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Seite:Die Gartenlaube (1883) 455.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

An Christi und Mariens Milde verzweifelnd, wendet sich Tannhäuser wieder in den Berg, wo ihn die „Fraue zart“ mit Huld willkommen heißt. Nun fängt des Papstes dürrer Stecken an zu grünen: erschrocken schickt der Papst Boten in alle Lande aus, wo der Tannhäuser hingekommen wäre. Der war und blieb im Berg.

Dies tiefsinnige Volkslied war vor und beim Beginn der Reformation in verschiedenen Texten und Weisen verbreitet und beliebt, das Motiv des dürren Stabes allgemein bekannt und wegen der Pointe gegen den Papst sehr volksthümlich. Die Legende von der Luther-Ulme hat sich seiner in folgender Weise bemächtigt.

Zur Zeit, wo Luther in Worms und alle Welt für oder wider ihn war, kamen auch zwei Marktweiber von der Stadt her des Weges nach Pfiffligheim. Die Eine stritt für den Doctor Martinus, die Andere aber stieß zornig ihren Stock in die Erde, mit heftiger Widerrede eifernd:

„Hätte der Luther Recht, würde eher dieser dürre Stecken zum Baum!“

Und siehe, der Stock wurzelte, schlug aus und wuchs zum Luther-Baum heran. – Bei der außerordentlichen Triebkraft des Ulmenholzes wäre das Wurzeln und Grünen des „Stockes“ kein besonderes Wunder. Die Sage wird nur bedeutungsvoll durch die Benutzung des volksthümlichen Tannhäusermotivs mit Bezug auf Luther.

Seitdem also kannte man die Luther-Ulme. Unter ihr sammelte sich in Freud und Leid zu Ernst und Scherz das Landvolk, zu ihr wallte an Feierabenden die singende Dorfjugend, sie gewährte dem Wanderer schattige Rast Jahrhunderte hindurch. Mit Ehrfurcht lauschte der Rastende dem geheimnißvollen Flüstern in der Krone, dem Eulenruf, Rabenkrächzen oben, dem mächtigen Sausen in der Höhe, wenn unten kein Laut, kein Lüftchen sich regte. So schauerte schon der Ulme grüner Wipfel, als am nahen Georgenberg die Pfälzer Bauern von der vereinigten Macht der Fürsten, denen bereits Sickingen erlag, niedergehauen wurden, daß die Pfrimm roth von Blut vorüberfloß, während die Landsknechte unter der Luther-Ulme um ihre Gefangenen knöchelten. Und wieder nach hundert Jahren sah sie Dorf und Feld verödet, Spanier und Croaten gleich Wölfen des Weges kommen, die Finnen- und Smaländer-Regimenter Gustav Adolf’s vorüberziehen, die Lederkanonen der schwedischen Artillerie vorbeirasseln. Und eines Pfingsttages hielten die Dragoner Melac’s unter ihrem Laubdach Rast, des heulenden Land- und Stadtvolkes höhnend, da Worms auf Geheiß des allerchristlichen Königs vor ihren Augen in einem Flammenmeer aufging. Und abermals nach hundert Jahren zogen die republikanischen Cohorten, Custine’s Husaren und Houchard’s schnauzbärtige Chasseurs à cheval aus Worms vorüber, zur Eroberung von Mainz. Das Alles hat die Luther-Ulme gesehen, Sturm und Dürre erduldet, auch daß von guten und schlechten Dichtern die Sage ihrer Entstehung in zahllose Reime gebracht wurde.

Die Luther-Ulme galt als ein Symbol, gleichsam als der heilige Baum, der Schicksalsbaum des Protestantismus. Vom Blitz getroffen, vom Wetter geschädigt, war auch ihr mächtiger Stamm im Lauf der Jahrhunderte morsch und hohl geworden. Dennoch schlug die Krone alljährlich im Lenze wieder mächtig aus, rauschte freudig noch 1870 den nach Frankreich ziehenden Colonnen zu; und als Sieg auf Sieg gemeldet ward, glaubte sie wohl den Stürmen nicht länger trotzen zu müssen. Am Vorabend der Capitulation von Metz (26. Oktober 1870) brach und warf ein Orkan die Krone vom Stamme. Erschüttert stand das Volk. Es schien vorbei zu sein mit denn ehrwürdigen Wahrzeichen. In der Höhe von acht Metern über dem Boden war die Krone mit allem Astwerk herniedergeschleudert. Gebrochen, geborsten, astlos, kahl und klaffend hohl stand nur noch der niedrige Stumpf.

