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Seite:Die Gartenlaube (1883) 392.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

gewöhnlichen Sinne des Wortes war, ebenso wenig war er ein Diplomat, der in Lügen und Intriguen und im Spioniren übliche Tagesdienste zu leisten vermochte. Er nahm den Posten an, um in ernstem Streben die Wiener Politik zur Verbesserung der deutschen Verhältnisse zu leiten. Er trat mit den Rheinbundesfürsten in ernste Unterhandlungen, die freilich vergeblich waren. Aber er harrte aus, bis die Jahre der Befreiung anbrachen und der erste Pariser Friede ihm Gelegenheit bot, seinem Walten einen Boden der Verwirklichung zu schaffen. Mit hohen Hoffnungen erfüllte ihn seine spätere Berufung zum Wiener Congresse. Aber die hinter seinem Rücken mit Rußland angezettelte heilige Allianz zertrümmerte alle seine Bemühungen und Pläne. Die russische Partei erklärte ihn für einen „gefährlichen Mann“, und der schwache Hardenberg wußte sich nach Herstellung des deutschen Bundes des Genossen Stein’s zu entledigen. Er sandte ihn als preußischen Gesandten nach London.

Noch einmal tauchte die Hoffnung in dem edlen Manne auf, dem Reactionsgelüste in Preußen entgegen zu wirken. Er wurde wiederum in den inneren Staatsdienst berufen und hegte den Plan, mit seinen freisinnigen Collegen im Ministerium einen gesunden Verfassungszustand in Preußen herzustellen.

Als es jedoch im Jahre 1819 dem Feind jeder Freiheit in Preußen, dem österreichischen allmächtigen Metternich, gelang, auf dem Karlsbader Congreß Preußen in die Schlingen der Reaction einzufangen, da nahm Wilhelm von Humboldt im Verein mit den freisinnigen Genossen Boyen, Grolmann und Beyme für immer seinen Abschied aus dem Staatsdienst und lebte fortan in seinem Schlosse Tegel bis zu seinem Tode der Freiheit seiner Wissenschaft.

Wilhelm von Humboldt war kein Beamter, der im Staube seiner Acten sein subjectives Wesen aufgehen ließ. Er blieb trotz all seiner amtlichen Arbeiten ein nach stets weiterer Erkenntniß strebender Gelehrter. Aber dieser innere Durst nach eigener Erkenntniß war so stark in ihm, daß all die Massen seiner gelehrten Arbeiten den Charakter von subjectiven Studien an sich tragen, die zwar als Studienquellen höchst werthvoll, aber in ihrer jetzigen Form keineswegs leicht faßlich sind. Nur seine schönwissenschaftlichen Arbeiten, Gedichte und Betrachtungen literarischer Producte sind genußreich und tragen die Anmuth seiner hohen Muster, denen er nachstrebte.

Seine Sprachstudien und namentlich seine geistreichen Untersuchungen über die Entstehung der menschlichen Sprachen und deren grammatischer Gesetze, die er in sehr umfangreichen Werken niedergelegt, bedürfen des systematischen Zusammenhanges, um selbst den Gelehrten dieses schwierigen Faches gemeinfaßlich zu werden. Sie sind ein reicher Schatz, dessen Gold in großartigen Gesichtspunkten von hoher Tragweite noch sorgsam nachgegraben und geläutert werden muß.

Nach anderer, aber nicht minder edler Richtung war der Geistesgang des jüngeren Bruders, Alexander’s von Humboldt, gewendet.

Nicht minder wie der ältere Bruder empfand er das Bedürfniß, sich im Kreise der Heroen der deutschen Literatur eine Erhebung für seine von Humanität erfüllte Seele zu suchen; aber seinem Geiste genügte nicht die innere Selbstschau und die Untersuchung der Probleme des menschlichen Seelenvermögens. Sein Blick richtete sich auf die Außenwelt und deren Kräfte, die den Organismus des Weltbaues bilden. Er wendete sich frühzeitig, bereits im zwanzigsten Lebensjahre, dem Studium der Gesteinswelt zu und veröffentlichte Einzelnheiten seiner Forschungen und Beobachtungen in den heimathlichen Gebirgen. Wenige Jahre darauf trat er in die Bergakademie in Freiberg ein. Bald darauf erwarb er sich ein so hohes Ansehen unter seinen Genossen, zu welchen auch Leopold von Buch gehörte, und bei seinen Vorgesetzten, daß er zum Bergassessor ernannt wurde. Schon im Alter von dreiundzwanzig Jahren nahm er die Stellung eines Oberbergmeisters am Fichtelgebirge in den fränkischen Fürstenthümern an und gab wissenschaftliche Arbeiten sowohl über die Entstehung der von ihm untersuchten Gebirgswelt, wie über die chemische Beschaffenheit der Gesteine und der Gase in den Höhlen derselben heraus.

