Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
|
trockener Witterung im Schuppen manchmal leck, das eiserne dagegen erträgt Trockenheit und Hitze, ohne irgend einen Schaden davon zu tragen, und dabei ist es merkwürdiger Weise leichter und selbstverständlicher Weise widerstandsfähiger als sein hölzernes Brüderlein.
Wir mustern seine Ausrüstung. Die Pumpe im Boote ist uns längst bekannt. Was bedeutet aber der Sack aus grobem Segeltuche? Der sachkundige Cicerone, der uns auf diesem Wege begleitet, sagt:
„Das ist der Lenzsack.“
„Wie? Lenzsack?“ fragen wir.
Der von den Seewinden und Seereisen gebräunte Herr scheint keine Lust zu haben, sich mit uns in eine lange Unterhaltung einzulassen.
„Der Herr sind ein Schriftgelehrter,“ meint er, nicht ohne Malice auf unsere Landrattenwenigkeit herabblickend, zieht einen Druckbogen aus der Tasche und fügt hinzu: „Hier ist auch der Lenzsack beschrieben.“
Wir nehmen mit höflicher Verbeugung das Blatt entgegen und sehen: es ist die „Hygiene-Ausstellungs-Zeitung. Organ für die Interessen der öffentlichen Gesundheitspflege und des Rettungswesens in Deutschland“.
Beim Anblicke eines neuen Blattes vergißt der Journalist alles Andere und versetzt sich, einer höheren Macht der Geistesverwandtschaft unter den Ideen folgend, in die Lage seiner ihm unbekannten oder bekannten Collegen.
„Glückliche Zeitschrift,“ denken wir uns, „deren Lebenslauf so regelrecht geordnet ist. Der Verleger bestimmt im Voraus nicht nur ihren Geburtstag, sondern auch die Stunde, in der sie zum letzten Male hinausgetragen wird. Mit dem Schlusse der Ausstellung hat auch für sie die Glocke geschlagen, und der Redacteur geht, ohne dem ausgelösten Unternehmen eine Thräne nachzuweinen, ohne an dem hochwichtigen 1. October, dem Beginne der Winter-Lese-Saison, sich um die Zahl der Abonnenten zu kümmern.“
Da fällt inmitten dieser Betrachtung unser Blick wieder auf das Stück Segeltuch, und dieses gemahnt uns an die Berichterstattungspflichten, die wir auf uns genommen, und in dem Wirrwarr und Labyrinth der Gehirnzellen tönt wieder die Frage:
„Was ist der Lenzsack?“
Da lesen wir nach kurzem Suchen in der genannten Zeitschrift
„Für ganz schwere Fälle, wenn das Boot vor dem Wind und hoher See läuft, ist auch noch der Lenzsack oder Schlepper im Boot; es ist dies ein kegelförmiger Sack aus starkem Segeltuch von der Gestalt eines Zuckerhutes, an der Mündung etwa 60 Centimeter weit und 1,4 Meter lang. Er dient dazu, das Boot der Länge nach vor der See zu halten und damit zu steuern, wenn durch die hohe See das Hintertheil des Bootes so gehoben wird, daß Steuerreemen oder Steuerruder aus dem Wasser kommen; hätte man dann keinen Lenzsack, so würde das Boot von der See quer geworfen und übergerollt werden. Der Lenzsack wird, mit der Oeffnung nach vorn, an einem starken Tau geschleppt, während eine dünne Leine an dem spitzen Ende befestigt ist. Da beim Schleppen die Mündung nach vorn ist, so füllt sich der Sack mit Wasser, leistet einen beträchtlichen Widerstand und hält dadurch das Boot vor der See. Wirft man das stärkere Tau an der Mündung los und holt die dünne Leine an dem spitzen Ende ein, so wird der Sack umgekehrt, klappt zusammen und kann mit leichter Mühe in’s Boot geholt werden. Auch ist der hinter dem Boote schleppende Sack ein vorzüglicher Brandungsdämpfer, indem sich die hinter dem Boote aufrollende See stets daran bricht. Seit Einführung der Lenzsäcke haben die Vormänner die bisher zum Inventar der Rettungsböte gehörenden Oelkannen im Boot als überflüssig erklärt.“
Wir scheiden nun von dem unscheinbaren und doch so wichtigen Tuchsack und gedenken der Oelkrüge, deren die Meereswellen besänftigende Macht noch vor Kurzem mit so großem Pomp gepriesen wurde und die in unserer so rasch vorwärtsschreitenden Zeit schon einen Concurrenten gefunden.
Die Mannschaft des Rettungsbootes wird auch mit dem Cordes’schen Gewehre ausgerüstet, aus welchem sie keine Kugeln, sondern Leinen abschießt, durch welche zwischen dem Boot und dem Schiff eine Verbindung hergestellt wird, wenn das erstere an das Wrack nicht gelangen kann. Die Wurfweite des Gewehrs beträgt 70 Meter.
In neuester Zeit hat man auch floßartige Rettungsböte construirt, welche gewöhnlich als Bänke auf dem Schiffe benutzt und im Augenblicke der Gefahr über Bord geworfen werden können.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 425. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_425.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)