Als Bonifacius im frommen Eifer die Axt an Donar’s Eiche bei Geismar anlegte, ward das Holz wieder zum Bau einer Capelle zu Ehren Sanct Peter’s verwendet, um unsere heidnischen Vorfahren sacht zum neuen Glauben hinüberzuleiten. Der Protestantismus baut den Heiligen keine Capellen. Aber das Astwerk des Luther-Baumes sollte nicht im Feuer aufgehen, denn Ulmen liefern ein geschätztes Werkholz und deren Maser die beliebten „Ulmer“ Pfeifenköpfe. Als sich die Kunde vom Fall des Luther-Baumes verbreitete, beeilte sich die Nachbarschaft, Andenken von demselben zu holen, und rasch war das Holz vergriffen. Vieles kam in die Hand eines Speculanten, welcher Falzbeine, Federhalter u. dergl. m. davon fertigen und am Luther-Denkmal in Worms verkaufen ließ. Das interessanteste Stück befindet sich jedoch im Besitz des Herrn Reis, königl. Verwalters der Kreis-Armen- und Kranken-Anstalt zu Frankenthal in der Pfalz. Derselbe hat sich aus dem Holze vom Luther-Baum einen großen schönen Blumentisch mit Aquarium und Heronsbrunnen anfertigen lassen, zugleich aber die Vorsicht gebraucht, sich amtliche Ursprungszeugnisse zu verschaffen, damit dem werthvollen Familienstück, einem Unicum, der antiquarische Werth unbestritten bleibe.

Unterdeß stand der mächtige Stumpf des Luther-Baumes in seinem trostlosen Zustande, wüst, zerrissen, mit klaffender Höhlung, wie ein verfallender, halbeingestürzter Schornstein, anscheinend allen Lebens bar. Aber die Pfiffligheimer und ihr wackerer Bürgermeister Ott gaben das ehrwürdige Denkmal, den Stolz ihres Dorfes, die Zierde des Wonnegaues, nicht so leicht verloren. Durch Ausfüllung und Schließung des völlig hohlen Stammes suchten sie dem Todtwunden beizuspringen. Und der Erfolg war verblüffend, nahezu ein neues Wunder. Der Baum hat sich zur Freude Aller vollständig verjüngt, wie man uns schreibt. Aus den Bruchrändern sproßten neue Zweige hervor, die jetzt wieder zu starkem Astwerk herangewachsen sind und eine schöne, geschlossene Krone bilden. Wer mit der Bahn vorbei, dem Donnersberg entgegen, fährt, kann den immer noch großen Baum nicht übersehen. Aber das Staunen wird zur Ueberraschung, tritt man der Luther-Ulme näher und erblickt den Riesenstamm, zu welchem die Krone trotz ihrer Größe in sehr unrichtigem Verhältniß steht.

Trägt der Baum seinen Laubschmuck, so ist von der Bruchstelle nichts mehr zu sehen. Der Stamm selbst aber mißt bei einem Umfang von neun bis elf Meter nur noch sechs Meter Höhe. Indeß ist die Lebenskraft des Verjüngten so rege, daß ihm mit voller Sicherheit von jetzt ab noch ein hohes Alter in Aussicht gestellt werden kann. Mächtige Aeste setzen sich wieder an in üppiger Verzweigung, der Baum wächst, allerdings mehr in die Breite als in die Höhe. Die Laubkrone des Luther-Baumes ist, wenn auch nicht so hochragend wie einst, doch so kraus, dicht und frisch als je. Es quillt und schwillt von neuem Leben in diesem ehrwürdigen Wahrzeichen des Protestantismus.

A. B.




Carrara und seine Marmor-Industrie.

Eng verbunden mit der Geschichte der Bildhauerkunst ist der Name „Carrara“! Wer kennt nicht den „carrarischen Marmor“? Seit vielen Jahrhunderten behauptet er seine Bedeutung als vorzüglichstes Material für die Ausübung einer der edelsten Künste; überall wird er geschätzt und gesucht, und die großartigsten Kunstwerke, verbreitet über die ganze Erde, sind Zeugen seines Werthes.

Zwischen dem Golf von La Spezia, dem Hauptkriegshafen des Königreichs Italien, und der Mündung des Arno in das Mittelländische Meer tritt der Gebirgsstock der Apenninen nicht so unmittelbar an’s Meer heran, wie weiter nördlich: eine wohlangebaute Ebene von außerordentlicher Fruchtbarkeit zieht sich längs der Küste hin, dahinter erheben sich Vorberge von geringer Höhe, vielfach mit Oelbäumen und Kastanien bewachsen: dann erst steigt eine gewaltige Bergkette nackt und schroff zu imposanter Höhe empor.

Dort liegt die Stadt Carrara mit ihren Marmorgruben, etwa dreißig Kilometer östlich von La Spezia, vierundfünfzig Kilometer von Pisa; sie bleibt dem Auge des auf der Eisenbahn längs der Küste Reisenden verborgen, weil zwischen den Bergen gelegen; doch ist von der Station Avenza aus ein Bahnstrang nach Carrara gelegt worden, welchen der Zug in zehn Minuten durcheilt. Außerdem führt eine zweite, nur zum Transporte des Marmors bestimmte Eisenbahn bis an’s Meer und zugleich über Carrara hinaus, immer bergauf, bis dicht an die Gruben hinan.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 455. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_455.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2024)