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Seite:Die Gartenlaube (1883) 459.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

haben, was meist nicht lange dauert, da die Nachfrage eine sehr rege ist.

Die Mehrzahl der Blöcke, welche sich nicht durch besondere Größe auszeichnen, werden, bald nachdem sie die gebahnte Straße erreicht haben, weitergeschafft. Dies besorgen die Carratori oder Karrenführer mit mehreren hundert Paar Stieren; sie führen die Blöcke entweder bis zur Eisenbahn oder zu den Sägemühlen oder zur Rhede von Avenza.

In den Sägemühlen, welche ganz nach dem Muster der Holzsägemühlen eingerichtet sind, werden die Blöcke zu Platten geschnitten. Andere Blöcke werden handwerksmäßig zu aller Art Geräthschaften verarbeitet, und selbst auf den Straßen Carraras kann man die fleißigen Einwohner bei dieser Beschäftigung beobachten. Mir fiel besonders eine Straße auf, in welcher ich ein halbes Hundert ganz und halbfertiger Badewannen wahrnahm, jede von einem geschickten Arbeiter eifrig mit Hammer und Meißel für ihre einstige Bestimmung hergerichtet. Eine große Anzahl Blöcke wandert in die Ateliers der Meister und die Bildhauerwerkstätten der Copisten, welche unermüdlich nach den Gypsmodellen von Antiken oft künstlerisch vollendete Arbeiten herstellen. Der Rest endlich, abgesehen von dem Marmor, der auf Bestellung in’s Ausland geht, findet sich auf der Rhede von Avenza in großartigen Depôts zusammen, daselbst auf Käufer harrend.

Der Marmo statuario erster Qualität wird auf der Rhede von Avenza bis zu 1600 Franken pro Cubikmeter bezahlt, derjenige zweiter Qualität bis über 500 Franken, der dritter Qualität bis 300 Franken; der Preis für Bianco-Chiaro bewegt sich zwischen 150 und 250 Franken, der von Marmo Venato zwischen 180 und 250 Franken, während der Ordinario ebenso hoch wie der schlechteste Bianco Chiaro bezahlt wird. Es giebt natürlich Blöcke von Marmo statuario, für welche sich ein fester Preis nicht bestimmen läßt; so wurde in der einem Herrn Fabricotti gehörigen Grube del Polvaccio im Jahre 1864 ein Block besten Marmors von 300 Cubikmeter ausgegraben, welcher mit 50,000 Franken bezahlt wurde. Ueberhaupt wird der Marmor aus einigen renommirten Gruben, deren Erzeugnisse sich bereits bewährt haben, z. B. durch ihre Widerstandsfähigkeit gegen die Einflüsse der Witterung, mehr gesucht, als solcher aus weniger bekannten Gruben, und deshalb auch höher geschätzt.

Noch an vielen anderen Orten des Gebirges findet sich Marmor, und bedeutende Gruben werden in der Nähe von Massa und Seravezza ausgebeutet. Allein das Gebiet des besten Marmors von unvergleichlicher Schönheit beschränkt sich im Großen und Ganzen auf das Thal von Torano. Es ist eine unermeßliche Fundgrube des edlen Steines; ganze Berge desselben sind im Laufe der Jahrhunderte losgebrochen worden; doch fragt man die Marmorgräber von Carrara, ob denn der Vorrath nicht etwa bald ein Ende nehmen könnte, so zeigen sie lächelnd und unter Kopfschütteln auf den Monte Crestola, dabei erwidernd:

„O Signore, an jenem dort wird noch mancher Meißel stumpf gemacht werden!“

P. R. Martini.




Der „arme Reisende“.

Beiträge zur Geschichte des Vagabondenthums und der Mittel zu seiner Abwehr.
Von Fr. Helbig.
I.
Statistische Erhebungen aus der Jetztzeit. – Die fahrenden Leute des Mittelalters. – Die Bettlerzunft. – Specialitäten: der Staudenkönig; der Allerweltskunde; der Hopfenkönig. – Deutsche Zigeuner. – Das Hausirgewerbe. – Die Macher. – Handwerksregeln. – Stadt und Land. – Sommer und Winter. – Der Vagabondenhumor. – Die Herbergen (Pennen).

Die unheimliche Vermehrung des Geschlechts der „armen Reisenden“, das zur ungewöhnlichen Höhe emporgestiegene Vagabondenthum bildet schon längst das vielfach erörterte Thema in den Leitartikeln unserer Tagesblätter, hat eine große Anzahl von Flugblättern und Broschüren auf den Markt gebracht, die Tagesordnung socialpolitischer Versammlungen ausgefüllt und hält die Energie und Erfindungskraft der Verwaltungsbehörden beständig in Athem. Auch die „Gartenlaube“ ist dem Thema bereits mannigfach nahe getreten (vergl. die Artikel: „Die Ordensbrüder der Klopfer“, Jahrgang 1866, „Der Vagabondenrichter“, Jahrgang 1877, „Almosenschleuderei und verständige Armenpflege“, Jahrgang 1879).

