung und dem oberhalb liegenden Inselgewirr öffnet. Der Begrüßungsschuß dröhnt über das Wasser und weckt das Echo in den Mangrovenbeständen; der Anker fällt, und von den Factoreien eilen Boote heran, um Nachrichten von der Heimath sowie Güter in Empfang zu nehmen.
Wer auf der Reise verschiedene Küstenpunkte besucht und bereits einen Einblick in afrikanische Handelsverhältnisse gewonnen hat, erkennt sogleich, daß Banana ein wichtiger Platz sein muß. Segelboote und größere Fahrzeuge, sowie kleine und mittlere Dampfer, welche den Güterverkehr auf dem Flusse und an der Küste besorgen, beleben kommend oder gehend die Wasserfläche oder liegen an den Bollwerken vertaut; zeitweilig ankern auch große Seeschiffe in der Nähe, welche die hier angehäuften Producte nach Europa führen, und viermal im Jahre liegt der stattliche neue Dampfer „Afrikaan“ des holländischen Hauses an der Landungsbrücke. Er vermittelt die directe Verbindung zwischen Banana und Rotterdam.
Die südliche Hälfte der langgestreckten Nehrung befindet sich im Besitze des holländischen Hauses, dessen Baulichkeiten und Gehöfte den größten Theil des Raumes einnehmen. Unmittelbar benachbart liegt eine französische Factorei. Dann folgt eine Strecke theilweise versumpften Bodens, noch eine Nebenfactorei der Holländer und auf diese ein ursprünglich portugiesisches Gehöft, das im vorigen Jahre in die Hände einer englischen Gesellschaft übergegangen ist. Am weitesten nördlich und ziemlich abgelegen hat die englische Livingstone-Mission sich eine Heimstätte geschaffen.
Diese Ansiedelungen zusammengenommen bilden Banana. Wenn man jedoch schlechthin von Banana spricht, so ist in der Regel das holländische Haus gemeint. Nicht nur steht es allen übrigen weit voran an Großartigkeit der Anlage, sondern es gewährt dem Ankömmling auch liebenswürdige Aufnahme und Gastfreundschaft, ohne welche sich Niemand in diesen Gegenden aufhalten könnte, so lange er nicht unter eigenem Dache wohnt. Die deutschen Expeditionen in Loango wie Angola waren von jeher auf das holländische Haus angewiesen. Nicht als ob etwa Vertreter anderer Nationen weniger zuvorkommend wären! Wer jene Küstenstriche bereist hat, wird der opferfreudigen Gastfreundschaft und thatkräftigen Hülfe aller Europäer, seien es Portugiesen, Holländer, Engländer, Franzosen, Deutsche, allezeit dankbar gedenken müssen, denn wo immer er sich hingewendet, wurde er willkommen geheißen.
Das holländische Haus und das englische Hatton und Cookson besitzen jedoch die meisten Factoreien, die ausgedehntesten Beziehungen und bedeutendsten Verkehrsmittel, sodaß vor Allem der Forschungsreisende durch deren rückhaltlos gewährte Benutzung in seinen Unternehmungen gefördert wird.
Wer genügend lange an vielen Orten der Küste gelebt hat, um nach eigener Erfahrung urtheilen zu können, darf sich der Verpflichtung nicht entziehen, ungerechtfertigte Anschauungen zu widerlegen. Westafrika ist nicht eine Freistätte für den Abschaum der Menschheit. Wohl wird man dort, wie überall, sympathische und unsympathische, brave und weniger gut geartete Menschen finden; wohl geht dort mancher Mann durch eigene Schuld zu Grunde, und manches ist geschehen, was nach Recht und Gesetz nicht hätte geschehen sollen. Derartiges ereignet sich jedoch selbst da, wo nicht wie in fernen, der Cultur noch unerschlossenen Gebieten die eigenartigen Zustände und Lebensbedingungen größere Anforderungen an die moralische Kraft des Individuums stellen.
