Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Pferden verrieth ihm, daß die Stallungen ein integrirender Theil des Hauses sein mußten.
Einige Stufen führten vom Flur aus in die Tabagie. Nachdem der Magister dem Kutscher Bescheid gesagt und sein Felleisen dem Wagen entnommen hatte, trat er ein und das Läuten einer durch das Oeffnen der Thür in Bewegung gesetzten Glocke gellte dröhnend durch das Haus.
Die Tabagie war ein niedriger weiter Raum. Die Wände waren durch Alter und Rauch geschwärzt, die kleinen Scheiben von grünem Glase wehrten den Sonnenstrahl, Spinneweben hatten die Ecken der Wände überzogen und acht lange, fuchsroth gestrichene Tische, auf jeder Längsseite eine ebensolche Holzbank, zogen sich durch die Stube bis hinten in das Halbdunkel, wo ein mächtiger brauner Kachelofen mit dem nahen Lehnstuhl daneben fast die ganze Hinterwand einnahm.
Zwei ältliche Berliner saßen an dem Tische, welcher dem Fenster zunächst stand. Sie schienen ehrsame Handwerksmeister, trugen Röcke von der damals so beliebten dunkelblauen Farbe, hatten derbe Schuhe an den Füßen, ihr Haar war blond und kraus und ungepudert, das kräftige Dampfen ihrer Pfeifen ließ auf gute Lungen schließen, und die gesunde Farbe der derben, offenen Gesichter bewies, daß der Inhalt der vor ihnen stehenden großen Zinnkrüge ihnen gut bekomme.
„Gott zum Gruß, Ihr Herren Meister!“ sagte der Fremde, lüftete den Hut, legte das Felleisen auf die Bank und setzte sich daneben. „Mit Verlaub, ich nehme hier Platz.“
„Recht so,“ meinte der ältere Berliner, ohne die kurze Pfeife aus dem Munde zu nehmen. „Ihr sollt uns willkommen sein. Mag’s Euch hier gefallen!“
„Einen Willkommen trinke ich Euch!“ fügte der andere hinzu und that einen gar herzhaften Zug aus seiner Zinnkanne. „Woher des Weges? Wohl lange auf der Landstraße gewesen?“
„Ihr seht’s wohl gar an meinem Rocke?“ lachte der Fremde. „Glaub’s schon, daß ich nicht erst Berliner Staub darauf noch zu streuen brauche, sehe so schon schlimm genug aus und nun gar erst im Gesicht. Ja, ich komme weither. Komme aus Stettin, bin dort Magister und will morgen nach Spandau, meinen Vetter Balthasar Meinecke zu besuchen. Wir haben Beide geerbt von einer Muhme meiner Mutter, und da wollen wir Rath halten. Doch ehe wir weiter plaudern, ehrsame Meister, giebt es hier auch Bedienung?“
„Ei freilich! Seht dort hinten, auf der Ofenbank im Halbdunkel, da schnarcht der Johann, den müßt Ihr wecken.“
Der Magister schien nicht gerade verwundert über diese Eigenart des Berliner Hausknechtes; er mußte wohl in der Heimath ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Nur nach anhaltendem Schütteln gelang es ihm, den Knecht auf die Beine zu bringen und ihm deutlich zu machen, daß er Waschwasser und Seife brauche.
Bald war dasselbe sammt dem derben Handtuch zur Stelle geschafft, ein Schemel wurde in die Nähe des Fensters gerückt, das Waschbecken darauf gestellt, und der ehrsame Magister entledigte sich des Rockes und der Schooßweste, schlug den Hemdenkragen zurück und wusch Gesicht und Oberkörper mit größter Seelenruhe in der Gaststube des wohllöblichen Gasthauses „Zum goldenen Anker“ in der Spandauer Straße.
„Nun aber, Ihr Herren Meister,“ sagte er beim Abtrocknen des Gesichtes und der Hände, „giebt es hier eine Sorte Bier oder mehrere, worunter man wählen kann?“
„Zuviel haben wir nicht,“ erwiderte der Eine trocken, „da ist Ruppiner, Bernauer, Cottbuser, Carthäuser Landbier, dann noch Zerbster und Lebuser.“
„Und das findet Ihr nicht viel?“ staunte der Magister.
