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Seite:Die Gartenlaube (1883) 473.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)


Kleine Bilder aus der Gegenwart.

Wer kennt nicht den Zauber, welchen die Geschichte frühester Jahrhunderte um die ehrwürdige Stadt Aachen wob und welchen die Ueberlieferung und die Sage auf spätere Geschlechter übertrug? Im grauen Nebel römischer Zeit verliert sich die Gründung der Stadt, schon Chlodwig hielt hier einen Reichstag ab, und Theodorich wählte im Jahre 514 Aachen zu seiner Residenz. Zwei Jahrhunderte später erblickte in Aachens Mauern Karl der Große das Licht der Welt, hier weilte er, sobald es ihm die Regierungsgeschäfte seines weiten Reiches erlaubten, hier baute er die Bäder, das berühmte Rathhaus und den kunstvollen Dom, hier schloß der erste deutsche Kaiser seine müden Augen und fand seine letzte Ruhestätte.

Das Rathhaus zu Aachen vor dem Brande.
Nach einer Photographie.

Und später! Seit Ludwig dem Frommen, dem dritten Sohne Karl’s des Großen, viele Jahrhunderte hindurch bis zu Ferdinand dem Ersten (1531), war Aachen die Krönungsstadt des deutschen Reiches und siebenunddreißig Kaiser erhielten hier die kirchliche Weihe. Kein Wunder also, daß Aachen im Mittelalter die für damalige Zeiten stattliche Zahl von 100,000 Einwohnern aufweisen konnte und seine Bürger durch viele Privilegien eine geachtete Stellung im Reiche einnahmen. Alle diese Erinnerungen bewegten auf das Tiefste die deutschen Gemüther, als am 29. Juni der Telegraph die schmerzliche Nachricht verbreitete, ein großer Brand herrsche in Aachen, das Rathhaus stehe in Flammen und von den benachbarten Städten hätte Hülfe requirirt werden müssen.

Das Aachener Rathhaus! Einfach, aber würdig erhob es sich auf dem Marktplatze als stolzes Wahrzeichen der Stadt. An demselben Orte stand einst die kaiserliche Pfalz[1], vom Kaiser Karl in den Jahren 780 bis 785 erbaut. Auf den Trümmern derselben wurde um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts das Rathhaus aufgeführt, in welches viele Theile der alten Pfalz aufgenommen wurden. Selbst als dieser Bau in dem großen Brande von 1656 zu Grunde gegangen war und unter der Leitung des städtischen Zimmermeisters Gerhard Kraus das heutige Rathhaus entstand, blieben unzweifelhaft einzelne Theile des alten Mauerwerks erhalten, sodaß wir in demselben die werthvollen Ueberreste der ältesten deutschen Baukunst erkennen müssen.

Das Rathhaus zu Aachen nach dem Brande.
Nach einer Skizze von Georg Macco.

Neben dem 170 Fuß langen und 60 Fuß hohen Gebäude erhoben sich, wie wir auf unserer Abbildung sehen, zwei 180 Fuß hohe Thürme. In dem westlichen halbrundgeformten befindet sich die ehemalige Haupttreppe zu dem großen Krönungssaale, an der nordwestlichen Seite erblicken wir noch ein kleines Erkerthürmchen, von dem eine Treppe in die Nähe des kaiserlichen Thrones führte. Der zweite an der Ostseite gelegene Thurm ist dagegen viereckig und mit Schießscharten versehen.

Die beiden großen Thürme waren mit einem hohen Dachaufsatze und Gallerien versehen, von denen das Auge das Aachener Thal weit überschauen konnte.

Diese beiden „Holzhelme“ wurden nun nebst dem Dachstuhle von dem Flugfeuer, welches sich über einen Theil der Stadt von dem Brandherde, dem Magazin der Mohnheim’schen Fabrik, ausbreitete, ergriffen, und sind in kurzer Zeit ein Raub der Flammen geworden.

Wiewohl der eine Thurm zusammenbrach und seine Trümmer auf das Rathhaus niederstürzten, so hielten dennoch die mächtigen Bogen des Kaisersaales den wuchtigen Anprall aus, bis es gelang, die Gefahr von dem Hauptgebäude abzuwenden.

So ist, wie wir aus unserer zweiten Abbildung ersehen können, nur der Verlust des Daches und der Thürme zu beklagen; das Rathhaus selbst aber mit seinen unersetzlichen Archivschätzen, seinen reichen Bildergallerien, den berühmten Fresken des Kaisersaales, die von Rethel’s Künstlerhand gemalt wurden, ist gottlob! erhalten; selbst der reiche Schmuck der Frontwand ist unversehrt geblieben.

Bekanntlich hat der Brand auch in anderer Beziehung die Stadt hart geprüft, da an jenem verhängnißvollen Tage nicht weniger als dreißig Brandstellen vorhanden waren, aber die Aachener hielten tapfer Stand und mit Hülfe der Stolberger, Eupener, Langerweher, Düsseldorfer und Kölner Feuerwehr gelang es ihnen schließlich, des Feuers Herr zu werden, und man tröstete sich im Unglück vor Allem damit, daß kein Menschenleben verloren ging. Das frühzeitige Erscheinen der auswärtigen Feuerwehren mit bespannten Spritzen und Zubehör in der bedrängten Stadt gehört wohl zu den charakteristischen Zügen unserer Zeit, die durch Dampf und elektrischen Funken, durch die gebändigten Elemente, gegen die entfesselte Macht derselben anzukämpfen weiß. Hätte wohl Jemand noch vor fünfzig Jahren an die Möglichkeit gedacht, daß in kaum sechs Stunden nach Ausbruch des Brandes in Aachen die Feuerwehren von Düsseldorf und Köln mit Spritzen und Geräthewagen an Ort und Stelle erscheinen könnten?


Ein wesentliches Abwehrmittel gegen die Entartung der reisenden Handwerksburschen ist die Neubegründung handwerksgenossenschaftlicher Verbände zum Ersatze des Zunftverbandes. So hat der „Verein deutscher Buchdrucker“ durch seine Unterstützungsagenturen den Genossen seines Faches wesentliche Dienste gethan. Dasselbe gilt von den vom Pfarrer Kolping gegründeten „Katholischen Gesellenvereinen“, abgesehen von ihrer confessionellen Tendenz. Im Jahre 1881 zählte man deren fünfhundert.

Einen ganz besonderen Antheil an der Fürsorge für Besserung der Verhältnisse des wandernden Arbeitspersonals darf die Innere


  1. „Pfalz“, von dem lateinischen Palatium abgeleitet, = Palast.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 473. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_473.jpg&oldid=- (Version vom 9.1.2024)