Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
|
Kopfe als selbiges. Es saß im Gras an die Braune gelehnt, die behaglich wiederkäuete, und sah gar fröhlich hinauf zum Himmel, mit dem’s eben in einer Unterhaltung begriffen war. Denn, daß das Moidl mit seinem Herrgott und allen lieben Heiligen im besten Einvernehmen stand, war so natürlich – mit wem hätte es sich denn sonst unterhalten sollen? Freilich konnt’s auch vorkommen, daß es die Bewohner des Himmels recht derb ausschalt, wenn sie zum Beispiel nicht besser aufpaßten und sich eine Kuh verlaufen hatte, oder wenn ihm, dem Moidl, sonst ein Malheur zugestoßen war, das die droben recht gut hätten verhüten können. Am besten aber stand’s mit dem heiligen Josef, der nicht weit von der Alm sein Capellchen hatte und dessen hellfarbiges Gewand weit durch die Hecken und Baumäste leuchtete. Für den band’s auch heut einen prachtvollen Strauß von Alpenrosen; es war hoch droben gewesen, sie zu holen. Von Zeit zu Zeit wollte die Braune nach den schönen Blumen haschen, die in Moidl’s Schooß ausgebreitet lagen, aber dann bekam sie jedesmal Eins auf die Nase.
„Ja, freili. für Dich sein die Ros’n, dumm’s Viech !“
Als der Strauß fertig war, lief das Moidl damit hinab zur Capelle.
„Schau,“ sagte sie und hielt dem heiligen Josef die Blumen unter die Nase, „so a schönen hast lang nit g’habt; ich will aber auch was Richtiges dafür.“
Und sie legte die Blumen zu den Füßen des Heiligen nieder, kniete auf die Erde, faltete die Hände und hub an:
„Du woaßt, morgen is Sonntag – da geh’ ich zur Kirch’n – schau. mach’ daß der Josef zu mer kommt – ich thu’ ihn nit anschau’n, g’wiß nit, aber ’s ist gar so a treuherziger Bub, so a guter, und ich hör’n für’s Leben gern red’n. Acht Tag’ kriegst so a Strauß, wennst mich erhörst – hast mer ja sonst all’mal den Will’n than, wenn’s Vieh oder d’ Mutter krank war, no mei, thu’ mer den G’fall’nl“
Sie erhob sich und sah den Heiligen mit ein Paar so schelmischen Augen an, daß es gut war, daß er von Holz war, denn sonst wär er sicherlich um den Verstand gekommen.
Dann eilte sie, ein paar Jodler über den See sendend, zurück zu ihrem Vieh.
Und der Sonntag kam, und das Moidl konnte nicht fertig werden mit seinen Zöpfen; endlich aber ging’s doch neben der Mutter einher, hinab in’s Dorf. Bei der Capelle des heiligen Josef blieb’s einen Augenblick stehen und sagte, indem es ihm einen verständnißinnigen Blick von der Seite zuwarf:
„Vergiß nit drauf, ich bitt’ schön!“
Vor der Kirche stand der Josef mit den andern Burschen.
„Jesses nein,“ dachte er, als das Moidl fein ehrbar neben der Mutter die Gasse einher schritt, „dös Dirnd’l is zum Anbeiß’n, und wann’s mich nur a klein Biss’l anschaut, so bandl’ ich mit ’m an und wann mer d’ Burgl d’ Aug’n auskratzt.“
Aber das Moidl schaute nicht auf, obwohl ihm das Herz zum Zerspringen klopfte. Sündigen wollte es nicht und vom Aufschauen kam die Sünde, und dann war’s voller Vertrauen, der heilige Josef wußte, was er zu thun hatte.
Als nun die Kirche aus war und das Moidl neben der Mutter in’s Freie trat und halt immer noch die Augen auf das Fürtuch geschlagen hatte, da stieg dem Josef der Kamm und er sagte zu sich selbst:
„Wannst nit magst, so mag ich auch nit, dumm’s Dirndl, dumm’s.“
Und er steckte die Hände in die Hosentaschen und schritt pfeifend davon.
Die andern Burschen aber hatten das Moidl auch gesehen und der Weber-Hannes rückte plötzlich seine Mütze zurecht, indem er vor sich hin brummte:
„No mei, dö Dirn’ wird alleweil saubrer!“
Und er trat zu der Botin und sagte, nach dem Moidl schielend:
„Grüß’ Gatt, Burgl, ich hab’ Dich lang nit g’seh’n.“
„Du Nazzi, Du,“ gab sie ihm zur Antwort, „wo hast Du denn d’ Augen – der Weg führt mich doch alle Tag’ durch’s Ort!“
Das Moidl war beim Nahen des Burschen leise zusammengefahren, nachdem er jedoch den Mund aufgethan hatte, kamen ihm schier gar die Thränen.