Im Jahre 1792 erhielt er, während eines vorübergehenden Aufenthaltes in Wien, Kunde von der Entdeckung Galvani’s über den in den thierischen Muskeln auftretenden elektrischen Strom; sofort beschäftigte er sich mit Untersuchungen und Beobachtungen dieses damals noch völlig neuen Phänomens und sammelte Materialien zur Erkenntniß desselben, die er später in zwei Bänden veröffentlichte: über die in der Elektricität erkennbaren Momente des „Lebensprocesses in der Thier- und Pflanzenwelt“. Wie scharf sein Einblick in diesen tief verborgenen Proceß schon damals war, das bekundet die Thatsache, daß man noch jetzt seine Bemerkungen als fundamentale Grundsätze der weit hinaus entwickelten Wissenschaft werthzuschätzen allen Grund hat.

Im Jahre 1796 starb die edle Mutter der beiden Brüder. In der Seele Alexander’s reifte nunmehr der heiße Wunsch, die Erde in all ihren Welttheilen und Zonen, forschend nach den Gesetzen und Erscheinungen der Natur, kennen zu lernen. Die hohe Begeisterung des siebenundzwanzigjährigen Gelehrten, der sich bereits durch persönliche Verbindungen mit den berühmtesten Gelehrten in England und in Frankreich die höchste Achtung erworben hatte, gewann ihm allenthalben die lebhafteste Theilnahme. Er bereitete sich zur Beobachtung der Natur und zu geographischen Messungen auf seinen Reisen in gewissenhaftester Weise vor, und trieb praktische Astronomie, nachdem er sein Amt niedergelegt, um sich ganz seinen Lebenszielen widmen zu können.

Im Jahre 1797 begab er sich wiederum nach Jena, um im Umgang mit Goethe und Schiller seinem idealen Zuge ein Genüge zu verschaffen. Zugleich legte er sich jetzt ernstlich auf Anatomie, um die Thierwelt in fremden Zonen mit dem Verständniß des Fachmannes studiren zu können. Sodann trat er eine Reise nach Italien an, um die Vulcane in ihrer Thätigkeit zu beobachten, und verlebte darauf einsam den Winter mit Leopold von Buch in Salzburg und Berchtesgaden, um sich mit ihm gemeinsam in meteorologischen Beobachtungen und Messungen zu üben.

In solcher Weise wissenschaftlich ausgerüstet, begab er sich nochmals nach Paris, um womöglich einen gleichstrebenden Reisegenossen daselbst zu finden. Die Theilnahme, welche ihm in allen gelehrten Kreisen geschenkt wurde, und das Vertrauen auf den hohen Geist und die Festigkeit seines Charakters ließ ihn bald den erwünschten Genossen in dem ausgezeichneten Botaniker Aimé Bonpland finden, der in der That mit ihm alle Abenteuer, alle Gefahren und alle Untersuchungen, Forschungen und Entdeckungen im ruhmwürdigsten Sinne des Wortes theilte.

Im Jahre 1799 schiffte er sich in Spanien mit seinem Genossen Bonpland ein, um die neue Welt, welche damals noch nicht zum Gegenstand wissenschaftlicher Erforschungen gemacht worden war, kennen zu lernen. Von diesem Zeitpunkt ab beginnt sein großartiger Lebenslauf, den er bis zu den letzten Tagen seines Daseins im freiesten Dienste der Wissenschaft fortsetzte. Niemandem vor ihm und bisher auch noch Niemandem nach ihm wurde das Glück und das Verdienst zu Theil, volle sechszig Jahre eines Menschendaseins in so fruchtreichem Wirken für alle Zweige der Naturwissenschaft opfern zu können. Ihn auf diesem erhabenen Siegeszuge des Geistes zu begleiten, heißt die ganze Fülle der menschlichen Erkenntniß geschichtlich durchwandern. Ja, ein volles Menschenleben reicht kaum hin, um die von ihm veröffentlichten Werke zu studiren. Wie er bestrebt war, in allen Zweigen der Naturwissenschaft die Phänomene zusammenzufassen, so war er selber ein Phänomen des Menschenseins, das man in unserer Zeit nur anstaunen kann, um die Unerschöpflichkeit des menschlichen Geistes zu bewundern.

Die Wissenschaft ist von ihm nicht erschöpft worden. Sie ist nach ihm noch fortgeschritten und ist noch gegenwärtig nach allen Seiten im Fortschritt begriffen. Aber was Tausende der fruchtreichsten Geister in volle Thätigkeit versetzt, ist von diesem großen Universalgeist in den Grundzügen zum größten Theil erkannt und vorgezeichnet worden. Wenn wir die Spectral-Analyse, die neuesten Entdeckungen der organischen Chemie und der Physiologie ausnehmen, so können wir nur sagen: im Geiste Alexander von Humboldt’s lag Alles concentrirt, was unser Jahrhundert zu einem der fruchtreichsten in der Menschengeschichte erhebt.

Die Geologie, die Geographie, die Pflanzenkunde, die Gebirgskunde, die Meeresströmungen, die Astronomie, die Verbreitung der Wärme auf der Erde, die magnetischen Eigenschaften der Erdkugel, die Beschaffenheit des Luftmeeres, die Rolle der Elektricität im Lebensproceß der Thierwelt, die Sternennebel im Weltenraum und die Moose, welche nur das Mikroskop erkennbar werden läßt, das Größte und das Kleinste in der unendlichen Natur gestaltete

sich in seinem Geiste zu einer einheitlichen Auffassung zusammen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 392. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_392.jpg&oldid=- (Version vom 27.1.2024)