Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Hosentaschen, liederlich, wenn auch nicht zerrissen oder schmutzig im Anzuge. Als er gerade beim Meister angelangt, hört er plötzlich mit Pfeifen auf. Die Gleichgültigkeit ist aus seinem Gesichte gewichen, scharf blickt er hinauf zum Dache, dann tritt er zum Wirth und sagt mit einem Ernst, welchen man diesem durchtriebenen Gesicht nicht zugetraut hätte:
„Meester! Sehen Sie ’mal da oben den Rooch! Ick jloobe, et brennt bei Ihnen!“
Bleich vor Schreck blickt der Mann in die Höhe.
„Bei Gott,“ ruft er verzweifelt, „es brennt! Junge, Du sollst ein Trinkgeld haben, hole mir eine Droschke, so schnell Du kannst, ich will zur Polizei, ich will –“
„Man nich!“ erwidert der Junge eifrig. „Erstens Sie sind woll nich von hier?“
„Nein, mein Sohn!“ sagte der Alte kleinlaut.
„Na, denn kann ick Ihnen man blos sagen, Sie brauchen sich jar nich im Jeringsten zu jraueln! Des is ja nich so schlimm, als wie wo anders.“
„Aber was soll ich thun?“ rief der Mann, der den Rauch immer stärker werden sah, ganz verzweifelt.
„Jar nischt! Ick wer’ die Sache besorgen. Wenn ick commandire, is Moltke jar nischt jejen mir! In zwee Minuten is die janze Feuerwehr hier. Passen Sie mal uff!“
Spornstreichs lief er quer über die Straße. An einem Hause, vor dem eine rothe Laterne das Wort „Feuermelder“ zeigte, machte er Halt, zog seine Pantine vom rechten Fuße und schlug damit eine kleine Scheibe ein, die nicht weit vom Eingange des Hauses angebracht war. Dann drückte er auf einen darunter befindlichen Knopf und – die nächste der hundertundein öffentlichen Telegraphenverbindungen der Stadt ist in Thätigkeit gesetzt, um das Feuerdepôt zu alarmiren. Diese informirt im Nu durchs Weckersignal alle Feuerwehrstationen.
Wo aber die Glocke ertönt, da ist’s, als wenn mit Zauberschlag Alles auf die Beine kommt. Die Mannschaften ergreifen Helm und Geräth und stürzen aus der Wachtstube hinunter auf die Straße, die Remisenthüren fliegen auf, schräg ab auf die Straße rollen die Spritzen und Wasserwagen, die Fahrzeuge für Mannschaften und Geräthe, leicht wie Spielzeug und blitzblank, daß die Sonne ihre Freude damit hat. Und die klugen Pferde in den Ställen, auch sie haben den Wecker gehört, in wilder Ungeduld warten sie auf die Befreiung von der Koppel an der Krippe, ohne Führung laufen sie über den Hof, durch den Hausflur, und ohne Besinnen, ohne den leisesten Wink nehmen sie ihren Platz ein an ihrem Wagen. Das Geschirr wird angeschnallt, die Depesche kommt aus dem Bureau, welche meldet, wo das Feuer ausgebrochen.
„Aufgestiegen! Marsch!“ wird von den Wagenführern commandirt. Auf die Spritze springen vier Feuermänner, ein Oberfeuermann, ein Fahrer hat das Sattelpferd bestiegen, auf dem schweren, gefüllten Wasserwagen, an welchem die Rädertiene schon angehängt ist und den ganz besonders kräftige Pferde ziehen, sitzen der Fahrer und zwei Spritzenmänner, im Nu ist der Personenwagen besetzt mit elf Spritzenmännern, drei Feuermännern, einem Oberfeuermann und einem Hornisten. Die zufällig die Straße Passirenden prallen zurück, stehen doch auf einmal vier bis fünf mit Menschen gefüllte Wagen vor ihnen, deren Pferde ungeduldig der Abfahrt warten, dicht vor ihnen auf einer Stelle, die noch vor einer halben Minute still und leer war. Eine Ordonnanz bringt den Zettel, welcher die soeben aufgenommene Depesche enthält, dem im Thorwege harrenden Brandmeister. Seit dem ersten Läuten des Weckers bis zur Uebergabe dieser Depesche an den Commandirenden ist eine Minute verflossen!
„Groß-Feuer, Stralauer Straße 100,“ liest der Brandmeister laut. „Vorwärts!“ und beim rothflackernden Lichte der Fackeln, beim Klingeln der Wagenglocken, welche dauernd den Fußgängern und Fuhrwerken ihr: „Macht Platz!“ zurufen, saust die Wagencolonne dahin. Zwei Handspritzen fahren zuerst, hinterher rasseln zwei Wasserwagen mit ihren Rädertienen, ihnen folgt der dichtbesetzte Personenwagen, auf dem im letzten Augenblicke der Brandmeister Platz genommen in vorderster Reihe, zuletzt kommt die Dampfspritze mit dem Tender, der Schläuche und Kohlen birgt. Unter ihrem Kessel sind Holzspähne und andere Brennstoffe schon im Voraus angehäuft gewesen, jetzt werden sie in Brand gesetzt, in fünf Minuten muß ja schon genügend Dampf zum Arbeiten der Maschine entwickelt sein; dafür beansprucht sie aber auch zu ihrer Bedienung zwei Oberfeuermänner, acht Feuermänner, einen Heizer, einen Fahrer und einen Maschinenmeister.
