Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Von der rheinischen Landstraße.
Während in manchen Gegenden unseres deutschen Vaterlandes die anheimelnden Bilder des Verkehrs- und Volkslebens von der großen Heerstraße verschwinden, erhalten sich am Rhein noch einige eigenthümliche Beförderungsmittel in ureigenster Gestaltung. Zwar begegnet man am Strome selbst nur noch bei kleineren Schiffen dem „Halfterer“ auf den sogenannten Leinpfaden, jenen Pferdezügen, welche die Lastschiffe, an lange Schiffstaue gespannt, stromauf befördern, wie dies in früherer Zeit besonders im Bingerloch vor den Felsensprengungen in sehr erheblichem Maße geschehen mußte.
Seltener wird das dürftige Gespann des wandernden Blechschmiedes (Klempner, Spengler) auf den rheinischen Straßen, und nur der Herbst zeigt uns noch die den Rhein-Orten eigenen Büttenwagen und Kufen für den Traubentransport auf ihrem zweiräderigen Untergestell, oder eine fahrende Traubenmühle als rheinische Eigenthümlichkeit. Dagegen „halftert“ man am Main und an der Lahn noch häufig den Lastkahn und nicht selten trifft der Reisende hier auch noch den düsteren Zigeunerwagen, der seine Insassen anscheinend sehr zwecklos in den gesegneten Fluren und an den Rebhängen hin von Ort zu Ort trägt. Lustig aber schmettert noch immer in den Seitenthälern des Stromes und über die Höhen desselben das Horn des Postillons, trotz Eisenbahn und Dampfboot, und es tragen diese an und für sich harmlosen Erscheinungen nicht wenig zu dem eigenartigen Eindruck bei, den der Tourist am Rhein von Land, Leuten und Leben empfängt.
„Es steht ein Wirthshaus an dem Rhein,
Da kehren alle Fuhrleut’ ein!“
singt das Volkslied. Der prächtige Strom sah früher einen Fuhrverkehr an seinen Ufern, wie wohl sonst keine Landesstrecke im deutschen Vaterlande. Die römische Heerstraße, welche Mainz, Bingen, Coblenz und Köln verband, war in die seitlichen Uferberge am linken Rheinufer offenbar mit gewaltiger Kraftanstrengung gesprengt, ohne Pulver und Dynamit, während das rechte Ufer nachweislich nie eine zusammenhängende Verkehrslinie für Fuhrwerk besaß. Um so mehr drängte es sich drüben, und einzelne Orte waren – wie St. Goar, Coblenz –- regelmäßige Ausspannorte für die Kaufmannszüge zu den Messen in Leipzig, Nürnberg und Frankfurt. Und welche Lasten an Kaufmannsgut und Traß (Bimstein) schleppte der Fuhrverkehr in’s Niederland hinab, welche Lasten vom Meeresstrande drunten in Holland hinauf in das mittlere Deutschland, ja bis zu den Alpen! War doch der Schiffsweg oft genug durch niedrigen Wasserstand und die Stromschnellen des Bingerlochs, des wilden Gefährts bei Bacharach und der Bank bei St. Goar verschlossen.
Da mochte wohl das Lied entstehen von dem Wirthshaus am Rhein, in dem alle Fuhrleut’ einkehren. Spricht doch auch der kaufmännische Orden in St. Goar (vergl. „Gartenlaube“ 1868, S. 238) für diesen Waarentransport und Wagenverkehr, der oft genug durch gesetzlich vorgeschriebenes Umladen belastet war, ein Umladen, welches nach weiser Fürsorge den Ortseinwohnern Verdienst und der betreffenden kleinstaatlichen Landescassa Tribut schaffen sollte. Mußte doch beispielsweise in St. Goar von den geladenen Gegenständen stets ein Theil als Steuer für Wegunterhaltung abgeliefert werden.
Da kamen die kecken Dampfer im Jahre 1817 (der erste von London) und rissen einen Theil des Verkehrs an sich, dann die Eisenbahnen rechts und links des Stromes und nun endlich gar die mächtigen Schlepper und die – Tauerei. Der hochauf mit seltener Geschicklichkeit geladene Frachtwagen verschwand mehr und mehr, selbst die sogenannten Marktschiffe konnten nicht mehr der Concurrenz der Dampfkraft widerstehen, und nur das St. Goarshausener Marktschiff fährt alter Ueberlieferung getreu noch heute hinauf zur Frankfurter Messe, beladen mit Wein und – Einmachzwiebeln.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 408. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_408.jpg&oldid=- (Version vom 23.6.2023)