Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
|
war der Zauber seines reinen kindlichen Gemüths, der sie zu ihm hinzog.
Karl Gesell war ein Schlesier, er wurde am 8. Juni 1800 zu Liegnitz geboren. Frühzeitig regte sich in ihm die Lust zu lernen und zu lehren. Seine Ausbildung erhielt er im Seminar zu Breslau, später besuchte er die Universität in Leipzig. Ihn jammerten besonders die verwaisten und verwahrlosten Kinder. Wo er nur konnte, nahm er sich ihrer an. In Dresden gründete er eine Beschäftigungsanstalt für sie, dann wurde er nach Dessau berufen, wo er eine ähnliche Anstalt errichtete. Von dort ging er nach Mecklenburg und organisirte dort Schulen nach seinem Systeme. Auch als Schriftsteller war er thätig, seine Volks- und Jugendschriften fanden viel Anklang. Gesell liebte heitere Kinder, darum spielte er viel mit seinen Zöglingen. Er wußte, daß ein freudig erregtes Herz guten Einflüssen am leichtesten zugänglich ist. Nach langer unermüdlicher Wirksamkeit in Dessau ließ er sich in Leipzig nieder und entfaltete hier am Waisenhause und in den Schreber-Vereinen eine segensreiche Thätigkeit. Auf den Schreber-Plätzen war er der Liebling von Jung und Alt. Er ordnete und leitete die Spiele und verstand es, die jungen Mitglieder des Vereins, namentlich Mädchen und Frauen, zu gleicher Thätigkeit anzuregen. Als im Herbste 1879 der alte Spielvater starb, da gaben ihm Hunderte von Kindern das letzte Geleite und dankten ihm thränenden Auges für seine Liebe und seine Treue. Er aber hatte für sie gesorgt, indem er eine Anzahl junger Leute aus allen Ständen herangezogen hatte, die nun in seinem Geiste und Sinne die Spiele ordneten und leiteten.
Schreber, Hauschild, Gesell – jeder in seiner Art – sind gewissermaßen die Standesheiligen der Schreber-Vereine geworden, deren Andenken nie erlöschen wird. Bei allen Festen wird ihrer pietätvoll gedacht und ihre Gedenksteine und Bilder werden bekränzt.
Wie schon oben bemerkt, sind die Einrichtungen der Schreber-Vereine und Schreber-Plätze in der Hauptsache einander gleich. Wahrhaft großartig sind die Kinderfeste, welche jeden Sommer mehrmals abgehalten werden. An solchen Tagen, wie am Johannis-Feste, am großen Sommerfeste, am Sedantage ziehen Tausende von Kindern nach ihren Spielplätzen. So waren am großen Kinderfeste 1880 auf dem Schreber-Platze der Westvorstadt über zweitausend Kinder zum festlichen Spiele versammelt. Da nun selbstverständlich auch die erwachsenen Angehörigen dabei sind, so entwickeln sich hier Volksfeste bester Art. Der Platz ist mit Fahnen und Standarten geschmückt, Musik und Gesang erschallt; überall – auf dem Platze und in den Gärten – tummeln sich fröhliche Menschen. Abends zumal, wenn bengalische Flammen und Lampions Alles beleuchten, bietet der Platz einen feenhaften Anblick. Aber diese Feste, so sehr sie gefallen, sind nicht die Hauptsache. Das Wichtigste ist, daß Hunderte von Kindern – es werden auch die nicht dem Vereine angehörenden zugelassen – täglich sich in frischer gesunder Luft unter guter Aufsicht erquicken und austummeln können. Um den Kindern aber auch im Winter die nöthige Erholung zu bieten, will man die Spielplätze in Eisbahnen verwandeln. Im vergangenen Winter hatte die Stadt für eine solche unentgeltliche Eisbahn gesorgt, die viel benutzt wurde.
