Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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der Viertelsmeister zu revidiren kommt, Alles in Ordnung ist. Hörst Du?“
„Ja wohl, ja wohl!“ rief Johann und rannte so schnell aus der Stube, als wäre niemals der Schlaf am Ofen seine Lieblingsbeschäftigung gewesen.
„Ich wechsle die Kleider, dann müssen wir Alle hin!“ Damit verließ auch er das Zimmer.
Auf der Straße wurde es lebendiger. Der Nachtwachmeister war zur Militärwache am Schlosse gestürzt und hatte, wie sich’s gebührt, das Feuer gemeldet, um von da zu dem Bürgermeister und dem Feuerherrn zu laufen. Nach dem Mühlendamm hatte er einen der dreißig damaligen Nachtwächter postirt, einen andern am Rathhause, damit sie den Leuten den Ort des Feuers angeben konnten. Von fern ertönte der Trommelschlag der Wache, die bisher so öde Straße füllte sich mit dahineilenden Gestalten, die Glocken von St. Petri und Nicolai, von St. Marien und von den „Schwarzen Brüdern“ klangen dumpf durch einander, hin und wieder brachte ein Windstoß den schrillen Pfiff der Kunstpfeifer herüber, die auf den Thürmen postirt waren. Drüben beim Rathhause leuchtete es roth auf. Nach Vorschrift waren Pfannen mit brennendem Kien an all’ seinen Ecken aufgestellt, die Thüren desselben waren weit geöffnet, der Marktmeister schürte die Flammen, und dunkle Gestalten eilten hinein und hinaus.
„Nun, ehrsame Meister, an’s Werk!“ rief der eintretende Wirth. „Meister Klaus, was ist Euer Amt heute?“ fuhr er fort, indem alle Vier sich auf den Weg machten.
„Vorerst hinüber zum Rathhaus. Johann! gieb jedem von uns einen Ledereimer! Ich bin nämlich jetzt Bürgerofficier, deshalb muß ich hinüber. Muß ausschauen, ob die Hauseigenthümer mit Eimern kommen und ob die Incoln auch nicht zu saumselig eintreffen. Mit denen ist’s immer eine liebe Noth, ehe man sie zusammen hat. Der eine sucht sein Obergewehr, der andere sucht sein Untergewehr, der dritte gar muß selbst erst gesucht werden, und ich will zufrieden sein, wenn ich in einem Stündchen auf der Feuerstätte bin!“
„Wo brennt’s denn eigentlich?“
„In der Stralower Straße, hart am Thurm!“ rief ihm ein Vorübereilender zu.
„Dann kann ich auch gleich hier bleiben im Berlinischen Rathhaus,“ sagte der andere Meister. „Ich muß dort die hundertfünfzig Eimer mit dem Marktmeister vertheilen an die Gesellen und die schwarzen Kittel dazu, die sie überziehen. Heda, Merten!“ rief er einem halbwachsenen Buben zu, „lauf über die lange Brücke nach der Gertraudtenstraße zum cöllnischen Rathsherrn Brede, ich laß ihm sagen, er möchte nach dem Friedrich-Werder schicken, daß auch die ihre fünfzig Eimer senden, ebenso wie der Feuerherr der Dorotheenstadt und der Friedrichsstadt. Ich glaube, diese muß gar hundert senden. Nun lauf, mein Bursche, lauf, sollst am nächsten Sonntag drei Wecken von mir haben!“
Das Rathhaus war unterdeß von ihnen erreicht. Wie ein Bienenschwarm summte es auf den steinernen schmalen Fluren, auf den schwerfälligen breiten Stiegen. Auf dem Hofe aber, da konnte man vor Lärmen sein eigen Wort nicht verstehen, die Rathsherren schrieen sich heiser, der Bürgermeister konnte nicht mehr sprechen, nur der Feuerherr, eine riesige Gestalt, fand durch äußerst kräftige Püffe und Stöße, die seine Rede begleiteten, das richtige Verständniß.
Die hölzernen Handspritzen wurden aus den Kellern geholt, die Feuerleitern und Haken, welche längs der Flurwände auf Krammen ruhten, wurden herausgeschafft und – wie bei jedem Feuer damals, dauerte es eine hübsche Zeit, bevor die Schlüssel zu dem Spritzenhause gefunden waren. Endlich, als der Himmel sich immer röther färbte, als schon Funken bis in den Hof des Rathhauses flogen, rasselten die zwei Schlauchspritzen und die zwei Röhrspritzen, der Stolz der Berliner, auf’s Pflaster, und die Pferde der Lohnfuhrleute, welche an der Reihe waren, wurden eingeschirrt.
Alle vier fuhren hinaus auf die Königstraße. Dort entstand ein Drängen und Schieben, daß dem armen Magister angst und bange wurde, daß er zu zweifeln begann, jemals sein liebes Stettin lebendig wieder zu sehen.
An Schlauchspritze Nr. 1 und 2 nämlich drängten sich die ehrsamen Gewerke der Schuster und Schlosser, die hatten mit ihren Gesellen den Dienst bei diesen ungeschickten, schwerfälligen Kasten. Spritze Nr. 3 wurde von den Tischlern und Messerschmieden bedient und Spritze Nr. 4 von den Tischlern und Feilenhauern.