Schon einige statistische Ziffern vermögen die Größe der Gefahr zu bezeugen, die hier heranwächst, sowie daß die Furcht vor derselben keine blos illusorische ist. Die Zahl der im deutschen Reiche arbeitslos umherziehenden Vagabonden beträgt nach amtlichen Ermittelungen mehr als 200,000. Im Jahre 1880 erfolgten im Königreiche Sachsen nach einer Zusammenstellung des statistischen Bureaus in Dresden 22,337 Bestrafungen von Bettlern und Landstreichern, in Baiern im Jahre 1879 108,911, doppelt so viel als im Jahre 1872; im Landgerichtsbezirk Schwerin erfolgten vom 4. October 1879 bis zum 31. December 1880 6210 Verurtheilungen. In der Stadt Bielefeld reisten im Jahre 1880 allein 12,315 Gewerbsgehülfen durch. In der Stadt Köln wurden im Jahre 1880 bis 1881 zusammen 1084 Landstreicher bestraft, in Aachen 432, in Trier 407, in Düsseldorf 947 etc.

Nach angestellten Beobachtungen fällt es aber einem einigermaßen gewandten Fechtbruder nicht schwer, in größeren Städten täglich 3 bis 4 Mark zusammenzubetteln. Ein Schmied in einem oberrheinischen Dorfe bot einem durchreisenden Fachgenossen Arbeit an, worauf dieser höhnisch entgegnete:

„Heute Morgen bin ich von M. weggegangen; es ist jetzt fünf Uhr und ich habe unterwegs schon fünf Mark ‚verdient‘. Das können Sie doch keinem Gesellen auslegen!“ Sprach’s und verschwand.

Bei einem in ein Düsseldorfer Gefängniß eingelieferten Stromer fand man einen Beutel mit 906 einzelnen Geldstücken, welche zusammen einen Werth von 16 Mark 98 Pfennig repräsentirten. Diese Summe hatte der Mann in drei Tagen zusammengefochten, abzüglich dessen, was er bereits verbraucht hatte.

Auf dem platten Lande beträgt der tägliche Erlös des „Geschäfts“ immer noch 2 bis 3 Mark. Schon das Abbetteln von ein oder zwei größeren Orten erzielt meist einen Gewinn von 1,30 bis 1,50 Mark. Das macht nach jetzigen Arbeitsverhältnissen beinahe den Tageslohn eines rechtschaffenen Arbeiters aus, der dabei im Durchschnitt täglich zehn Stunden arbeiten muß, während das Abbetteln kaum drei bis vier Stunden beansprucht. Demnach beläuft sich die Summe dessen, was jährlich im lieben Vaterlande zusammengefochten wird, auf nahezu eine halbe Million Mark. So viel wird also der redlichen Arbeit entzogen, um damit das Nichtsthun zu prämiiren! Dazu tritt dann noch der Betrag der Kosten, welche dem Staate, den Gemeinden, den Armenverbänden aus der Detention, Strafverfügung, Verpflegung in Krankheitsfällen und an Almosen erwachsen. Sie stiegen z. B. in der Provinz Hannover von 1872 bis 1880 von 18,759 Mark auf 234,585 Mark, in der Rheinprovinz auf dieselbe Zeit um 139 Procent, in Westfalen um 135 Procent.

An sich ist das Vagabondenthum kein Product der Neuzeit, es ist so alt wie die menschliche Gesellschaft, so alt wie der in derselben bestehende Gegensatz von Arm und Reich, von Arbeit und Nichtsthun.

Das Vagantenwesen hat sogar, wie Alles, was in der Geschichte fortlebt, eine gewisse typische Physiognomie, einen corporativen Charakter, eine gegliederte Organisation angenommen und sich erhalten. Es schließt sich dabei eng an das Gaunerthum an und geht viel in dasselbe über. So wird der reisende Handwerksbursche im zweiten Stadium zum Stromer und Vagabonden und im dritten zum Gauner und Dieb. Beide, Gaunerthum und Vagabondenthum, leihen sich denn auch gegenseitig ihre Handwerksregeln, ihre Kniffe und Schliche, Zeichen und Sprache.

Die „fahrenden Leute“ des Mittelalters, die Herren der Landstraße, setzten sich zusammen aus Bettlern, Gauklern, Spielleuten und Hausirern. Anfangs genossen sie noch das Gastrecht auf Burgen und Höfen. Mit steigender Vermehrung verfielen sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 459. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_459.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2024)