Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Ueber Backbord hinaus erglänzten in weiter Ferne einige Segel, Segelschiffe, die den kräftig wehenden Nordwest zu südlichem Course benutzten, und hier und da tauchten aus den Wellentälern kleine einmastige Fahrzeuge auf, welche die Segel halb zugerefft trugen; es sind Fischerboote, die, des schuppigen Fanges gewärtig, Tage und Wochen in den Küstengewässern sich umhertreiben.
Dort voraus, im Westen, wo die Sonne, hinter leichten Schleiern verborgen, sich anschickte hinabzusteigen, dort lagerte allerdings eine dunkle Wolkenwand, nur niedrig und unbeweglich, aber finster drohend. Sie ward von der Commandobrücke aus öfters einer eingehenden Besichtigung gewürdigt, doch senkte sie den Zeiger der meteorologischen Säule in dem wetterfesten Gesicht des Capitains nicht um einen Strich.
Die alte Europa im Rücken, freie Fahrt voraus, da mag es mal hart wehen und uns tüchtig schütteln, wir besitzen eine eiserne Stirn und vertragen einen guten Puff; denn so tüchtig das Schiff, das sich in vielen heiklen Situationen bewährte, so brav und zuverlässig ist seine Besatzung, die unter des Capitains Commando seit mancher Reise steht, und Schiff, Capitain und Mannschaft gehören zu einander, wie Rumpf, Haupt und Glieder eines Körpers.
Aber die dunkle Wand stieg langsam höher, der Wind machte sich dahinter und blies mit vollen Backen in das schwere Gewölk, im Nu kam es in Begleitung von Bruder Wind herangerast und schüttete seinen Inhalt mit wolkenbruchähnlicher Gewalt über den „Neptun“ aus.
Unter den Passagieren, die, nichts ahnend, dem angenehmsten dolce far niente huldigend, auf dem Hinterdeck frische Luft und zwanglose Unterhaltung genossen, entstand ob der Regenböe großer Schrecken, dem alsbald allgemeiner Rückzug sich anreihte.
„Langsam, langsam, meine Damen – die paar Regentropfen schaden nicht, und immer rückwärts die Treppe hinabgehen, sonst giebt’s Fehltritte und Gestolper.“
Der erste Officier sprach’s, der eben bis über die Ohren in den Oelrock geknöpft an Deck kam, um sich auf die Commandobrücke zu begeben.
Auch ein ältlicher Herr mit halb ergrautem Bart und wohlwollenden Zügen rüstete sich, in’s Trockne zu kommen; aber er war Amerikaner und wußte, was sich Damen gegenüber ziemt; er wartete geduldig, bis Alles, was zur holden Weiblichkeit gerechnet werden konnte, den schützenden Hafen erreicht hatte.
„Onkelchen, bleib’ bei mir, ich möchte auf Deck bleiben!“ schmeichelte im Gewühl eine Mädchenstimme an sein Ohr, aber schier erschrocken wandte der Onkel sich zur Seite, wo ein Köpfchen, aus dessen braunen Locken das Wasser rieselte, sich an seine Schulter legte.
„Aber Kind, bei dem Wetter?“
„Gerade, well es ‚schlecht Wetter‘ giebt, will ich oben bleiben. Ja ja, Onkel Dresing, Du hast nicht umsonst Dein Nichtchen aus Deutschland mitgenommen, man fährt nicht alle Tage über das große Wasser, und wenn ich das Weltmeer durchreise, will ich auch seine Romantik kennen lernen; dazu gehört aber vor allem etwas ‚schlecht Wetter‘. Unter diesem summarischen Ausdruck versteht aber der Seemann – wie mir der hübsche ‚Stewart‘ in einer belehrenden Unterredung mitgetheilt hat – Sturm, Nebel, hohen Seegang, kurz –“
„Um Gotteswillen, hör’ auf, Kind. Kannst Du Dein romantisches Gelüst denn nicht zu Gunsten meines Rheuma bezähmen?“
„Geh nur, Onkel, geh nur! Jedesmal, wenn ein Wunsch von mir Dir quer kommt, flüchtest Du hinter Dein Rheuma, welches doch in Wiesbaden bleiben sollte. Sonst bist Du freilich der beste, aufmerksamste Onkel von der Welt.“
„Hexe, Du!“
Der braunlockige Querkopf konnte diesmal nicht zum Ziele kommen, Onkel Dresing wollte aller Liebe zum schönen Nichtchen zum Trotz nicht mit sich unterhandeln lassen.
„Nun, dann bleib’ ich allein oben,“ erklärte sie, knüpfte ein Tüchlein über das Haar und hüllte sich in den dunklen Mantel.
Hui, wie pfiff die Böe und stürmte die erregte See heran, der Regen hatte seine Wuth rasch erschöpft, desto wilder brausten die Wassermassen der Tiefe, und einige besonders hohe Wellenköpfe brachen über den Bug herein.
