Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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aufgethan, das Théâtre des Nouveautés, welches mit seinen Zugstücken große Erfolge erringt.
Das Gymnasetheater auf dem Boulevard Bonne-Nouvelle hebt sich von demselben durch eine Vortreppe etwas stattlicher ab. Hier haben Scribe und sein Nachfolger Sardou ihre hauptsächlichsten Erfolge errungen. Daß hier die Darsteller des feinsten Conversationstons mächtig sind, bewies mir eine Darstellung der „Heloïse Paranquet“, der ich beiwohnte; es war dies eine Réprise jenes zusammengequälten Dramas, welches das in Frankreich so beliebte Thema der „unwürdigen Mütter“ behandelt.
Vorbei an den Triumphbogen der Porte Saint-Denis und Saint-Martin und an zwei neuen Operettenbühnen, von denen das Renaissancetheater in seinem Innern ein wahres Schmuckkästlein ist, führt uns der Weg zum altberühmten Theater der Porte-Saint-Martin, wo früher die großen romantischen Trauerspiele, später die wunderbarsten Feerien, Revuen und Spectakelstücke gegeben wurden. Hier ist auch die Stätte für das patriotische Drama, wo die Helden sich an die Brust schlagen und „La France“ mit Begeisterung in die freudig wiederhallenden Räume des Hauses schleudern. Mag das Stück in China, Kamtschatka und am Nordpol spielen: immer spielt ein Franzose mit, der die große Nation mit Heldenmuth und Edelmuth und volltönenden Phrasen vertritt. So war’s auch in Dennery’s „Michel Strokoff“, einem großen Ausstattungsstücke, das ich dort sah. Da fehlte es nicht an brennenden Städten, an Schlachtfeldern, die mit Leichen bedeckt sind, an Naphthaflüssen, Tatarenfesten, an Sensationsscenen, indem z. B. ein russischer Courier geblendet wird, aber das Augenlicht wieder erhält durch ein psychologisches Wunder. Doch auch der tapfere, edle Franzose fehlt hier nicht, der, als Kriegsjournalist mit einem drolligen Engländer gleichen Berufs im Bunde, die merkwürdigsten Abenteuer erlebt.
Weiterhin am Boulevard liegt das Ambigu-Comique, ein Volkstheater, das sich während meiner Anwesenheit in Paris vorzugsweise damit beschäftigte, die Streiche des wackeren Cartouche seinem Publicum vorzuführen.
Auf der andern Seite der Boulevards liegt das Théâtre des Variétés, eine Lustspiel- und Opernbühne, die Vieles und Allen Etwas bringt, und an der Place Favard, nicht weit von der Großen Oper, die Opéra comique, die Stätte, wo Auber’s, Boieldieu’s und Thomas’ Lorbeern blühen.
Es ist unmöglich, in dem beschränkten Raume meiner kurzen Skizze alle Pariser Theater Revue passiren zu lassen; wir erwähnen nur noch das Gaîté-Theater an der Place des Arts et Metiers, das mit Ausstattungs- und Conversationsstücken wechselt, das größte Theater von Parts, das Châtelettheater, welches über 3300 Zuschauer faßt und in welchem wir zur Zeit des second empire eine prachtvolle Aufführung des französischen „Aschenbrödel“ („Cendrillon“) sahen, und das ihm gegenüberliegende Théâtre Lyrique, wo früher vorzugsweise die deutsche Oper gepflegt wurde. Die neuesten Schicksale dieser beiden Bühnen sind mir unbekannt. Thatsache ist das Ueberwuchern der Operette im letzten Jahrzehnt, welche jetzt mit drei bis vier Bühnen den Boulevard beherrscht. Doch wo bleibt das Trauerspiel? Die Comédie Française, die es eigentlich nicht im Wappen führt, hat Corneille und Racine auf ihrem Repertoire, bringt auch gelegentlich Victor Hugo eine Huldigung durch Aufführung eines seiner Trauerspiele dar, aber die neueste dramatische Dichtung höheren Stils findet hier nur selten ein Asyl: Ponsard war der letzte namhafte Poet, den dies Theater begünstigt hat. Die andern flüchten sich auf die Versuchsbühne des Quartier Latin, das Odéon, wo Stücke in gereimten Alexandrinern noch den Beifall des akademischen Publicums finden. Dort hat Louis Bouilhet seine Lorbeern geerntet. Wer der Aufführung klassischer Trauerspiele am Théâtre Français beigewohnt hat, der wird erstaunt sein über das eigenthümliche Pathos, mit welchem die Darsteller hier die Verse der unsterblichen Dichter in’s Publicum lanciren und das in so auffallendem Contraste steht zu der großen Lebenswahrheit und künstlerischen Feinheit, mit welcher sie die moderne Komödie spielen. Allen Respect vor der Darstellungskunst der Sociétaires der ersten Bühne Europas; aber ihre dramaturgische Einsicht kann mir nicht imponiren. Ich hatte das Unglück, allzu oft Stücke zu sehen, welche Fiasco machten und es zu machen verdienten: vor Jahren einmal Le fils von Vacquerie, jetzt Les Corbeaux von Becques, ein Schauspiel ohne jeden künstlerischen Aufbau, von krasser Lebenswahrheit und verletzendem Abschlusse.