Im Winter versammeln sich die Vereine monatlich einmal. Mitunter treten sie zu gemeinschaftlichen Sitzungen zusammen. Es werden anregende Vorträge gehalten und edle Geselligkeit gepflegt. Da namentlich die Lehrer der in den betreffenden Bezirken gelegenen Schulen regen Antheil nehmen, so kommt in diesen Versammlungen das, was Hauschild wünschte, zur vollen Geltung: die Eltern treten mit den Lehrern ihrer Kinder in engere Verbindung und tauschen gegenseitig ihre Erfahrungen und Ansichten aus. Einmal im Winter, zum Weihnachtsfeste, werden auch die Kinder herangezogen und durch eine gemeinsame Bescheerung erfreut. So geht von diesen Vereinen das ganze Jahr hindurch Licht und Leben aus.
Auch auswärts beginnt man ähnliche Einrichtungen zu treffen, so in Magdeburg, Altona, Hamm etc., selbst aus England und Amerika kommen Anfragen. Da sei hier gleich mit bemerkt, daß über Geschichte, Organisation, Kosten etc. der Schreber-Vereine demnächst ein Werkchen von dem um die Weiterentwickelung dieser Angelegenheit verdienten Leipziger Lehrer Eduard Mangner erscheinen wird, auf das wir dann besonders aufmerksam machen werden.
Ob man auch auswärts den Namen Schreber-Verein annehmen wird? Wünschenswerth wäre es, der Einheitlichkeit wegen. Die Hauptsache ist und bleibt aber, daß Schreber’s Geist darin waltet, und daß vor allen Dingen – der Spielplatz nicht fehlt. In Leipzig hatte schon vor zehn Jahren auch die Ostvorstadt einen Schreber-Verein, aber das Wichtigste, der Spielplatz fehlte. Da faßte der junge Baum keine Wurzel und ging wieder ein. Hoffentlich tritt auch hier bald ein frischer Verein in’s Leben, aber mit einem Schreber-Platze; hoffentlich entstehen auch bald an vielen anderen Orten unseres Vaterlandes Schreber-Plätze. Aber man gehe nun weiter.
Voll und ganz wird Schreber’s Idee erst dann verwirklicht, wenn nicht nur die Kinder der Volksschule, wenn auch die Schüler der höheren Unterrichtsanstalten ihre Spielplätze erhalten. Dahin zielt auch der Erlaß des preußischen Cultusministers von Goßler vom 27. October vorigen Jahres, in welchem die hohe Bedeutung der Jugendspiele treffend charakterisirt wird. In dieser Beziehung sind in Leipzig wohl schon Versuche gemacht worden, es fehlten aber bisher die entsprechenden Plätze. Jetzt wird ein solcher in der Nähe des von uns geschilderten Schreber-Platzes eingerichtet. Ein gutes Beispiel hat hier Braunschweig gegeben. Dort hat man schon seit einigen Jahren im Gymnasium die Einrichtung getroffen, daß die sämmtlichen Schüler von Quarta an bis Obersecunda im Sommer wöchentlich zweimal je zwei Stunden hindurch officiell spielen. Eingeführt sind neben deutschen Turnspielen, Cricket, Fußball etc., da diese sich besonders für eine größere Anzahl Spieler eignen. Außer diesen von der Schule eingerichteten Spieltagen kommen jede Mittwoch eine große Anzahl Schüler zu freiwilligem gemeinsamem Spiele zusammen. Gewiß hat man auch anderwärts schon ähnliche Einrichtungen getroffen. Der Erlaß des Ministers wird zum Heile unserer Jugend seine Wirkung nicht verfehlen.
Möchten doch unsere deutschen Gemeindebehörden bei Anlage neuer Schulen mit dem Platze nicht geizen, sondern möglichst Raum schaffen zu einem Schulgarten und einem Spielplatze! Möchten sie sich doch in dieser Beziehung die englischen Behörden
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 372. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_372.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)