Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Die Weltsprache der Seefahrer.
Wie der rüstige Wanderer fern von der Heimath sich freut, auf einsamem Pfade ein anderes menschliches Wesen zu treffen, dem er mittheilen kann, was sein Inneres soeben bewegt, dessen Auskunft er begehrt, um die ihm fremde Gegend kennen zu lernen, um zu erfahren, wo er Abends sein müdes Haupt niederlegen könne, so strebt auch der sonst so wortkarge Seemann, der gegenwärtig nur noch an wenigen Stellen des Erdenrundes in dem am Horizonte auftauchenden Schiffe einen mächtigen Piraten zu fürchten hat, bei Begegnungen mit andern auf den weiten Straßen des majestätischen Meeres Mittheilungen bald wichtigeren, bald unbedeutenderen Inhalts zu erhalten; und der erfinderische Geist der Neuzeit hat auch hier gewaltig fordernd in das Communicationsgetriebe eingegriffen und, der Natur nachahmend, die stets der einfachsten Mittel sich bedient, mit wenigen, schon aus weiter Ferne kenntlichen Zeichen eine internationale Sprache geschaffen, welche reicher an Wörtern als selbst die deutsche oder englische ist.
Wenn wir über diese Sprache, in welcher freilich bislang noch Niemand ohne stetes Nachschlagen in seinem Wörterbuche sich verständigen konnte, auch wohl nie anders sich verständigen wird, dem Binnenlande etwas erzählen wollen, so möchten wir um einen kleinen Theil jener Sympathie bitten, welche da, wo weder ein Schiff, noch die See zu sehen, am lebhaftesten vor wenigen Jahren sich bekundete, als nach der Verschmelzung preußischer und hanseatischer Farben zur schwarz-weiß-rothen Tricolore, dem Sinnbilde deutscher Kraft und deutschen Unternehmungsgeistes, die deutsche Reichsmarine endlich erstand.
Um wichtige Nachrichten, Anzeigen von Gefahr und Noth, Aufforderung zu Hülfsleistungen aus offener See oder in der Nähe der Küste einander aus der Ferne mitzutheilen, hatte sich besonders unter den Phöniciern der Neuzeit, den Engländern, nach und nach eine Art von Signalen ausgebildet, und als diese im Laufe der Zeit den Anforderungen nicht mehr genügten, wurde zuerst von Privaten, wie Marryat, Reynold, Rogers und Andern, sodann von einer durch das britische Board of Trade berufenen Commission von Sachverständigen ein besonderes Signalbuch bearbeitet, das zuerst im Jahre 1857 erschien. Nach Verhandlungen mit Frankreich führte 1864 die Regierung dieses Landes das gleichzeitig noch weiter vervollständigte Signalbuch für ihre Kriegs- und Handelsmarine ein und veranlaßte dessen Herausgabe in französischer Sprache. Bald darauf stellten beide Regierungen den übrigen Seestaaten die Annahme dieses Buches und die Veranstaltung von Uebersetzungen in die verschiedenen Landessprachen anheim, und bereitwillig gingen der damalige Norddeutsche Bund, die Vereinigten Staaten von Amerika, Brasilien, Dänemark, Griechenland, Italien, die Niederlande, Norwegen, Oesterreich-Ungarn, Portugal, Rußland, Schweden und Spanien darauf ein.
Alle von diesen Ländern veranstalteten Ausgaben des Signalbuches stimmen ihrem Inhalte nach unter sich und mit der englischen und französischen Ausgabe völlig überein. So ist den Schiffen aller dieser Nationen die Möglichkeit gewährt, Fragen, Antworten, Mittheilungen etc. unter sich und mit den Signalstationen am Meeresufer durch Signale zu wechseln, auch sich gegenseitig zu erkennen zu geben, gleichviel ob der eine Theil die Sprache des andern versteht, ob sie die Ausgaben des Signalbuches in derselben oder in verschiedenen Sprachen benutzen.
Die achtzehn (respective neunzehn) verschiedenen Flaggen, durch welche viele Tausende von Wörtern, Sätzen, Zahlen etc. gegeben werden können, sind auf Fig. 1 (Seite 436) dargestellt.
Die oberhalb der andern abgebildete Flagge führt den Namen Signalbuch-Wimpel und Antwort-Wimpel, die andern bedeuten die links daneben gedruckten Buchstaben. Die Mitbenutzung der Vocalzeichen wurde absichtltch vermieden, weil dann viele Buchstabengruppen die Form wirklicher Wörter in den einzelnen Sprachen bekommen hätten. Um so viel als möglich die Signale zu vereinfachen, wurden alle Signale mit mehr als vier Flaggen gänzlich ausgeschlossen; solche mit einer Flagge werden nur in drei Fällen benutzt, als Zeichen der Bejahung (Flagge C), der Verneinung (Flagge D) und das Antwortzeichen. Es gilt als feststehende Regel, die Flaggen, aus welchen ein Signal besteht, stets gleichzeitig und an derselben Stelle unter einander aufzuhissen (aufzuziehen).
