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Seite:Die Gartenlaube (1883) 484.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Zoll näher zu der Mama hin, welche, versunken in Begeisterung und Genuß, weder hiervon nach von der vorangegangenen Schlafscene ihrer Tochter das Geringste bemerkt hat. Alfred Berger dagegen fühlt den Entfernungsruck schmerzlich genug, wenn er auch noch immer unverwandt die Trümmer des Zaubergartens zu besichtigen scheint, unter denen auch für ihn die Seligkeit der letzten halben Stunde unwiderbringlich begraben ist.

Der losbrechende Beifallssturm zeigt ihm das erfolgte Schließen des Vorhanges an, und da er annehmen zu können glaubt, daß Fräulein Rosa inzwischen Zeit genug gehabt hat, sich von etwaiger Bestürzung und Verlegenheit zu erholen, befreit er endlich sein Gesicht von dem Opernglase und will sich mit erkünstelter Unbefangenheit zu seiner Nachbarin wenden. Das ist aber vorläufig vergebene Mühe, denn sie kehrt ihm energisch die Rückseite ihrer rosenfarbenen Gestalt zu und scheint plötzlich von dem Enthusiasmus der Mama mit erfaßt zu sein, die, gleich dem übrigen Publicum tapfer applaudirend, nach der Loge Wagner’s hinaufschaut, wo indeß der Meister mit der ihm eigenthümlichen Zurückhaltung der Menge den Anblick seiner vergötterten Persönlichkeit – nicht gewährt. Unter Ausrufen der Entrüstung hierüber beginnt man schließlich, da nichts Anderes übrig bleibt, in’s Freie zu strömen, wo die inzwischen eingetretene abendliche Kühlung zur Erholung ladet.

Alfred Berger hatte mit rühmlicher Schnelligkeit die Garderobe der Damen erobert und genoß das Glück, die Commerzienräthin in ihren Mantel hüllen zu dürfen. Rosa hatte ihren Spitzenshawl hastig und wortlos von seinem Arme genommen und so schnell umgeschlungen, daß er ihr nicht mehr dabei behülflich sein konnte. Er glaubte in den Zügen der jungen Dame eine tiefe Verstimmung zu bemerken und mußte sich sogar für die Ursache derselben zu halten anfangen, da sie es consequent zu überhören schien, wenn er versuchte eine Bemerkung an sie zu richten, während sich alle Drei nach dem Restaurant begaben.

Die Commerzienräthin dagegen strahlte vor Behagen und Wohlwollen. Anfänglich behauptete sie zwar, zu begeistert und aufgeregt zu sein, um essen zu können, widerstand jedoch schließlich nicht länger, als man an dem reich besetzten Ecktische Platz nahm.

Wie hatte sich unser junger Freund auf die gegenwärtige halbe Stunde gefreut, und wie wenig erfüllte sie seine Erwartungen! Fräulein Rosa vermied seinen Blick und dankte nur kurz, in eisigem Tone, wenn er ihr eine Schüssel reichte oder ihr Glas füllte. Im Uebrigen verhielt sie sich fast immer schweigend. – Sie schien ihm wirklich ernstlich zu zürnen. Aber worüber denn? Weil sie, an seinen Arm gelehnt, eingeschlafen war? Das ist doch wahrhaftig nicht seine Schuld!

O lieber, unschuldiger, unerfahrener Referendar, und fast möchte ich sagen: reiner Thor! Ahnst du denn gar nicht, welche gerechte Ursache das liebliche Kind hat, dir zu zürnen? Kann sie dir denn je vergeben, daß ihr Köpfchen eine halbe Stunde lang an deiner, eines fremden Mannes, Brust geruht hat? Sie schämt sich ja so ungeheuer darüber, daß sie es nicht einmal der Mama anvertrauen möchte! Es ist zu entsetzlich! – Und du wagst noch zu fragen, ob es deine Schuld sei? –

„Nun sagen Sie selbst, Herr Referendar. War dieser zweite Act nicht von einer hinreißenden Schönheit? Ich begreife nicht, wie einige ihn zu lang finden können,“ rief jetzt die Commerzienräthin.

Der also Angeredete betheuerte im Gegentheil, daß der zweite Act für seinen Geschmack eher zu kurz sei, und daß er gern noch eine Stunde länger im Zaubergarten geweilt haben würde. Diese Anspielung wurde von Fräulein Rosa leider verstanden und mit einem indignirten Aufblick bestraft, der sich aber schnell wieder auf den Teller senkte, noch ehe er Alfred’s Auge begegnet war.

„Du bist ja noch ganz still und ergriffen, Kind, von dem herrlichen Genuß. – Warst Du nicht auch ganz entzückt davon, wie z. B. die Solostimmen über dem Kosegesang schwebten?“

Rosa gestand mit leichtem Erröthen ein, sie erinnere sich nicht, dies besonders bemerkt zu haben.

