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Seite:Die Gartenlaube (1883) 429.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

No. 27.   1883.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis Bogen. 0 Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.


Alle Rechte vorbehalten.

Gebannt und erlöst.

Von E. Werner.
(Fortsetzung.)

„Wußte Gregor um die That Deines Vaters?“ fragte Anna leise.

„Nein,“ erwiderte Raimund, „wenigstens hat er nie volle Gewißheit darüber erhalten, aber er mit seiner Menschenkenntniß verstand es besser als jeder Andere, in der Vergangenheit zu lesen. Erinnerst Du Dich jenes Tages, wo er mit seiner Anklage zwischen uns trat? Ich schwieg damals, selbst auf Deine angstvolle Frage, denn ich konnte mich nicht für unschuldig erklären und wollte mich nicht schuldig bekennen vor diesem Richter, und meine Bitte um ein Alleinsein mit Dir wurde ja versagt. Noch an demselben Abende erschien Vilmut bei mir im Schlosse und erklärte mir, er habe als Vormund gehandelt, der die Zukunft seines Mündels schützen müsse, jetzt komme er als Priester und fordere mich auf, mein Gewissen durch eine Beichte zu entlasten, die nur der Priester hören werde.“

„Und Du verweigertest ihm die Beichte?“

„Ja. Vor dem Manne, der mir soeben mein ganzes Glück entrissen und vernichtet hatte, konnte ich mein Haupt nicht demuthsvoll in den Staub beugen, um mich seinem Richterspruch zu unterwerfen, vor ihm konnte ich meinen todten Vater nicht anklagen, denn Alles in mir gährte auf in Haß und Feindschaft gegen ihn. Ich erwiderte ihm, daß ich mich auf Gnade und Ungnade nur dem höchsten Richter da oben übergebe. Da sah er mich an mit jenem Eisesblick, den Du ja kennst, und sagte:

‚So hat der Priester nichts mehr bei Ihnen zu schaffen, Herr von Werdenfels – bis Sie sich anders besinnen. Bedenken Sie, daß ich Ihnen den Weg zur Versöhnung geöffnet habe und daß Sie ihn sich selbst verschließen, denn Ihr Schweigen giebt mir die Gewißheit dessen, was ich bisher nur ahnte. Ich werde warten, bis Sie freiwillig kommen, um das zu gewähren, was Sie mir heute weigern!‘

Er hat vergebens gewartet, und ich verfiel seinem Bann!“

Anna widersprach nicht, sie wußte am besten, wie Gregor damals auf sie eingestürmt war, als er entdeckte, daß seine Schutzbefohlene die Braut des nunmehrigen Herrn von Werdenfels war, und daß die Verlobung nur mit Rücksicht auf den plötzlichen Tod des Vaters noch geheim gehalten wurde.

Das Sturmgeläut tönte fort. Die Glocken, die so oft zum Segen gerufen, sie riefen jetzt in höchster Noth nach einer Hülfe, die nicht erschien. Die dumpfen, schweren Klänge drangen wie flehend und mahnend zu dem Schloßberge empor, zu dem Schloßherrn, der finster in den strömenden Regen hinausblickte, er wollte den Ruf nicht verstehen.

Da vernahm man plötzlich ein donnerähnliches Krachen, so laut und furchtbar, daß es selbst das Brüllen des Stromes übertönte. Es klang, als sei das halbe Dorf eingestürzt.

„Gott im Himmel, das war die Brücke!“ rief Anna auffahrend. „Sie wankte schon gestern, sie ist gewiß den Fluthen erlegen!“

Raimund drückte heftig auf die Klingel.

„Schicken Sie nach dem Schloßberge hinaus,“ befahl er dem eintretenden Diener. „Man soll sehen, ob die Brücke noch steht! Ich will sofort Nachricht haben.“

„Laß uns nach dem Erker hinaufgehen,“ bat die junge Frau, während der Diener sich eiligst entfernte. Von dort übersieht man das Dorf und den Lauf des Flusses.“

Raimund machte eine abwehrende Bewegung.

„Nein, nein! Ich mag nichts sehen von der Zerstörung, der ich doch nicht Einhalt thun kann.“

„Oder vielmehr Du willst nichts davon sehen, weil der Anblick Dich gewaltsam zur Hülfe anrufen würde.“

„Zur Hülfe für diese Menschen? Nein, Anna! Du weißt nicht, was sie mir alles angethan haben. Sogar ihren Kindern haben sie Haß und Feindschaft gegen mich gelehrt, sogar die Kleinen wurden gezwungen, sich von mir zu wenden. Als ich das letzte Mal inmitten der Werdenfelser war und der feige, heimtückische Stoß meinen armen Emir traf, da habe ich es mir gelobt, daß es zu Ende sein soll zwischen mir und ihnen. Sie tragen jetzt nur die Schuld ihrer eigenen Verblendung. Warum stießen sie die Hülfe zurück, die ich ihnen bot? Mögen sie jetzt ihrem Schicksal verfallen!“

Die Härte war dem Manne wohl zu verzeihen, den man auf das Aeußerste gebracht hatte, und doch klangen die Worte nicht hart, es lag etwas darin wie unruhige Abwehr, wie geheimer Kampf mit sich selber – und dieselbe Unruhe verrieth sich auch in der Hast, mit welcher der Freiherr jetzt auf- und abzuschreiten begann, als wolle er seinen eigenen Gedanken entfliehen.

Da trat der Haushofmeister ein, der draußen dem Diener begegnet war, er brachte bereits die verlangte Nachricht und näherte sich mit schreckensbleichem Gesicht seinem Herrn.

Die Brücke ist soeben eingestürzt, gnädiger Herr. Wir sahen es vom Erker aus, und vor einer halben Stunde ist auch die Bachmühle zusammengebrochen.“

„Und die Bewohner?“ fragte Anna angstvoll.