Das Theater von Paris ist nach wie vor das Welttheater; aber die Weltbühne selbst, die Bühne, wo sich die Geschicke Europas entscheiden, ist nicht mehr an der Seine zu suchen.
Bilder aus der Hygiene-Ausstellung.
„Wie komme ich am besten nach der Volksküche?“ fragte ich einen Beamten der Hygiene-Ausstellung, nachdem ich mich einige Zeit im Hauptgebäude aufgehalten und dann einen Spaziergang durch die davor befindlichen Gartenanlagen gemacht hatte. Es war am Tage nach der vorläufigen Eröffnung der Ausstellung, die officielle Einweihung in Gegenwart des Kronprinzen sollte erst am nächsten Tage stattfinden, es war daher nur von einer keineren Anzahl von Besuchern zu erwarten, daß sie sich bereits völlig orientirt hätten, trotzdem mußte in meiner Frage etwas Befremdendes liegen. Bei aller Höflichkeit, mit welcher der Mann sich anschickte, mir Antwort zu geben, malte sich in seinem Gesichte ein Ausdruck, der, in Worte übersetzt, vielleicht gelautet hätte:
„Wie kann man nicht wissen, wo die Volksküche liegt! – Die Volksküche, die den im Schweiße ihres Angesichtes schaffenden und sorgenden Beamten und Arbeitern schon Freundin und Ernährerin geworden ist, ehe noch die Pforten der Ausstellung dem schau- und lernlustigen Publicum aufgethan worden sind!“
Schnell wie der Gedanke ging aber der staunende Blick in einen mitleidigen über. Es war Mittagszeit, vielleicht war auch ich eine Hungrige, die zu den Fleischtöpfen der Volksküche wallfahrten wollte – und ich vermochte den Weg dahin nicht zu finden!
„Gehen Sie durch den Stadtbahnbogen, dann über die Brücke, und – nun, dann werden Sie schon sehen.“
Der letzte Satz des Bescheides war mir zwar nicht ganz klar, indeß ich folgte der Weisung, gelangte in’s „Seegebiet“, eine anmuthige Parkanlage mit einem breiten Wasserspiegel, ging an dem rasengrünen, mit Turngeräth versehenen Spielplatz vorüber und sah die Gebäude der Separat-Ausstellungen vor mir liegen, gleichzeitig verstand ich aber auch, was mit dem: „dann werden Sie schon sehen“, gemeint war. Eines Wegweisers nach meinem Ziele brauchte es nicht. Ich durfte mich nur dem Strome anschließen, welcher ihm zustrebte, und der sich zum größeren Theile nicht nur aus Schau-, sondern aus Eßlustigen zusammensetzte; einer der ersten Stimmführer in der socialen Frage, der Magen, lenkte ihre Schritte. Und diese Frage wird hier gelöst in einer Weise, die ebenso zuträglich für die Gesundheit, wie schonend für das Portemonnaie ist.
Es war, wie bereits erwähnt, Speisezeit, und in der Küche entfaltete sich das regste Leben. Das links am Eingange befindliche Comptoir der Markenverkäuferin war dicht belagert, man beeilte sich, seine fünfzehn Pfennig gegen eine Marke umzutauschen und diese dann wieder an dem die eigentliche Küche vom Publicum trennenden Schalter in einen Napf voll Sauerkohl und Erbsen mit einem Stück Fleisch und Brod dazu, oder in einen eben solchen Napf voll Reis sammt Fleisch und Brod zu verwandeln und sich an einem der rechts und links vom Eingange aufgestellten Tische niederzulassen, um die Portion mit gutem Appetite zu verzehren, der allerdings schon ein recht guter sein muß, wenn er das verabreichte Quantum bewältigen will.
Es war eine bunte und im besten Sinne des Wortes gemischte Gesellschaft, die sich hier zusammengefunden hatte. Dicht neben mir stand ein commandirender General, die Gemahlin am Arme, beide kosteten herzhaft von der ihnen dargereichten Schüssel und erklärten die Speisen für vortrefflich. Hatte die Excellenzen auch nicht der Hunger in die Volksküche geführt; war es dem berühmten Künstler, der sich nach ihnen mit der verdienstvollen
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 476. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_476.jpg&oldid=- (Version vom 9.1.2024)