Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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„Nie werde ich jene Stunde vergessen, wo ich in Schnee und Einsamkeit, mit einem verrenkten Fuße und von aller Welt verlassen auf der Landstraße saß. Sie retteten meine Acten –“
„O, das war ja nicht der Rede werth!“ lehnte Emma bescheiden ab.
„Bitte, es war sehr der Rede werth. Es waren die Urkunden von sechszehnhundertachtzig –“
„Werdenfels contra Werdenfels?“
„Ganz recht. Ohne Ihre muthige Dazwischenkunft wären sie ein Opfer dieser tückischen Geisterspitze geworden.“
„Glauben Sie denn an die Geisterspitze, Herr Justizrath?“ fragte Emma überrascht.
Freising warf einen scheuen Blick durch das Fenster, wo das „weiße Ungethüm“ in der Entfernung deutlich sichtbar war. Es schien ihn an das Gelübde zu mahnen, das er damals in höchster Noth gethan hatte, als auch ihn, den Freigeist, der Aberglaube packte. Aber eingestehen konnte er das unmöglich, und so antwortete er denn mit einer kühnen Wendung:
„Ich glaube, daß die Geisterspitze mir in jener Stunde ein Glück gezeigt hat, das ich bis dahin nicht erkannte. Emma, darf ich diesen Glauben festhalten?“
Die Sache entwickelte sich jetzt ziemlich rasch, aber die beiden Hauptpersonen hatten keine Ahnung davon, daß sie von zwei Seiten beobachtet wurden. Rechts drückte Lily ihr Gesicht an die Scheiben, und links blickte die Geisterspitze majestätisch in das Fenster, sie assistirte gleichfalls der Verlobung, die sie ja eigentlich gestiftet hatte.
Fräulein Hofer hielt den Nelkenstrauß in den Händen und blickte erröthend darauf nieder, während der Justizrath seinen Antrag vorbrachte, den er nun nachgerade auswendig wußte, und nach fünf Minuten hielt der Justizrath Fräulein Hofer in den Armen. Er kam sich wie ein Erlöster vor, als er endlich empfing, was ihm ein grausames Geschick so lange verweigert hatte – das kleine, kurze, nette Ja!
Da krachten draußen die Böller. Der Wagen des Freiherrn mußte in Sicht sein, denn die erste Begrüßungssalve donnerte von der Terrasse nieder in das Thal, und das Echo der Berge gab rollend die Schüsse zurück.
Das neue Brautpaar fuhr erschrocken aus einander, Fräulein Hofer war sonst nichts weniger als nervös, bei dieser ebenso unerwarteten als lärmenden Gratulation der Werdenfelser Geschütze erlaubte sie sich aber doch einen kleinen Ohnmachtsanfall. Sie schwankte und machte Anstalt, zu sinken, als der Justizrath sie natürlich umfaßte und in seinen Armen aufrecht erhielt.
„Erhole Dich, Emma!“ sagte er mit feierlicher Zärtlichkeit. „Ich bin an Deiner Seite.“
Und Emma erholte sich! –
Fast gleichzeitig bog Arnold in höchster Eile um die Ecke des Schlosses. Er suchte seinen jungen Herrn und dessen Braut, die auf unbegreifliche Weise verschwunden waren.
„Herr Paul, der Wagen kommt! Herr Paul, wo sind Sie?“
Er verstummte plötzlich und hob Augen und Hände zum Himmel, bei dem Anblick, der sich ihm darbot. Da stand Fräulein Lily, in der langen Seidenschleppe mit dem Spitzenbesatz, hoch oben auf der Leiter und guckte in den Pavillon, während Herr Paul unten stand und mit größter Sorgfalt die Leiter hielt, und Beide waren so vertieft in ihre Beschäftigung, daß sie den Ruf ganz überhörten.
In diesem Augenblicke gaben die Böller das Begrüßungszeichen. Lily fuhr auf, sprang mit einem Satze von der Leiter und geradewegs in Paul’s Arme, der sie auffing, und nun hatte der alte Diener den noch weit schrecklicheren Anblick, wie der Gutsherr von Buchdorf die künftige gnädige Frau bis auf die Terrasse trug. Hier sprang Lily wie ein junges Reh von seinem Arme und nun liefen Beide um die Wette bis zu der großen Freitreppe, wo sie athemlos anlangten. Die junge Dame hatte kaum noch Zeit, ihre Schleppe wieder in Ordnung zu bringen, als der Wagen schon in die Allee einbog.
„Und diese Kinder wollen nun heirathen!“ sagte Arnold wehmüthig. „Und da fragt der Haushofmeister noch, ob ich in Buchdorf bleibe! Ein vernünftiger Mensch muß doch wenigstens da sein, und leider bin ich dieser einzige!“
Der alte Diener mar mit seinem Entsetzen über dies Preisgeben aller Würde von Seiten der jüngeren Linie noch nicht fertig geworden, als der Justizrath und Fräulein Hofer an ihm vorbeisausten, Arm in Arm und mit ganz verklärten Gesichtern, sie liefen gleichfalls, um den Empfang nicht zu versäumen. Dies Stürzen des sonst so würdigen rechtsgelehrten Herrn und sein seliges Lächeln brachten Arnold um den letzten Rest seiner Fassung.