Noch blieb die junge Dame in der Thür des Pavillons stehen und überlegte, denn die Sonne war verschwunden und dunkler ward es von Minute zu Minute. Die Signallichter und die Compaßlampen brannten. Aber gerade draußen, wo kein schützend Dach dem Winde wehrt, mit dem Nachthimmel und der brausenden See allein – herrlicher Gedanke; also – husch, husch hinaus. Zu dem Großmast, wo man den Blick nach vorn frei hat? nein, dort gehen die Officiere stets ab und zu, man ist nicht ungestört. Aber nach hinten an dem Officier vorbei, der stumm und reglos am Compaß vor dem Ruderhause steht.
In diesem Augenblicke tönte aus dem Ruderhause, wo vier Mann das Steuer handhabten, in kurzen Unterbrechungen ein viermaliges schrilles Klingeln.
Das junge Mädchen fuhr zusammen.
„Was ist das?“ fragte sie einen vorübergehenden Matrosen.
„Das ist ein Tingeltangel,“ lautete die lakonische Antwort, und der Mann ging weiter.
Ein Tingeltangel! das ist kein salonfähiger Ausdruck, so viel weiß die junge Dame genau, ob aber die ominöse Bezeichnung einen ebenso ominösen Begriff deckt, steht außerhalb ihres Fassungsvermögens, und das verstohlene Lachen auf dem bärtigen Gesicht des Officiers, der sich auf seinen Compaß bückt, sagt auch nichts Deutliches.
Da, hinter dem Ruderhause, fand sich das ungestörte Plätzchen. Der Regen hatte nachgelassen, ebenso die Heftigkeit des Windes, aber die See ging hoch und der Dampfer arbeitete und schlingerte gewaltig. Die junge Dame schien jedoch gefeit gegen die „Krankheit“, und als nun die Mannschaft Segel setzte (der „Neptun“ trug Schoonertakelung), um das Schiff zu stützen und die heftige Bewegung desselben zu mildern, schaute sie dem Manöver gespannt zu. Wie sicher, beinahe militärisch exact bewegten sich die schlanken, schmiegsamen Gestalten der Seeleute! Durch das dämmernde Zwielicht auf Deck ward der Reiz erhöht. Und über Bord hinaus die weite gähnende Nacht. Ja, sie war wundervoll, diese Nacht auf dem Oeean. Was er wohl sagen würde, wenn er an ihrer Seite hier stände? Er, der so feines Empfinden für das Walten der Natur besaß?
Er war nämlich ein junger Mann mit kurzkrausem, dunklem Haar und kecken Augen im fröhlichen Antlitze. Er war seines Zeichens Landschaftsmaler, der Studien zu machen nach Nordamerika ging, welches seiner Ansicht nach dem Landschafter eine Fülle der besten Motive bot, und nach Fräulein Ida’s tiefinnerster Ueberzeugung reichte ein Claude Lorrain, oder der Andreas Achenbach, welchen der Onkel von Düsseldorf mitgenommen hatte, bei weitem nicht an die Kunsterzeugnisse seines Pinsels. Er hatte seinen Platz bei Tafel leider in einer starken Diagonale mit Fräulein Ida, und diese Stellung zweier Gestirne erlaubte kein so häufiges Verschmelzen der beiderseitigen Lichtstrahlen, wie bei der unleugbaren Attraction dieser Sterne wünschenswerth erschien.
Zwei feindliche Gestirne hatten sich in die Bahn geschoben, hüben die „Dame in Grün“, eine nicht mehr ganz frische Schönheit, die allmittäglich, nachdem sämmtliche Tischgenossen bereits Platz genommen, in meergrüner, seidener Schlepprobe hereingerauscht kam, sonst jedoch nur in grauer Regenkapuze sich zeigte, weshalb unter ihren Mitschwestern die Version verbreitet war, besagte beide Kleidungsstücke bildeten ihre ganze Garderobe; – drüben ein verwittweter Engländer, der aus den Trümmern seines häuslichen Glückes nichts gerettet zu haben schien, als einen ungezogenen, vierjährigen Jungen, welcher alle Leute mit staunenswerther Consequenz auf die Füße trat und in Puddings und Pies die unglaublichsten Verwüstungen anrichtete. Mit diesem hoffnungsvollen, liebenswürdigen Sprößling reiste der Vater umher, um – ihm eine neue Mama zu verschaffen. Wenn nicht alle Anzeichen täuschten, war das Ideal entdeckt, wenigstens konnten die starren Blicke, mit welchen Mylord Vater Fräulein Ida unausgesetzt verfolgte, nicht anders gedeutet werden, wie alle Vertreterinnen des schönen Geschlechts in traulicher Zwiesprach eifrigst versicherten.
Da hat nun das Schicksal eine Anzahl Menschen aus vieler Herren Ländern an Bord eines Dampfers zusammengefegt; fremd bis zur Stunde, lebt man mit einander, für einander, teilt Leid und Freud, freundliche und ernstliche Beziehungen entstehen, man ist in Noth und Tod auf einander angewiesen, und ein Band
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 438. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_438.jpg&oldid=- (Version vom 6.7.2023)