In wenigen Minuten ist die Brandstätte erreicht; auch von anderen Richtungen taucht das gluthrothe Licht der Fackeln aus den langen blaßleuchtenden Laternenreihen hervor; andere Züge anderer Depôts kommen, immer lebhafter wird das Wagengerassel, das Klingeln der ankommenden Gefährte, das Pfeifen der Signale, die Häuser scheinen zu erglühen im Fackellicht, die Spritzen machen Halt, die Personenwagen auch, die Mannschaften stehen schon bei ihrem Gefährt stramm in Reih und Glied, sie warten auf die Befehle, welche die Brandmeister und Commandirenden nach ihrer sofort begonnenen Inspicirung der Brandstätte geben werden.
Die Flammen züngeln jetzt aus den Bodenluken, sie haben in aufgeschichteten Tischlerarbeiten nur zu gutes Material gefunden; unheimlich kriecht dicker, gelblich brauner Qualm durch die Fugen der Dachsteine, doch aus den Nachbarhäusern, aus den Fenstern gegenüber drängt sich Kopf an Kopf von Neugierigen, die ohne Furcht vor dem verderbenbringenden Element das interessante Schauspiel betrachten; sie betrachten die Mannschaften auf der Straße, die trotz ihrer großen Zahl, trotz der vielen Wagen, trotz der Enge des Raumes ihre Evolutionen so präcis ausführen, als wäre es ein gerade für diese Stelle eingeübtes Exercitium.
Da sprengt eine Abtheilung berittener Schutzleute heran; ihnen folgen andere zu Fuß, die Straße wird abgesperrt und das schaulustige, müßige Publicum kann nur von Weitem den Verlauf des Feuers verfolgen. Nirgends Furcht oder Unruhe, nirgends Rufen nach Eimern oder Freiwilligen zum Pumpen oder Spritzen. Nur der Berliner Witz macht sich Luft und erregt oft Gelächter.
„Nu seh’ mal blos die hohe Flamme da rechts!“ ruft der Eine.
„Na,“ erwidert der Andere, „da werden woll den Bäckermeester seine Mehlwürmer ordentlich bei schwitzen!“
„Un wat meenste,“ fügt der Dritte hinzu, „wie die Schwaben nanu danzen werden!“
„Un wenn nanu,“ belehrt der Vierte, „so’n jroßer jlühender Balken die ville Schwaben uf’n Kopp fällt, so nennt man det ’n Schwabenstreich!“
Und so geht es fort ohne Unterbrechung.
Die Dampfspritze meldet soeben durch Pfeifensignal, daß ihre Schlauchverbindung hergestellt, sie zum Wassergeben fertig ist. Die Handspritzen sind vermöge ihrer sofort zum Wassergeben bereiten Wasserwagen längst zur Thätigkeit bereit, schon bei ihrer Ankunft ist der Schlauch abgewickelt und bis zum Herde des Feuers gelegt; er ist bis zum Flur des Hauses gebracht, dort eine Verlängerung angeschraubt, er wird zur Treppe hinaufgezogen bis zur Brandstelle selbst. Die Hähne der Hydranten auf der Straße, welche direct der Wasserleitung eingefügt sind, können jeden Augenblick mächtige Wassermassen abgeben oder die leer gewordenen Wasserwagen füllen.
Da schrillt die Pfeife in einem Triller: „Zum Angriff!“ Ein Feuermann nimmt das Mundrohr des Schlauches, andere schlagen mit Beilen und Aexten das Holzwerk ein und suchen durch Zertrümmern der Dachsteine Abzug für den erstickenden Qualm zu verschaffen.
„Spritze drei! Wasser, marsch!“ ertönt es hier, dort das Signal „Schlauch vorwärts!“ und wieder „Wasser, marsch!“ Die Pfeife lockt das Wasser aus den Handspritzen, das Horn dasselbe aus der Dampfspritze. Es ist ein Pfeifen und ein Blasen, daß der Laie glaubt, die Hölle gellt; die Mannschaften aber verstehen in demselben den präcisen, kurzen Befehl des Commandirenden.
Nichts peinigt die Mannschaften bei dieser lebensgefährlichen Arbeit so sehr, als der Qualm. Nicht drei Schritte weit können sich die Feuermänner erkennen: Laternen müssen mitten im brennenden Hause zu Hülfe genommen werden, um sich hier in nächster Nähe der von Qualm umhüllten Feuersgluth zurecht zu finden, auf Händen und Füßen müssen sie kriechen, um nur die etwas weniger vom Qualm geschwängerte Luft, die sich dicht über dem Fußboden noch befindet, zum Athmen zu erhaschen.
„Alles zurück vom Dachstuhl!“ ertönt die Stimme des Brandmeisters.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 374. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_374.jpg&oldid=- (Version vom 12.6.2023)