„Ich glaube, ganz Werdenfels steht heute auf dem Kopfe!“ seufzte er, während er sich anschickte zu folgen, um wenigstens den Effect seiner Stellung hinter dem jungen Herrn nicht einzubüßen.
Werdenfels schien wirklich auf dem Kopfe zu stehen, und die Werdenfelser zeigten sich gerade so maßlos in ihrer Dankbarkeit, wie früher in ihrem Hasse. Empfang, Begrüßung und Reden hatten programmmäßig im Dorfe stattgefunden, aber die halbe Dorfschaft begleitete den Freiherrn und seine Gemahlin nach dem Schlosse. Der jüngere Theil dieser Begleitung leistete im freudigen Lärmen das Aeußerste, und der älteste Sohn Rainer’s – derselbe, der sich damals an dem Attentat gegen die Orangerien betheiligt hatte – schrie jetzt so lange und so energisch Hoch, bis er kirschbraun im Gesichte war.
Jetzt nahte der Wagen, und inmitten dieses stürmischen Jubels, unter flatternden Fahnen und endlosen Böllerschüssen hielten Raimund und Anna ihren Einzug in das Schloß.
Auch hier wurde beim Empfange nicht ganz die beabsichtigte Feierlichkeit eingehalten. Nur der Haushofmeister stand steif und feierlich an der Spitze der Dienerschaft und sorgte dafür, daß Niemand sich rührte, bis er das Zeichen dazu gab. Bei der Begrüßung an der Freitreppe aber war Arnold der Einzige, der seine Würde behauptete. Der Justizrath und Fräulein Hofer hatten eine wahre Manie, heute aller Welt die Hand zu schütteln, und die jungen Herrschaften setzten nun vollends jede Etiquette bei Seite.
Lily warf sich stürmisch an die Brust ihrer Schwester und ließ sich dann von ihrem Schwager umarmen, sie schien nicht mehr zu fürchten, daß er ihr den Hals umdrehen werde. Paul dagegen wurde doch ernst, als er seiner nunmehrigen Schwägerin die Hand küßte.
Für einen Moment verblich das rosige, lachende Gesicht seiner Lily vor der Erinnerung an jene Meeresfahrt, wo er ein anderes Antlitz so kalt und ernst und doch so hinreißend schön gesehen hatte, im zauberischen Mondesglanz. Jetzt spielte das Sonnenlicht auf den goldschimmernden Haaren und sonniger Glanz lag in den großen braunen Augen.
In dem Herzen des jungen Mannes wollte wieder das alte Weh aufwachen, aber er überwand schnell die unwillkürliche Regung, er sah ja, daß jene Augen nur Raimund’s Blick suchten. Dem Freiherrn gelang es jetzt endlich, sich los zu machen, und der verneigenden Dienerschaft freundlich zuwinkend, führte er seine junge Frau in das Schloß seiner Väter ein.
Paul und Lily schlossen sich ihnen an, und die letztere gab leider wieder einen Beweis, wie wenig sie feierliche Momente begriff, denn noch auf der Schwelle flüsterte sie ihrer Schwester zu:
„Denke nur, Anna, der Onkel Justizrath bekommt endlich eine Frau! Er heirathet Emma Hofer, und als er das kleine, nette Ja erhielt, schossen unsere sämmtlichen Böller Victoria!“ –
Es war einige Stunden später. Der Jubel des Empfanges war verrauscht und auf der nun wieder völlig einsamen Terrasse stand Anna von Werdenfels und blickte hinüber nach den Bergen, wo sie die erste Zeit ihrer Ehe verlebt hatte, wo ein so lang ersehntes, so schwer errungenes Glück endlich zur Wahrheit geworden war.
Der Pfarrer von Hochdorf hatte in der Schloßcapelle von Felseneck die Trauung vollzogen. Gregor Vilmut befand sich damals gerade in der Residenz, wohin amtliche Angelegenheiten ihn riefen. Er hatte die nunmehrige Baronin Werdenfels erste heute wiedergesehen, wo er an der Spitze des Dorfes mit einigen kurzen ernsten Worten sie und ihren Gatten begrüßte. Die eigentlichen Reden überließ er dem Gemeindevorsteher und Rainer, welche denn auch eine ganz wunderbare Leistung zu Stande brachten. Er selbst sprach nur das Nothwendige, aber er that es mit ruhiger Würde und zog sich, sobald der Wagen vorüber war, in das Pfarrhaus zurück.
Jetzt aber erschien er dort auf der Freitreppe und näherte sich der jungen Frau, die ihm überrascht entgegen trat.
„Du bist es, Gregor? Ich hoffte garnicht, Dich heute noch zu sehen.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 468. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_468.jpg&oldid=- (Version vom 9.1.2024)