„’s ist nit der Recht’,“ seufzte es, „und ich hab’ doch so ’bet’ – so ’bei’ – und dö schönst’n Blumen hab’ ich ihm g’holt!“
Es hörte gar nicht, wie die Mutter den Weber-Hannes abfertigte, so vertieft war’s in seinen Groll.
Als sie auf dem Rückwege bei der Capelle des heiligen Josef ankamen, hielt die Mutter das Moidl, das sehr eilte, am Arme fest und meinte:
„Laß uns eins bet’n.“
„Ich nit,“ erwiderte die Dirne und warf einen verächtlichen Blick auf den Heiligen.
„Ja,“ rief die Mutter, „dös möcht’ ich doch wiss’n, Du magst nit bet’n, Moidl?“
Dieses wandte sich zum Gehen.
„Dös verstehst nit, Mutter, wir hab’n was z’samm’n.“
Die Mutter schüttelte den Kopf, betete zwei Vaterunser statt einem und sagte zum Schluß, indem sie nach dem davoneilenden Moidl deutete:
„Schalt, nimm’s nit so genau, ’s is halt noch so jung.“
Aber so jung das Moidl auch war, so kräftig und so nachhaltig konnt’s zürnen. Es saß den ganzen Nachmittag vor der Hütte, die Lippen fest zusammengepreßt, und ignorirte den Himmel vollständig, indem es ununterbrochen vor sich hinstarrte.
„A Schand is ’s“ – stieß es von Zeit zu Zeit aus – „nit amal a paar Wört’ln – und dö schönen Blumen, die ich auf der höchsten Spitz’n g’holt hab’ – da kann mer halt bald sag’n: zu ein’m Ohr ’nein und zum andern ’naus, aber wart’ nur – wart’ nur.“
Mit dem Abend zog wieder ein Wetter über den See; es regnete und stürmte. Das Moidl saß noch immer vor der Hütte. Plötzlich schien ihm eine Idee gekommen zu sein, denn es sprang auf und flog wie von Sinnen den Weg hinab zur Capelle. Den Rock hatte es über dem Haupte zusammen geschlagen, das rosige, zornige Gesichtchen sah daraus hervor und weissagte nichts Gutes.
Und nun trat es in die Capelle, warf den Rock zurück, stellte sich auf die Zehenspitzen und hob ohne langes Besinnen die ziemlich große Statue des heiligen Josef’s vom Altar. Vorsichtig trug’s dieselbe hinaus und stellte sie in den Regen.
„So, nun kannst halt auch amal fühl’n, wie’s thut.“
Und damit ließ das Moidl den Heiligen stehen.
Die Nacht brach ein; das Moidl wälzte sich auf seinem Lager und konnte nicht einschlafen. So oft es blitzte, fuhr es mit dem Kopf unter die Decke; es hatte die unklare Empfindung, als ab die im Himmel nicht sonderlich erbaut seien von seinem Thun und Treiben. Aber Strafe mußte sein.
„Auf der höchst’n Spitz’n hab’ ich dö Blumen g’holt,“ beruhigte es immer wieder sein Gewissen.
Mitternacht war darüber, das Moidle war endlich doch eingeschlafen – nun fuhr es aber plötzlich in die Höhe, ein greller Blitz erhellte die Stube, ein furchtbarer Donnerschlag folgte.
„Jesus Maria!“ schrie das Moidl auf, „der heilige Josef!“
Und es fuhr in seinen Rock und lief hinaus, barfuß, das lange blonde Haar aufgelöst, während die Mutter, die sich eines festen Schlafes erfreute, mit dem Grollen des Donners um die Wette schnarchte.
Das Moidl eilte, als ob es Flügel hätte, durch die finstere Nacht hinab zur Capelle des heiligen Josef. Gerade als die Dirne athemlos vor derselben ankam, erhellte der Blitz auf einen Augenblick die Finsterniß. Der Heilige lag auf der Erde. Zitternd richtete ihn das Moidl auf. Da kam wieder ein Blitz, und es zeigte sich, daß die Statue den Kopf verloren hatte. Nun kannte des Moidls Verzweiflung keine Grenzen. Sie warf sich auf die Kniee und umschlang das durch die Nässe klebrig gewordene Gewand des Heiligen.
„O Du lieber, heiliger Josef“ – stammelte sie – „dös hab’ ich nit g’wollt – dös ganz g’wiß nit – ich will ja gern zu d’ heilig’n Schwestern geh’n – nur dös nit – mei Gott – mei Gott!“
Aber so oft sie auch in ihrer Verzweiflung aufblickte, es geschah kein Wunder, der Kopf blieb auf der Erde liegen. Sie hob ihn endlich auf, drückte ihn gegen ihr thränennasses Antlitz und küßte ihn unzählige Male vor Reu’ und Herzeleid. Dann versuchte sie das Haupt auf dem Rumpfe zu befestigen, indem sie
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 446. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_446.jpg&oldid=- (Version vom 6.7.2023)