„Eins hat er noch vergessen,“ unterbrach ihn der andere Meister, „das Potsdamer Bier, und dem gebe ich den Vorzug. Ja, Herr Magister, es ist eine ganz wackere Auswahl, aber soviel haben wir doch nicht, wie bei den großen Gelagen der hohen Herren bei Hofe zum Verzapf kommt. Da hat die Kämmerei ausgerechnet, daß es dreiunddreißig Sorten gewesen im Jahre 1723, die auf die Tafel kamen, als der Erzbischof zum Besuche hier war.“
„Was Ihr sagt! Nun, so will ich Eurem Rathe folgen. Heda, Johann, bring Er eine Kanne Potsdamer und dazu Wurst und Speck, auch eine Zwiebel. Wenn Ihr so vielerlei Biere habt,“ fuhr er zu den Meistern gewendet fort, „da müßt Ihr ja gewaltig trinken!“
„Nun, wir trinken eben grad’ genug,“ meinte lächelnd der Aeltere; „ich war gestern oben im Rathhaus und da hab’ ich von dem Stadtschreiber so beim Plaudern erfahren, daß achtundzwanzigtausendfünfhundert Tonnen im letzten Jahre ausgeschenkt sind; das würde natürlich zu wenig sein bei uns sechsundsiebenzigtausend Berlinern, aber die Armen und die Tagelöhner, die gießen soviel Wasser hinein, daß es einem weh thun könnte; da wird eine Kanne niemals mehr am Tische kleben bleiben und wenn sie auch stundenlang stillsteht.“
„Trefflich schmeckt das Bier,“ sagte der Magister nach einem tiefen Zug, „das will ich mir loben! … Aber wer flucht denn da so auf der Gasse? Der hat ja einen mächtigen Stock. Die blanken Knöpfe an seinem blauen Rock sehen ganz gut aus!“
„Das ist der Rathsdiener,“ erklärte der jüngere Meister, indem er nach kräftigem Zuge seine Pfeife auf die Diele ausklopfte, den braunen Abguß der Asche mit größter Seelenruhe hinterher goß, die Pfeife neu stopfte und in Brand setzte. „Der arme Mensch hat gar kargen Lohn, aber an Aerger fehlt’s ihm nicht. Seht Ihr da drüben die Hökerinnen und Verkäuferinnen? Die hat er in Ordnung zu halten, und wer da weiß, daß man oft mit seinem eigenen Weibe kaum fertig wird, der weiß auch, was das heißt. Das schnattert den ganzen Tag, statt zu arbeiten!“
„Zu arbeiten? Nun, wenn sie ihren Kram verkaufen, thun sie ja ihre Arbeit!“
„Mit nichten, Herr Magister! Dafür sorgt unser gnädiger König, daß keine müßig dasitzt und Maulaffen feil hält; der hat angeordnet, daß jede in der Woche ein Pfund Wollgarn spinnen muß. Das bringt sie nach dem Lagerhaus und kriegt’s bezahlt. Thut sie’s nicht, wird sie bestraft und der Rathsdiener wird vom Rath ausgescholten, daß kein Hund ein Stück Brod von ihm nehmen möchte, denn der Rath, na, der sieht auch nicht gern, wenn der König ankommt mit zornigem Gesicht, und sein echt spanisch Rohr in der Hand! Beinahe hätte es gestern der Rathsherr Frobel ordentlich von ihm gekriegt. Der König glaubte nämlich, er hätte Kattun von Holland eingeschmuggelt, und das kostet hundert Thaler Strafe.“
„Nicht möglich!“ meinte der Magister.
„Ihr könnt es, wenn Ihr mir nicht glaubt, im Intelligenzblatt lesen. Das wird seit 1727 bei uns hier gedruckt, darin findet Ihr Alles; darin könnt Ihr auch lesen, daß seit demselben Jahre keine Häuser mehr ohne Schornsteine gebaut werden dürfen; auch Schindeldächer findet Ihr in der ganzen Stadt nicht mehr, und die Scheunen liegen jetzt alle draußen vor den Thoren. Das ist sehr wichtig beim Feuer!“ erzählte der redselige Meister.
Das Eintreten des Wirthes unterbrach die Unterhaltung. Er hatte seinen besten Sonntagsanzug angethan, kam er doch vom Kindtaufschmause, das verrieth auch weidlich sein geröthetes Gesicht und seine frohe Laune. Aber würdig schritt er trotzdem daher mit seinen weißen Manschetten, dem großen Jabot, dem riesig großen Spazierstock mit vergoldetem Knopf.
„Gott zum Gruß, ehrbare Meister,“ sagte er, indem er den Hut vom Kopfe nahm. „Auch ein Fremder, wie ich schon draußen am Fuhrwerk erkannt? Seid willkommen unter meinem Dach, mag es Euch bei mir gefallen! Doch damit wir uns auch ansehen können, müssen wir Licht haben, die Schummerstunde ist schon zu Ende, und der ‚Goldene Anker‘ soll nicht aussehen wie ein dunkel Beinhaus! Johann, Licht!“
„Gleich, Herr!“ gähnte Johann und ging langsam hinaus; kaum aber hatte er die Thür geschlossen, so riß er sie schon wieder auf, stürzte mit staunenswürdiger Hast an’s Fenster und rief jammernd: „Gott steh’ uns bei, es brennt, es brennt!“
„Was, Feuer?“ schrie entsetzt der Wirth; er und die Gäste stürzten an’s Fenster und rissen den schweren Flügel mit Mühe auf.
„Da hängt schon die Laterne an St. Marien. Gott sei uns gnädig, sie zeigt nach dem Holzgarten zu hinter der Klosterkirche! Johann, hole die zwei Handspritzen vom Boden und die acht Ledereimer. Dann sieh, wo die Leiter ist, und sorge mit den Knechten, daß der Kübel und der Zober auf dem Boden voll Wasser ist, genau nach Vorschrift, hörst Du, damit, wenn
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 362. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_362.jpg&oldid=- (Version vom 1.6.2023)