Endlich ging es vorwärts der Feuerstätte zu. Daß bei der Menschenmenge, bei dem Hin- und Herwogen, bei dem wüsten Schreien und Commandiren Niemand zu Tode gedrückt wurde in den engen Gassen, deren Eckhäuser sämmtlich schon Kienpfannen vor die Thüren gestellt hatten, war wunderbar genug.
Die Brandstätte ist endlich erreicht. Glücklicher Weise war eine Compagnie Gensd’armen schon früher zur Stelle. Sie hatte den Platz vor dem in hellen Flammen stehenden Hause, dessen elendes Fachwerk dem rasenden Elemente die beste Nahrung bot, gesäubert, nur die Frauen und Kinder aus dem brennenden Hause saßen weinend und jammernd auf dem Bürgersteig mit den wenigen Resten bereits geretteter Habe. An jedem Fenster der ganzen Straße war Licht aufgestellt, und die Nachbarn bis zum zwanzigsten Hause hatten bereits nach Vorschrift Chaine gebildet mit ihren Eimern. Schon flogen die letzteren von Hand zu Hand, das Plumpen der Brunnen hörte nicht auf, von den 507 Feuereimern der 37 Gewerke fehlten wohl nur wenige, doch was wollte das Begießen mit so kleinen vereinzelten Wassermengen bedeuten gegenüber dem himmelhoch züngelnden, dämonisch brausenden, zischenden, knisternden Elemente!
Da kamen die Spritzen; sie nahmen nach manchem Befehl und Gegenbefehl endlich Aufstellung, die Incoln aber und die Mannschaften der Bürgerwache bildeten unter der Leitung ihrer Bürgerofficiere einen weiten Kreis auf der anderen Seite der Straße. Dahinnen wurden die geretteten Sachen gebracht und treulich vor Diebstahl bewahrt. Noch immer flogen Betten und Hausgeräthe aus den Fenstern; in der Verwirrung, die der Schreck verursacht, warf mancher das Geschirr hinunter, statt selbst hinabzueilen und dem Gefahr drohenden brennenden Gebälk zu entgehen.
Da kamen die Schornsteinfeger mit ihren Jungen. Sie wurden mit lauten Zurufen begrüßt; wußte man doch, daß bei ihrer Wagehalsigkeit auch das Letzte aus dem brennenden Hause geschafft würde, was überhaupt noch zu retten war.
Das Poltern auf der Gasse verrieth die Ankunft der Kleinbinder. Auf ungeschlachten Holzschleifen fuhren sie pflichtschuldigst ihre mit Wasser gefüllten Zober und Tinen an. Beim Scheine der aufleuchtenden Flammen blitzen die Hämmer und Aexte des Zimmergewerbes. Von den Nebenhäusern aus brachen sie sich Bahn bis zu den brennenden Balken, die mit Krachen und Aechzen, von einem Feuerregen umhüllt, vom Dachstuhl in die Flammen stürzen.
Endlich hörte man das Stöhnen und Stampfen der in Bewegung gesetzten Spritzen. Aber wenig mehr als die Hälfte des Wassers fliegt durch das Mundstück des Schlauches in die Flammen! Der Hanf des Schlauches ist nicht dicht, der Mann, der ihn hält, ist schon durchnäßt, bevor der erste Strahl Wassers gegen die glühenden Balken zischt. Der Druck aber ist genügend; bis zur Dachfirste wird der Strahl geworfen. Doch – die Stadt hat nur drei solcher Schlauchspritzen! Nr. 1 und Nr. 2 kamen vom Berliner Rathhaus und Cölln sandte die dritte. Alle übrigen zehn sind Rohrspritzen. Kein Schlauch führt von ihnen nach jeder beliebigen Richtung, sondern steife, kaum fünf Fuß lange hölzerne Mundstücke werfen das Wasser aus, kaum zwanzig Fuß hoch!
Da freilich hatten die ehrsamen Gewerke harte Arbeit. Unaufhörlich wurden die Wasserkästen gefüllt, der Schweiß rann den Spritzenmännern in Strömen von der Stirn, und selbst die zwölf Meister, die aus jedem Quartier für jede Spritze in Reserve standen, mußten gar weidlich mit Hand anlegen; keine Gelegenheit wurde versäumt, aus der Schaar der Neugierigen die strammsten Burschen zu erspähen und sie zum Pumpen zu pressen. Wenn auch unwillig, gingen diese an’s Werk, sie fürchteten Beulen und blaue Flecke, die sehr leicht und billig seitens der ehrsamen Meister zu damaliger Zeit zu haben waren.
Endlich begann das Feuer große Rauchwolken zu zeigen. Erleichtert sagte sich Jeder, daß die schwerste Arbeit gethan.
„Das ist auch unsere Spritze Nummer zwei, die’s gemacht hat!“ rief stolz ein Schlosser, indem er sich mit blauem Sacktuch die Stirn wischte.
„Nee, Meester,“ rief lachend ein Schusterjunge, der den Kopf zwischen zwei Soldaten hindurchzwängte, „von det bisken Spucke
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 363. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_363.jpg&oldid=- (Version vom 1.6.2023)