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Seite:Die Gartenlaube (1883) 399.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

vor der ganzen Schule, ganz öffentlich, und mit Sack und Pack,“ räumte Käte beschämt ein.

„Weshalb, Kind?“

„Weil – weil – ach, es ist zu schrecklich, Onkel Gustav, ich kann’s nicht sagen, was wird die Tante von mir denken?“

Der Assessor runzelte jetzt mit wirklichem Ernste die Stirn.

„Rede, Käte,“ sagte er nicht unfreundlich, aber sehr bestimmt.

„Ich will Dir’s in’s Ohr sagen, Onkel Gustav.“

„Nun – meinetwegen!“

„Weil, weil – ich immer so großen – Hunger hatte!“

Der Assessor lachte laut.

„Und die Butterbrode waren zu klein?“

Käte nickte nur stumm.

„Das ist freilich in Deinem Alter ein Fehler. Trotzdem bist Du hübsch gewachsen, fast so groß, wie Deine liebe Mama war. Nun, vorerst bleibst Du hier – natürlich! – später werde ich Dich an einen Ort bringen, von dem Du mir nicht wieder davon laufen darfst! Von der Größe und Schwere der Butterbrode werde ich mich zu Deinem Troste indessen vorher überzeugen. Jetzt – hier – schneide sie Dir selbst, nach Deinem Geschmack.“

Auf Kätchen’s hübschem Gesichtchen war allmählich aller Sonnenschein der sechszehn Jahre zurückgekehrt.

„Ich darf also bei Euch bleiben,“ rief sie erfreut. „Ach, es ist so wunderhübsch hier. Aber warum habt Ihr alle Rouleaux herabgelassen? Es sieht ja aus, als ob Ihr nicht zu Hause wäret?“

„Das sind wir auch nicht!“ lachte der Assessor, „wenigstens nur für Dich. Das Andere verstehst Du nicht und brauchst Du nicht zu wissen.“

Mit Hülfe Herrn Ledermann’s, des Stiefelputzers, wurde in einem Hinterstübchen bald Quartier für den Gast geschaffen, woselbst sich Käte mit Cartons und Pappschachteln zu einem längern Besuche einrichtete. Der Assessor legte selbst Hand an, aber er war etwas nachdenklich geworden.

„Wir werden unser Incognito aufgeben müssen, liebe Marie,“ sagte er überlegend. „Der Wildfang schafft uns Unruhe im Hause, und wird uns am Ende verrathen. Spätestens übermorgen wollen wir die Eltern besuchen, auch werde ich mich noch heute dienstlich als wieder eingetroffen melden. … Unsere Zweisamkeit ist ohnehin gestört!“

Marie war zu verständig, um nicht die Ansicht des Gatten zu theilen. Sie sagte nur:

„Du hast Recht, wie immer!“

Wenn der Assessor in Betreff Kätchen’s überhaupt noch einen Zweifel gehegt hätte, so würde ihn der Appetit, mit dem sie beim Thee in das größte Butterbrod hineinbiß, eines Bessern belehrt haben.




4.

Am andern Tage ging der Assessor ganz wie gewöhnlich seinen Geschäften nach. Auf dem Landgericht begrüßten ihn die Collegen natürlich als soeben zurückgekehrt, und da er die Zeit etwas versäumt hatte und die Parteien warteten, so ließ er sich alles ruhig gefallen. Ueberhaupt hatte er nicht die Absicht, sich in irgend welche Erklärungen oder Erörterungen einzulassen. Daß man sich auf einer Hochzeitsreise gut amüsirt, wird stillschweigend angenommen, und die es nicht gethan haben, pflegen es nicht zu sagen.

Mit Kätchen’s Beihülfe hatte Marie einstweilen ihr erstes Kochdebut gegeben. Und obgleich die Suppe aus Uebermaß an Liebe stark versalzen und die Sauce etwas angebrannt war, blieb der Assessor doch liebenswürdig genug es nicht zu bemerken. Später, beim Kaffeetrinken, malte man sich aus, wie man morgen wohl empfangen werden würde. Großmama würde vermuthlich die erste sein, die dem Entschluß des Zuhausebleibens Anerkennung zollte. … Morgen! So nah der morgende Tag, daß er uns fast die Stirn berührt, und doch kann jede einzelne Minute des spannlangen Zeitraumes ein Hinderniß bringen! Denn nur die kurze, gegenwärtige Minute ist ja unser Eigenthum! Schon über der allernächsten Zukunft schwebt eine dunkle Wolke, aus deren Schatten all die kleinen neckischen Zufallskobolde hervortauchen können, die uns ärgern und uns hohnlachend Steine zwischen die Füße rollen. Diese kleinen Zufälligkeiten sind die dienenden Geister und Helfershelfer des Weltenschicksals, aber die Tyrannen des Einzelnen, und kommen in mannigfachster Gestalt, unscheinbar und harmlos …

„Wird nicht schon wieder draußen geklingelt?“ frug die junge Frau, indem sie die hübsche, kleidsame Straßentoilette vor dem Pfeilerspiegel beendete.