Wenn wir nun aus den achtzehn Buchstaben B, C, D, F, G, H, J, K, L, M, N, P, Q, R, S, T, V, W durch Combination Gruppen bilden wollen, deren jede anders geordnete oder andere Buchstaben enthält als alle übrigen, so werden wir finden, daß
- 1) Gruppen von 2 Signalbuchstaben
- BC, BD, BF, BG etc. bis BT, BV, BW
- CB, CD, CF, CG etc. bis CT, CV, CW
- etc. bis
- WB, WC, WD, WF etc. bis WS, WT, WV
- im Ganzen 306 vorkommen;
- 2) Gruppen von 3 Signalbuchstaben
- BCD, BCF, BCG etc. bis BCV, BCW
- BDC, BDF, BDG etc. bis BDV, BDW
- etc. bis
- WVB, WVC, WVD, WVF etc. bis WVS, WVT
- im Ganzen 4896 vorkommen;
- 3) Gruppen von 4 Signalbuchstaben
- BCDF, BCDG, BCDH etc. bis BCDV, BCDW
- etc. bis
- WVTB, WVTC, WVTD etc. bis WVTR, WVTS
- im Ganzen 73,440 vorkommen.
Es können also mit diesen 18 Flaggen 78,642 Signale gegeben werden. Mit Rücksicht auf die Zeitersparniß dienen die Gruppen von zwei Signalbuchstaben zur Bezeichnung der wichtigen und dringenden Signale, z. B. der Compaßrichtungen, der Anzeigen von Gefahr, Noth, der Aufforderung zur Hülfefeistung u. dergl. Sie bilden den ersten Abschnitt des Signalbuches; in ihm finden wir z. B. neben BC gedruckt die Bedeutung: zeigen Sie Ihre Nationalflagge! neben NM auf meinem Schiffe ist Feuer ausgebrochen. Die Gruppen von drei Signalbuchstaben, im zweiten Abschnitte des Buches, enthalten die häufig vorkommenden Signale, Mittheilungen aller Art, wie sie zwischen Schiffen gewechselt zu werden pflegen, ganze Zahlen, Bruchzahlen, Buchstaben u. dergl. BNW z. B. bedeutet: Woher kommen Sie? CMP: Sclavenschiff, HCK September, HFN der fünfundzwanzigste, JWM gesalzenes Schweinefleisch. Von den aus vier Signalbuchstaben bestehenden Gruppen sind die ersten 4000 (BCDF bis BWVT) zu Bezeichnung geographischer Namen bestimmt. BDFG bedeutet Leipzig, BRMP Cocosinseln. Die nächsten 960 Gruppen (CBDF bis CGWV) dienen zur Bezeichnung einzelner Silben, Silbentheile (die sogenannte Buchstabirtafel), z. B. CBQG bedeutet Er, WTP: N (nach dem vorherigen Abschnitte), CFMQ: St, CDKM: Ke, CDGM: Il. Mit diesen fünf Signalen wird also „Ernst Keil“ wiedergegeben.
Die nächstfolgenden 13920 Gruppen (CHBD bis GPWV) gebraucht man zur Bezeichnung der sonst noch in das Signalbuch aufgenommenen Wörter, Mittheilungen u. dergl. CLNW bedeutet: Zwieback ist nicht gut, DWPB: Langweiligkeit. Mit weisem Vorbedacht ließ man hier eine größere Zahl von Buchstabengruppen noch unbenutzt, um sie für spätere Ergänzungen des Signalbuches verfügbar zu erhalten. Andere 1440 Gruppen (GQBC bis GWVT) sind zur Bezeichnung der Schiffe der Kriegsmarine, und die letzten 53040 Gruppen (HBCD bis WVTS) zur Bezeichnung der Schiffe der Handelsmarine bestimmt, weshalb sie den Namen „Unterscheidungssignale“ führen. Jedem Staate stehen alle diese Unterscheidungssignale behufs Vertheilung auf die Schiffe seiner Flagge zur freien Verfügung. Schiffe von verschiedenen Flaggen führen daher vielfach dasselbe Unterscheidungssignal, Schiffe unter derselben Flagge aber niemals. Das Unterscheidungssignal RCDV z. B. mit der deutschen Flagge bezeichnet den Dreimasterschooner „Ernst“ aus Hamburg und ist unter diesem Zeichen im vorjährigen Handbuche für die deutsche Handelsmarine auf Seite 228 genau beschrieben; mit demselben Signale unter englischer Flagge aber kann nur ein bestimmtes Schiff, z. B. aus Glasgow, unter französischer, italienischer etc. aus Marseille, Neapel oder sonst woher bezeichnet werden, ohne daß dadurch irgendwelche Verwechselung möglich ist.
Jedem deutschen Kauffahrteischiffe wird gleich bei seiner Eintragung in das amtliche Schiffsregister ein solches Unterscheidungs-Signal zugetheilt und in seinem Schiffs-Certificate vermerkt. So lange es nun unter deutscher Flagge fährt, behält es dieses auch
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_435.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)