Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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entstehen. An Material fehlt es ihnen nicht, denn eine halbe Stunde hinter der Stadt beginnt das Reich der „Cave“, der Marmorgruben.
Die Cave von Carrara waren schon vor der Herrschaft der Römer bekannt und wurden, wenn auch in geringem Maßstabe, ausgebeutet. Dies geht aus den ältesten uns überlieferten Nachrichten lateinischer Schriftsteller hervor. Carrara und das nahe gelegene Dorf Colonnata, neben Torano Mittelpunkt der Marmorgruben, wurden früh römische Colonien, und der damals sogenannte Lunensische Marmor wurde dazu verwandt, die Monumente des republikanischen und kaiserlichen Rom zu schmücken, indem er bald den berühmten Marmor vom Pentelikon und den Parischen Marmor von der ersten Stelle verdrängte.
Mit dem Verfall der römischen Macht nahm die Marmorindustrie in den Bergen von Carrara mehr und mehr ab und sank zu völliger Unbedeutendheit unter der Herrschaft der Gothen und Longobarden, sodaß im frühesten Mittelalter nur wenige Denkmäler aus jenen Gruben hervorgegangen sein mögen. Sie hob sich erst unter der Herrschaft des Hauses Malaspina, welches auf alle Weise zu ihrer Förderung beitrug und nur geringe Abgaben von den Pächtern der Cave forderte, sodaß letztere im sechszehnten Jahrhundert jährlich nur die Summe von 450 Goldgolden entrichteten. Zur damaligen Zeit ließ unter Anderen der arabische Herrscher von Fez auf der Rhede von Avenza mehrere Schiffe mit dem kostbaren Gestein befrachten, welches damals schon seinen Weg über die Alpen fand und nach Deutschland, Frankreich, England und Spanien befördert wurde.
Für das außerordentliche Gedeihen der Marmorindustrie in der Neuzeit bilden den besten Beleg die statistischen Nachrichten der Handelskammer von Carrara, welche den folgenden Angaben als Grundlage dienen.
Im Bezirke der Commune Carrara befinden sich 645 Cave di Marmo, Marmorgruben, wovon über 400 im Betrieb sind. Die bedeutendsten und lohnendsten derselben sind im Thale von Torano gelegen, dann in demjenigen von Colonnata und endlich in den kleineren Seitenthälern und ziehen sich mehrere tausend Fuß am Gebirge hinauf. Man greift kaum zu hoch, wenn man die Zahl der in den Gruden beschäftigtent Arbeiter auf etwa 5000 angiebt. Zum Zertheilen der Blöcke dienen über 60 Sägemühlen mit etwa 300 Rahmen und 400 Arbeitern. Gegen 30 Beutelkasten zum Schleifen des Marmors beschäftigen etwa 70 Personen. Der dazu erforderliche Sand muß von Viareggio herbeigeschafft werden, weil derjenige der Gebirgsbäche als zu kalkhaltig keine Verwendung finden kann. Das jährlich verbrauchte Eisen erreicht das Gewicht von 2400 Centnern, und die Kosten für das Sägen der Blöcke betragen mit Einrechnung der Ausgaben für Sand und Eisen circa 18 Franken pro Cubikmeter. Die Zahl der Kunstwerkstätten für Sculptur, Architektur und Ornamente, welche gegenwärtig in Carrara existiren, beträgt 106 mit gegen 250 Arbeitern, ohne von dem außergewöhnlichen Arbeiten zu sprechen: wenn solche vorliegen, vereinigt sich die nöthige Anzahl von Künstlern zu gemeinsamem Schaffen, wie z. B. letzthin behufs Decoration einer großen Kirche von Rio de Janeiro.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 457. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_457.jpg&oldid=- (Version vom 29.7.2023)