Ein Land für Abenteurer ist Westafrika am allerwenigsten. Wer daselbst, und zwar unter viel ungünstigeren äußeren Verhältnissen, nicht arbeitet, wie er daheim arbeiten sollte, der vermag nicht zu existiren. Reichthümer wird Niemand dort spielend erwerben, und zu einem erfolgreichen Geschäftsbetrieb bedarf man geschickter und thätiger Männer.
Zu Banana lernt man den Handelsbetrieb in unerwarteter Großartigkeit kennen. Das holländische Haus ist der bedeutendste Stapelplatz sowohl für europäische Tauschwaaren, als auch für Producte des Congogebietes und der Länder im Norden und im Süden. Dem entsprechend zerfällt das Etablissement in zwei Abtheilungen. In der südlichen sind die zur Verschiffung nach Europa bereiten Landesproducte, in der nördlichen die für den Tauschhandel eingeführten Güter aufgestapelt. In der nördlichen Abtheilung befindet sich zugleich auch die Hauptbuchhalterei. Zwischen beiden, auf der schmalsten Strecke der hier etwa zweihundert Schritte breiten Nehrung, sind die schwarzen Arbeiter des Hauses angesiedelt. Ihre Zahl beträgt etwa vierhundert. Sie wohnen nach Landessitte in kleinen, reihenweise angeordneten, aus Papyrusschäften und Palmfiedern erbauten Hütten, welche von der frischen Seebrise mit voller Kraft bestrichen werden.
Die beiden, durch die originelle Arbeiterstadt getrennten Centralfactoreien bestehen aus riesigen, von eingeführten Backsteinen, Holz oder Eisen construirten Magazinen, sowie schmucken Wohnhäusern. Letztere sind mit breiten schattigen Veranden versehen und enthalten viele hohe luftige Zimmer, die theilweise leer stehen zur Aufnahme gelegentlicher Besucher.
An diesen fehlt es selten in Banana; sei es, daß Beamte oft entlegener Factoreien in Geschäften oder auf einer Erholungsreise eintreffen, sei es, daß Leidende Herrn Dr. Rabe, den seit Jahren in Banana wirkenden, aus Mecklenburg stammenden Arzt des Hauses, consultiren wollen. Alle Gebäude sind blendend weiß gestrichen und den gesunden Seewinden zugänglich. Die weiten Höfe sind mit reihenweis geordneten noch jungen Cocospalmen und mit einer aus Südafrika zur Küste gebrachten Baumart (Spondias lutea) bepflanzt. Künstlich angelegte feste Wege auf dem nachgiebigen, das Gehen ungemein erschwerenden Sande verbinden die wichtigsten Baulichkeiten mit einander.
Die Gehöfte beherbergen europäische und afrikanische Thiere. Da sind ein Paar wohlgepflegte Sattelpferde der beiden Chefs des Hauses, eine Anzahl trefflicher, durch mancherlei charakteristische Eigenthümlichkeiten ausgezeichneter Reitesel und Ziegen, Schafe, Schweine verschiedener Länder. Zahlreiche Hühner, Tauben, Truthühner und Pfauen beleben das Gehöft. Mancherlei Antilopen fesseln den Blick in einem kleinen Park, und Affen ergötzen durch ihr Treiben in einem großen Gitterhaus. Auch ein breitgehörnter Reitochse aus dem Süden wandelt beschaulich umher. Dazu kommen noch die Lieblinge der Beamten des Hauses: ein riesiger Neufundländer, ein flockiger Jagdhund und verschiedene Hündchen, eine Anzahl Katzen, eine überaus zahme, überall auftauchende drollige Manguste (Ichneumon), die nirgends fehlenden klugen Graupapageien und anderes kleines Getier.
Des Tages über herrscht eine rastlose Thätigkeit in den weiten Gehöften. Unter luftigen Schuppen schaffen die Küfer, unter anderen wird an Schiffen gezimmert; aus der Schmiede dröhnen
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 486. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_486.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2023)