„Nicht? Unbegreiflich! Aber Du mußt doch wissen, welche Stelle ich meine? Hier –“ und damit erschien die Partitur wieder auf dem Tisch, als eben die Fanfare zum letzten Act rief.

„Mama, hast Du mein Opernglas und meinen Fächer aufgehoben?“ fragt Rosa plötzlich erschrocken.

„Ich, Kind? Wie käme ich dazu? Vielleicht liegen sie dort unter dem Mantel.“

Alfred zog die vermißten Gegenstände aus seiner Tasche und überreichte sie lächelnd der Suchenden mit einer Verbeugung, besann sich aber während dieser Handlung plötzlich, daß es Fräulein Rosa wahrscheinlich sehr unangenehm sei, auf diese Weise an einen Moment erinnert zu werden, in dem sie nicht fähig war, das Verschwinden ihres Eigenthums zu bemerken.

„Bitte, Fräulein – ich dachte – ich wußte nicht – ich habe die Sachen – einstweilen eingesteckt,“ stotterte er dunkelroth vor Verlegenheit.

Fräulein Rosa hatte den Zusammenhang offenbar sogleich begriffen, denn auch sie war tief erröthet, und in ihren Augen blitzte sogar eine kleine Thräne des Zornes und der Scham, als sie die stummen Zeugen der Vergangenheit in Empfang nahm. Beider Blicke hatten sich dabei eine Secunde lang getroffen, Alfred hatte zu seinem tiefsten Bedauern die verrätherische Thräne bemerkt und nahm sich vor, das arme Kind durch einige Worte, etwa eine Versicherung ewigen Stillschweigens über das Geschehene, oder eine Bemerkung, daß die Sache ja gar nichts zu bedeuten habe, zu beruhigen.

„Ich kann Ihnen versichern, gnädiges Fräulein –“ fing er gutmüthig und immer noch sehr verlegen an.

„Hast Du gesehen, Mama, daß Geheimrath Hofmann’s, da drüben in der Ecke, uns gegrüßt haben?“ fiel Rosa kühl ein, indem sie, Alfred’s Anrede gänzlich überhörend, das Köpfchen schnell nach der bezeichneten Seite wandte.

Verblüfft und schweren Herzens folgte er den Damen, die jetzt den Weg nach dem Theater einschlugen.

Während des letzten Actes des „Parsifal“ ließ Fräulein Rosa’s Kunstinteresse nichts zu wünschen übrig. Sie saß steif und gerade auf ihrem Platz und nahm das Opernglas fast nie von den Augen, sodaß ihr Nachbar, wenn er einen forschenden Blick nach der Seite schweifen ließ, nur die kleine, von elegantem Handschuh bedeckte Hand statt des Gesichtes zu sehen bekam. Er hatte daher vollkommen Muße, den Vorgängen auf der Bühne seine Aufmerksamkeit zu schenken. Namentlich widmete er dem siechen König Amfortas die regste Theilnahme. Brennt nicht auch in seinem Herzen jetzt eine Wunde, die nie, das fühlte er, wieder heilen wird?

(Fortsetzung folgt.)




Im Congoland.

Von Dr. Pechuel-Loesche.
2.0 Europäische Handelsplätze in der Congoniederung.

Eine wochenlange einförmige Reise auf dem englischen Postdampfer führt den Congofahrer größtentheils in solcher Nähe an der Küste von Westafrika entlang, daß diese sich wie ein Panorama vor ihm aufrollt. Von Kabinda an nähert sich endlich der bis dahin viele Küstenpunkte berührende Dampfer in ununterbrochener Fahrt dem Congo; gefährliche Bänke zwingen ihn jedoch, wie alle tiefgehenden Fahrzeuge, vom Lande abzuhalten. In dieser Gegend wurden in den Jahren 1863 und 1868 von den englischen Kreuzern die letzten Sklavenschiffe aufgebracht.

Mißfarbige Gewässer, schwankende Strömungen und unruhiger Wellenschlag kündigen die Nähe des Congo an; der Dampfer pflügt quer hindurch, denn er pflegt den Fluß von der Südseite anzulaufen. Die bisherige Küstenlinie schwindet mehr und mehr, zugleich aber tauchen gerade voraus Bestände von Mangroven[1] und Fächerpalmen auf, welche die südliche Landmarke, Point Padrao, in Besitz genommen haben. Ausgedehnte Strecken von niederem, dicht bewaldetem, sowie nach innen von


  1. Eine Baumart, die in tropischen Küstengegenden auf Bodenstrecken gedeiht, welche von Brackwasser bespült werden. Der Stamm der Mangrove wird von einem oft grotesk gestalteten Wurzelgerüst getragen, welches bis mehrere Meter hoch über dem Schlamm frei emporragt. Von dem Gezweig hängen Luftwurzeln nieder, die jedoch nicht, wie vielfach geschildert wird, zu neuen selbstständigen Pflanzen auswachsen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 484. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_484.jpg&oldid=- (Version vom 9.1.2024)