Gustav war schon gegangen, um draußen nachzusehen, und kehrte alsbald mit – Vetter Fritz zurück. Seit gestern war er nach glücklich absolvirtem Examen von Heidelberg eingetroffen und wohnte wie immer im Hause seines Onkels, des Stadtraths, bei welchem er erzogen war. Cousin und Cousine waren wie Geschwister aufgewachsen und hatten sich vor Jahren, als Marie eben ihre Puppen in die Ecke gestellt hatte, natürlich sterblich in einander verliebt. Darüber war nun aber viel Wasser geflossen. Marie hatte Gustav kennen gelernt, und der Vetter war Student und ein flotter Bursch geworden, und damit nach seiner augenblicklichen Meinung das Höchste, wozu es ein Mann bringen kann. Was über diesen Gipfelpunkt des Lebens hinauslag, dünkte ihm schon Niedergang, Verfall. Dennoch war er selbst auf diesem Höhepunkte des Lebens mit der kleinen Cousine in verwandtschaftlicher, fast geschwisterlicher Liebe innig verbunden geblieben und kam, um sie wiederzusehen. Und zwar als neugebackener Doctor.

„Du hast uns doch nicht etwa verrathen, Fritz?“ frug Marie nach der ersten herzlichen Begrüßung.

„Zum Kukuk, ich werde doch nicht! Ueberdem ist die Idee classisch und nachahmungswürdig. Apropos, wer ist die junge Dame? Wollt Ihr nicht die Güte haben, mich vorzustellen?“

„Herr Studiosus med., wollte sagen: Herr Doctor Fritz Ruprecht, Fräulein Käte Melzer – unser erster Gast!“ stellte der Assessor das Paar einander mit Feierlichkeit vor.

„Laß ich mir gefallen – solch erster Gast ist glückbringend!“ meinte der neugebackene Doctor, indem er sich gegen die junge Dame verneigte.

Käte machte einen regelrechten Tanzstundenknix und erröthete bis zu den Simpelfransen herauf, die wie leichtgeschwungene dunkle Pinselstriche auf der hübschen Stirn lagen und sie reizend kleideten, indem sie ihre Bestimmung, „zu versimpeln“, dabei allerdings leider verfehlten. Unwillkürlich schlug sie mädchenhaft die blitzenden Augen nieder, denn die bebrillten Augen des jungen Doctors waren wie zwei scharfzielende Gewehrläufe minutenlang und fest auf sie gerichtet – sie fühlte fast den Blick.

„Doch ehe ich’s vergesse, Miezchen,“ wandte er sich endlich wieder an die Cousine, „ich habe nach Eurem Beispiel Eure Alten natürlich gleichfalls tapfer angelogen – hoffentlich werdet Ihr mit mir zufrieden sein!“

„Wie so?“ frug etwas beängstigt Marie.

„Nun, die Tante machte große Augen, als ich ihr erzählte, daß Ihr schwerlich vor sechs Wochen zurück wäret. Ich glaube, ich habe es ihr leidlich plausibel zu machen gewußt, daß Ihr Euch auch einmal den italienischen Frühling ansehen wolltet. … Nach Sicilien sind sie bestimmt, eulenspiegelte ich weiter, und der Merkwürdigkeit wegen vermuthlich auch auf kurze Zeit nach Algier hinüber –“

„Welcher Unsinn!“ warf Marie verdrießlich ein.

„‚Wenn man heutigen Tages nur einigermaßen mit Auszeichnung reisen will, so darf man sich eben kein nahes Ziel wählen, beste Tante‘, gab ich selbst dazu meine unmaßgebliche Ansicht, mit der sie indessen keineswegs einverstanden schien,“ fuhr Vetter Fritz unbeirrt fort. „Ihr braucht Euch also mit der Rückkehr keineswegs zu übereilen – Niemand erwartet Euch jetzt …“

„Sie werden also um so freudiger überrascht sein, wenn wir morgen antreten,“ sagte Gustav. „Es drängt mich jetzt fast dazu. … Jetzt, denke ich, machen wir aber unsern gewöhnlichen Spaziergang – die Damen sind ja bereits in Toilette.“

Draußen athmete Alles hochaufschlagende Frühlingslust. Es hat von jeher eine von allen Dichtern ausgebeutete Wechselwirkung zwischen Lenz und Liebe bestanden: auch Gustav und Marie vermochten sich ihr nicht zu entziehen. Der kleine Verdruß, den die Eulenspiegeleien des Vetters bei der jungen Frau hervorgerufen hatten, war schnell genug vergessen. Beide sehnten sich aus den Häusermassen der Vorstadt hinweg und schlugen gleich am Anfang der Promenade einen Nebenweg ein, der die Gärten und Häuser, welche sich an jener in ununterbrochener Reihe entlang ziehen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 399. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_399.jpg&oldid=- (Version vom 27.1.2024)